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Shinzo Abe ist tot: Wie der japanische Ex-Premier sein Land veränderte

Shinzo Abe ist tot: Wie der japanische Ex-Premier sein Land veränderte

Japans Ex-Premier Shinzo Abe ist den Folgen eines Attentats erlegen. Wer war der Mann, der sein Land zu neuer Stärke führte und trotzdem scheiterte?
08.07.2022, 13:1208.07.2022, 15:55
Miriam Hollstein / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Wie sehr Shinzo Abe Japan geprägt hat, lässt sich in einem Wort fassen: Abenomics. So nannten die japanischen Medien die tiefgreifenden Wirtschaftsreformen, die der frühere Premierminister seinem Land verordnete und zu der unter anderem zahlreiche Deregulierungen, eine Lockerung der Geldpolitik und auf Pump finanziert Konjunkturprogramme gehörten. Das Mischwort setzt sich aus dem Namen Abes und dem englischen Begriff für Wirtschaft («economics») zusammen.

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Shinzo Abe im Jahr 2014.Bild: keystone

Abe, geboren am 21. September 1954 in Tokio, hat länger als jeder andere Japan regiert. Und er war gleich zweimal Premierminister: von 2006 bis 2007 und von 2012 bis 2020.

Seine Abenomics sollten dem Land Selbstvertrauen zurückgeben. Denn 2012 steckte die drittgrösste Volkswirtschaft der Welt in der Krise, kämpfte mit Schulden und Deflation. Abe versprach einen «Raketenstart». Zugleich legte er bei der Energiepolitik eine Kehrtwende hin, indem er die Rückkehr zur Kernkraft ankündigte. Die Vorgängerregierung hatte einen Ausstieg bis 2040 beschlossen.

Erfolgreich erst im zweiten Versuch

Seine erste Amtszeit war wenig erfolgreich gewesen. Da hatte Abe nach nur einem Jahr und einer Reihe von Skandalen zurücktreten müssen. Er tat es mit einer bemerkenswerten Begründung: Stressbedingte «Verdauungsstörungen» hätten ihn zu diesem Schritt bewogen. Tatsächlich litt er unter einer chronischen Darmerkrankung.

Das hielt ihn nicht von einem zweiten Anlauf ab. Geholfen haben dürfte, dass er das Politmetier aus der eigenen Familie kannte: Bereits sein Grossvater und sein Grossonkel waren Premierminister gewesen.

Diesmal lief es besser: Unter seiner Führung erlebte Japan eine lange Wachstumsphase und wurde auch in der internationalen Politik zu einem Schwergewicht. 2018 wählte das Magazin «Forbes» Abe unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

Abe wollte mehr Nationalstolz im Unterricht

Allerdings spaltete sein nationalistischer Kurs das Land. Abe hatte angeordnet, im Schulunterricht müsse mehr «Nationalstolz» vermittelt werden. Auch setzte er auf eine Remilitarisierung des Landes, was 2015 zu Massenprotesten führte.

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Der Eindruck täuscht: Merkel und Abe (hier 2017 in Deutschland) konnten nicht viel miteinander anfangen.Bild: EPA/EPA

Mit Angela Merkel war das Verhältnis pragmatisch-kühl. Von allen G7-Staats- und Regierungschefs konnte sie mit Abe am wenigsten anfangen. Weder mit seiner Finanzpolitik, mit einer Geldschwemme die Wirtschaft anzukurbeln, noch mit seiner Rückkehr zur Atomkraft, an der Abe auch nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima festhielt.

Näher stand Abe der amerikanischen Regierung. Doch unter Donald Trump sollte auch dieses Verhältnis an seine Grenzen geraten, obwohl sich der japanische Premier wie kaum ein anderer um den damaligen US-Präsidenten bemühte. Zahlreiche Videos von bizarren Händeschüttelszenen zwischen den beiden belegen, wie schwer er sich trotzdem mit ihm tat.

FILE - U.S. President Donald Trump, left, and Japanese Prime Minister Shinzo Abe pose for a photo prior to their meeting at Akasaka Palace, Japanese state guest house, in Tokyo on May 27, 2019. Former ...
Shinzo Abe und Donald Trump im Jahr 2019: Mit dem damaligen US-Präsidenten hatte Japans Regierungschef seine Probleme.Bild: keystone

2019 geriet Japan in eine Rezession. Hinzu kam eine neue Serie von Skandalen; in einen war auch Abes Frau Akie verwickelt. Eine nationalistisch ausgerichtete Privatstiftung hatte vom Staat für einen Spottpreis ein Grundstück für den Bau eines Kindergartens erworben. Dessen Ehrendirektorin war niemand anderes als Abes Frau. Er selbst bestritt jegliche Beteiligung. Weil er viele Vorwürfe aussitzen konnte, erwarb er sich den Ruf eines «Teflon-Politikers».

Das Ende seiner Karriere im August 2020 kam nicht ganz unerwartet, aber dennoch überraschend. Im Alter von 65 Jahren trat Abe zurück, kurz nach dem er den Rekord seines Grossonkels für die längste Amtszeit eines japanischen Ministerpräsidenten gebrochen hatte. Erneut gab er gesundheitliche Gründe an.

Strippenzieher im Hintergrund

Abe blieb auch nach seinem Ausscheiden aus dem offiziellen Amt der Strippenzieher im Hintergrund. Am Freitag hatte er auf einer Wahlkampfveranstaltung in der Stadt Nara im Süden Honshus eine Rede gehalten, als ein 41-jähriger früherer Soldat ihn gegen 11.30 Uhr aus nächster Nähe mit einer selbst gebauten Waffe von hinten niederschoss. Er hatte seinen Parteifreund, Premierminister Fumio Kishida von der Liberaldemokratischen Partei LDP, bei den anstehenden Oberhauswahlen unterstützen wollen.

Bei dem Anschlag erlitt Abe schwere Verletzungen und einen Herzstillstand. Nur wenige Stunden später vermeldeten japanische Medien seinen Tod.

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Anschlag auf Japans rechten Ex-Regierungschef Abe
Video: watson
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30 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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jbm-t-mtr
08.07.2022 13:31registriert Juli 2022
Ein grossartiger Politiker, der Japan sehr zum Besseren gewendet hat. Möge er in Frieden ruhen!
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