Die Geschichte der goldenen Eule – französisch «la Chouette d'Or» – ist ebenso verrückt wie lang. Sie beginnt im Jahr 1993, als der Schriftsteller Régis Hauser alias Max Valentin beschliesst, eine ungewöhnliche Schatzsuche ins Leben zu rufen. Mithilfe des Künstlers Michel Becker vergrub er irgendwo in Frankreich eine goldene Eulennachbildung im Wert von etwa 150'000 Euro.
Die Idee war einfach: Um die Eule zu finden, muss man elf raffinierte Rätsel lösen, die in einem Buch mit dem Titel «Auf der Spur der goldenen Eule» enthalten sind. Das Interesse an diesen Rätseln war riesig und zog Tausende von Fans an, die bereit waren, den Schwierigkeiten zu trotzen und sich auf die Spur des mythischen Schatzes zu begeben. Die elf Rätsel wurden im Lauf der Zeit gelöst und es stellte sich heraus, dass sich aus diesen elf ein zwölftes, weiteres Rätsel ergab, an dem sich fortan Jahrzehnte lang alle die Zähne ausbissen.
Mehr als 30 Jahre später wurde die goldene Eule im September wiedergefunden, wie Michel Becker, der Mitorganisator des berühmten Spiels, berichtete. Er gab bekannt:
Der andere Organisator, Max Valentin, der für seine Liebe zu Rätseln und Geheimnissen bekannt ist, hatte seinerzeit klar angekündigt, dass es nicht einfach sein würde, die Hinweise zu entziffern und die Rätsel zu lösen. Das war noch untertrieben. Die Rätsel kombinierten historische Elemente, geografische Bezüge und kryptische Hinweise und stellten ein wahres Puzzle dar. Für die Teilnehmer war jeder Hinweis ein Teil eines grösseren Puzzles, das, wenn es gelöst wurde, den Standort der Eule ermittelte.
Seit ihrer Einführung war die Jagd nach der goldenen Eule Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Vom Wald von Rambouillet bis in abgelegenen Regionen Südfrankreichs haben Schatzsucher zahlreiche Orte vergeblich abgesucht. Das Rätsel fesselte Menschen aus aller Welt, sogar über die Grenzen Frankreichs hinaus, und manche widmeten dem Versuch, die Hinweise zu entschlüsseln, Jahre ihres Lebens und Unsummen an Geld. Für einige wurde das Spiel sogar zu einer regelrechten Obsession.
Es entstanden Onlineforen, in denen die wildesten Theorien ausgetauscht wurden. Es bildeten sich Gemeinschaften von Schatzsucherinnen und Schatzsuchern – sie nannten sich «chouetteurs» –, die ihre Interpretationen der Rätsel austauschten und gegeneinander antraten. Einige behaupteten sogar, der Lösung nahe gewesen zu sein … aber die Eule blieb unauffindbar. Die Sache wuchs sich so weit aus, dass sogar die Justiz mehrmals eingreifen musste, insbesondere um Streitigkeiten über die Urheberschaft bestimmter Hinweise zu klären.
Der Abschluss dieses unglaublichen Abenteuers kam schliesslich vor einigen Tagen, als einer der Teilnehmer endlich die goldene Eule in die Hände bekam, nachdem er das letzte Geheimnis gelüftet hatte. Der genaue Fundort wurde der Öffentlichkeit nicht bekannt gegeben, was der ohnehin schon legendären Geschichte einen weiteren Hauch von Geheimnis hinzufügt. Der glückliche Gewinner, dessen Identität bislang ebenfalls unbekannt ist, liess verlauten, dass die Aufregung über den Fund unbeschreiblich sei und die jahrelange Suche belohnt werde.
Der Finder musste nämlich auch nachweisen, dass er durch das richtige Lösen der zwölf Rätsel auf den Ort gestossen war, wo die Eule versteckt war. Hilfsmittel wie z. B. Metalldetektoren waren verboten.
Mit dieser Auflösung endet eine der längsten und komplexesten Schatzsuchen, die jemals stattgefunden haben. Michel Becker, der Miterfinder des Spiels, zeigte sich gerührt von der Entdeckung. Noch vor einigen Jahren wollte dieser das Original der Eule noch verkaufen, war aber von aufgebrachten «chouetteurs» verklagt und von einem Gericht zurückgepfiffen. Max Valentin hingegen hatte nie die Gelegenheit, dieses Ende zu erleben. Der Mann starb 2009. Aber sein Vermächtnis lebt weiter, und die Geschichte der goldenen Eule wird in die Annalen der Schatzsuche eingehen.
Und auch wenn das Abenteuer der goldenen Eule nun zu Ende geht, wird es mehrere Generationen von Schatzsucherinnen und Schatzsuchern geprägt haben. Eine verrückte Geschichte, die beweist, dass die altmodische, physische Schatzsuche trotz des technologischen Fortschritts immer noch eine unbeschreibliche Begeisterung bei vielen Abenteurern auslösen kann. Und wer weiss, vielleicht inspiriert sie ja auch zu zukünftigen Schatzsuchen.
Ich freue mich schon auf die Verfilmung!