International
Luftfahrt

Aserbaidschan geht von Waffeneinsatz gegen abgestürztes Flugzeug aus

epaselect epa11792889 Emergency specialists work at the crash site of a passenger plane near Aktau, Kazakhstan, 25 December 2024. Azerbaijan Airlines Embraer ERJ-190AR passenger plane flying from Baku ...
Das abgestürzt Flugzeug nahe der Stadt Aktau in Kasachstan.Bild: keystone

Aserbaidschan geht von Waffeneinsatz gegen abgestürztes Flugzeug aus

27.12.2024, 13:4230.12.2024, 05:40
Mehr «International»

Die aserbaidschanische Regierung spricht erstmals öffentlich von einem Waffeneinsatz gegen das in Kasachstan abgestürzte Passagierflugzeug. «Die Ermittlungen werden klären, mit welcher Art Waffe die Einwirkung von aussen geschah», sagte Verkehrsminister Rashad Nabiyev nach Angaben der staatlichen aserbaidschanischen Nachrichtenagentur Azertag in Baku.

Schäden am Wrack und Zeugenaussagen legten nahe, dass das Flugzeug von aussen beschädigt worden sei. Dies sei über dem ursprünglichen Zielflughafen Grosny in Russland geschehen. «Demnach gab es ein Explosionsgeräusch aussen, und dann wurde das Flugzeug von etwas getroffen.»

Russische Behörde: schwierige Lage vor Flugzeugabsturz
Das in Kasachstan abgestürzte Passagierflugzeug aus Aserbaidschan konnte nach Moskauer Angaben aus Sicherheitsgründen nicht an seinem Zielort in Grosny landen.

«Die Situation an diesem Tag und während dieser Stunden im Bereich des Flughafens von Grosny war sehr kompliziert», sagte der Chef der russischen Luftfahrtbehörde Rosawiazija, Dmitri Jadrow. «Ukrainische Kampfdrohnen führten zu diesem Zeitpunkt terroristische Angriffe auf die zivile Infrastruktur in den Gebieten Grosny und Wladikawkas.»

Demnach waren wegen der Gefahr durch die Drohnen keine Starts und Landungen in Grosny, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Tschetschenien, erlaubt. Nach Darstellung Jadrows mussten alle Piloten in dem Zeitraum des Alarms den Luftraum verlassen. Es war das erste Mal, dass eine offizielle russische Stelle einen zeitlichen Zusammenhang zwischen einem Drohnenalarm und dem Absturz herstellte. Auf russischer Seite leitet Rosawiazija die Ermittlungen.

Jadrow äusserte sich nicht dazu, ob die Maschine womöglich durch eine ukrainische Drohne oder den Einsatz einer russischen Flugabwehrrakete beschädigt wurde und dann abstürzte. Er sagte auch, dass in Grosny zu der Zeit dichter Nebel herrschte. Der Pilot der Maschine habe zwei Landeversuche unternommen – ohne Erfolg. Er sei dann Richtung Kasachstan abgedreht.

Zu der Zeit am Mittwochmorgen, als das Flugzeug beschädigt wurde, bekämpfte russische Flugabwehr in der Region ukrainische Drohnen. Nabiyev sagte nicht, wer nach Erkenntnissen der Regierung geschossen habe.

Auch die Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines teilte anhand vorläufiger Ermittlungsergebnisse mit, das abgestürzte Passagierflugzeug aus Aserbaidschan sei «durch physische und technische Einwirkungen von aussen» abgestürzt.

Trotz Schäden übers Meer

Nach der Beschädigung sei das Flugzeug über den russischen Flughafen Machatschkala geflogen, sagte der Minister. Die Ermittlungen müssten klären, ob dort eine Notlandung genehmigt oder abgelehnt werden sei. Die Maschine der Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines mit 67 Menschen an Bord flog trotz ihrer Schäden über das Kaspische Meer. Bei der versuchten Landung in Aktau in Kasachstan stürzte sie ab, 38 Menschen wurden getötet.

Der Absturz im Video:

Video: watson/x

Zu klären sei, warum die Positionsbestimmung des Flugzeugs per Satellit (GPS) gestört worden sei, sagte Nabiyev. Nach Angaben aus Kasachstan seien die dortigen Behörden von der russischen Flugleitung in Rostow darüber informiert worden, dass in der Maschine eine Gasflasche explodiert sei. «Wir denken, dass die Genauigkeit dieser Information mit Priorität überprüft werden muss. Denn die Information kam von einer beteiligten Seite.» Er verwies erneut darauf, dass Zeugen eine Explosion ausserhalb der Maschine wahrgenommen hätten.

Zuvor hatte die russische Luftfahrtbehörde an einigen Flughäfen im Land erneut aus Sicherheitsgründen vorübergehend keine Starts und Landungen erlaubt. Details wurden nicht genannt.

In Russland stellen immer wieder Flughäfen zeitweilig ihren Betrieb ein, wenn bei ukrainischen Drohnenangriffen die Flugabwehr im Einsatz ist. Laut Azerbaijan Airlines kehrte am Freitag eine Maschine nach Baku zurück, weil am russischen Zielflughafen Mineralnye Wody im Nordkaukasus der Luftraum gesperrt war.

Experte: Kaum Zweifel an Abschuss

Die vorliegenden Bilder und Daten sprechen nach Ansicht eines Experten sehr für einen Abschuss durch die Flugabwehr. Offensichtlich hätten Geschosse in Form würfelförmiger Schrapnelle das Flugzeug durchlöchert, sagte Oberst Markus Reisner, Ukraine-Experte des österreichischen Bundesheers, im ORF-Radio.

Es habe sich wohl nicht um einen direkten Treffer, sondern um einen Nahtreffer gehandelt, sagte Reisner. Dabei wird nicht das Ziel selbst getroffen, sondern das Geschoss explodiert in nächster Umgebung. Reisner ging von einem unabsichtlichen Treffer aus, keinem gezielten Abschuss.

epa11792901 A handout photo made available by the press service of the Ministry for Emergency Situations of Kazakhstan shows emergency specialists working at the crash site of a passenger plane near A ...
Notfallspezialisten bei der Arbeit an der Absturzstelle.Bild: keystone

Kiew weist Moskau Schuld für Flugzeugabsturz zu

Die Ukraine sieht die Schuld für den Absturz bei Russland. Moskau müsse für den «Abschuss» der Maschine der Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines zur Verantwortung gezogen werden, erklärte der Chef der ukrainischen Präsidialverwaltung, Andrij Jermak, auf der Plattform Telegram.

Russland hatte zuvor vor Spekulationen gewarnt und dazu aufgerufen, die Ermittlungsergebnisse zur Absturzursache abzuwarten.

Mehrere Medien hatten unter Berufung auf namentlich nicht genannte aserbaidschanische Regierungsquellen berichtet, die Maschine sei durch den Einsatz einer russischen Flugabwehrrakete abgestürzt.

Die Ukraine setzt in ihrem Abwehrkampf gegen den russischen Angriffskrieg immer wieder auch auf Drohnenangriffe. Zuletzt hatte es im Nordkaukasus mehrere solcher Angriffe gegeben, weshalb Russland seine Flugabwehr einsetzte. Immer wieder wird im Zuge solcher ukrainischen Attacken auch der Betrieb auf russischen Flughäfen zeitweilig eingestellt.

Flüge in viele russische Ziele eingestellt

Aserbaidschan stellte seine Flugverbindungen in zehn russische Städte ein. Von diesem Samstag an werde es keine Flüge mehr von Baku nach Sotschi, Wolgograd, Ufa, Samara, Mineralnye Wody, Grosny, Machatschkala, Wladikawkas, Nischni Nowgorod und Saratow geben, teilte die Fluggesellschaft Azerbaijan Airlines mit. Demnach kehrte am Freitag eine Maschine nach Baku zurück, weil am russischen Zielflughafen Mineralnye Wody im Nordkaukasus der Luftraum gesperrt war.

In Kasachstan setzte die Fluggesellschaft Qazaq Air für einen Monat aus Sicherheitsgründen Flüge von der Hauptstadt Astana in die russische Metropole Jekaterinburg am Ural aus. Flüge nach Omsk und Nowosibirsk in Sibirien gebe es aber weiter, hiess es.Zuvor hatte die russische Luftfahrtbehörde an einigen Flughäfen im Land erneut aus Sicherheitsgründen vorübergehend keine Starts und Landungen erlaubt. Details wurden nicht genannt.

Azerbaijan Airlines will der Mitteilung zufolge weiter die Flughäfen in Moskau, St. Petersburg, Kasan, Astrachan, Jekaterinburg und Nowosibirsk anfliegen.

Aserbaidschan will keine Hilfe aus Tschetschenien

Aserbaidschan lehnt nach einem Medienbericht angebotene Hilfen der russischen Region Tschetschenien (wo das Flugzeug ursprünglich hätte landen sollen) für Opfer des Flugzeugabsturzes ab. «Weder der Staat noch die Bürger werden solche Hilfe annehmen», zitierte das aserbaidschanische Portal Day.az einen nicht genannten Vertreter der Führung in Baku.

Der zitierte Vertreter des Präsidialamtes in Baku wiederholte indes eine bislang nur inoffiziell kommunizierte Forderung an Moskau: «Aserbaidschan verlangt eine Anerkennung der Tatsache, eine Entschuldigung und die Zahlung entsprechender Entschädigung.» Die Führung in Baku operiert derzeit mit solchen verdeckten Äusserungen, mit denen Medien gezielt versorgt werden.

Offiziell teilte das Präsidialamt mit, Staatschef Ilham Aliyev habe mit seinem kasachischen Kollegen Kassym-Schomart Tokajew telefoniert. Dabei habe er für die professionellen Rettungsarbeiten und die gute medizinische Betreuung der Opfer gedankt. Beide Präsidenten seien sich einig, dass die Absturzursache durch die laufenden Untersuchungen vollständig aufgeklärt werden könne. (sda/dpa)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
1 / 37
2 Jahre Ukraine-Krieg in 34 Bildern
Von ihrem Nachbarn überfallen, kämpft die Ukraine ums Überleben. In dieser Bildstrecke schauen wir auf die Ereignisse seit der Invasion Russlands zurück ...
quelle: keystone / bo amstrup
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Strassenkampf, Feuerwerk-Minigun und Bandauftritt – Videos zeigen die Proteste in Georgien
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
77 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Jobara64
27.12.2024 15:01registriert Dezember 2024
Was haben westliche Staaten vor Beginn des Angriffskriegs nicht alles versucht, damit es keinen Angriffskrieg gibt. Richtig bekniet hatte man den ‚eiskalten‘ Mann im Kreml. Doch er zog es vor, gnadenlos zu handeln.

Für die Auswirkungen des Angriffskrieges will der Kreml jedoch keine Verantwortung übernehmen.
683
Melden
Zum Kommentar
avatar
stronghelga
27.12.2024 15:07registriert März 2021
„Physische und technische Störungen von aussen“. Aus Spekulation wird zunehmende Gewissheit. Die Drohnenversion ist absurd - eine Korrelation wäre im absoluten Zufallsbereich, so dass wohl das permanent feststellbare russische Unvermögen gepaart mit der Menschenverachtung für den Absturz verantwortlich ist. Malaysia-Airlines-Flug 17 sei hier mahnendes Beispiel.
412
Melden
Zum Kommentar
avatar
Magnum
27.12.2024 16:14registriert Februar 2015
Ach, was für ein kreativer Euphemismus, "physische und technische Störung von aussen". Gehen Vögel als technische Störung durch, oder ist das eine diskrete Art, die Absturzursache in Massnahmen der russischen Flugabwehr zu sehen, ohne es zu sagen?

Aber immer schön dran denken, dass Berufslügner Peskov vor Spekulationen gewarnt hat. Was in meinen Augen auch ein verschleiertes Eingeständnis vom Kreml war, dass die eigene Armee Mist gebaut hat.
362
Melden
Zum Kommentar
77
    Papst Franziskus kritisiert Trump wegen Abschiebungen
    Einen Tag vor der Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident hat Papst Franziskus dessen Pläne für eine restriktive Migrationspolitik kritisiert.

    Ein zentrales Wahlversprechen des Republikaners ist nach seinen Worten die «grösste Abschiebungsaktion in der Geschichte der USA». Auf diese Pläne angesprochen sagte Franziskus in einem Interview im italienischen Fernsehen:

    Zur Story