Bis vor kurzem waren Schwarze Migrantinnen und Migranten in Tunesien noch geduldet. Trotz stets schwelendem Rassismus fanden sie üblicherweise schnell Arbeit und eine Wohnung. Eine Rede des tunesischen Präsidenten am 21. Februar änderte dies jedoch schlagartig.
An jenem Nachmittag wandte sich Kais Saied vor laufenden Kameras an die Generäle des Nationalen Sicherheitsrates und polterte gegen Migrantinnen und Migranten aus dem subsaharischen Afrika los:
Solche rassistischen Aussagen sind in dem nordafrikanischen Land eigentlich verboten: Im Jahr 2018 leistete Tunesien mit der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 50 zur «Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung» Pionierarbeit im Nahen Osten und Nordafrika. Mit dem Gesetz wurden rassistische Äusserungen und Handlungen sowie Aufstachelung zu Hass unter Gefängnisstrafe gestellt. Von diesem Geist ist in Saieds Rede nichts mehr zu spüren:
Seine Rhetorik ist angelehnt an die Theorie des «Grossen Austauschs», welche in der rechtsextremen und rechtspopulistischen Ideologie beheimatet ist. Sie unterstellt den Nicht-Weissen, mit der Einwanderung gezielt die weisse Bevölkerung ersetzen zu wollen. Im Gegensatz zur Theorie des «Grossen Austauschs» glaubt Saied an eine Verschwörung der Schwarzen Bevölkerung gegenüber der arabischen:
Viele Schwarze Migrantinnen und Migranten leben gar nicht in Tunesien: Laut einer Schätzung von 2021 kam das Land bei einer Gesamtbevölkerung von 12 Millionen auf eine Zahl von 21'000 Migrantinnen und Migranten, die nicht aus dem Maghreb stammten. Eine eigentlich relativ kleine Bevölkerungsgruppe, die mit Saieds Rede plötzlich zum Feindbild erklärt wurde.
Nur zwei Stunden nach Saieds Rede begann die Polizei in der Hafenstadt Sfax, wo die meisten Migrantinnen und Migranten leben, mit einer Verhaftungswelle.
Der aus der Elfenbeinküste stammende Noël Hounkpatin erzählt gegenüber der Süddeutschen:
Bis vor kurzem seien er und seine zwei Freunde in der tunesischen Handelsstaat Sfax noch willkommen gewesen. Doch praktisch über Nacht seien Migrantinnen und Migranten aus ihren Wohnungen geschmissen worden und hätten ihre Jobs verloren. Viele Vermietende und Arbeitgebende fühlten sich durch die Rede Saieds berechtigt, Schwarze Migrantinnen und Migranten vor die Tür zu stellen. Andere wiederum befürchteten, dafür kriminalisiert zu werden, dass sie ihre Wohnungen an Schwarze Migrantinnen und Migranten vermieteten oder ihnen Arbeit boten. Doch nicht nur das: Sowohl die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch als auch Amnesty International berichten, wie die Anzahl verbaler und körperlicher Übergriffe gegenüber den Schwarzen Zugewanderten seit der Rede in die Höhe geschossen sei.
Viele von ihnen seien in ihren eigenen Wohnungen von Mobs überfallen worden, wobei ihnen alles Geld und ihre Smartphones gestohlen worden seien. Statt Hilfe von der Polizei zu erhalten, seien sie von ihr abgeführt worden – auch solche, die eigentlich Aufenthaltsbewilligungen hätten. Während einige von ihnen kurze Zeit später wieder auf freien Fuss gesetzt wurden, wurden andere in ein Haftzentrum in Tunis gebracht. Dort seien sie unter anderem gezwungen worden, Einwilligungen zur «freiwilligen Rückkehr» ins Heimatland zu unterschreiben. Amnesty International liegen Videos und Fotos vor, die zeigen, wie Migranten von Sicherheitsbeamten geschlagen werden.
In front of @Refugees in Tunis, a number of migrants &refugees are calling on the UN Agency to help evacuate them from Tunisia to any other country following the recent racist backlash targeting them in recent weeks.They’ve been there since 9 am this morning &no response just yet pic.twitter.com/txjl2WiDz9
— Ghaya Ben Mbarek غاية بن مبارك (@Ghaya_BM) March 21, 2023
Saieds Rede entfachte ein Klima der Angst und des Terrors, sodass sich viele Menschen nicht mehr aus den Häusern trauten. Die Lage für die Migrantinnen und Migranten war in den folgenden Tagen so prekär, dass die Elfenbeinküste und Guinea-Bissau Charter-Flüge organisierten, um die Menschen aus Tunesien zu evakuieren. Die nationale Fluggesellschaft der Elfenbeinküste, die Air Côte d'Ivoire, half bei der Rückkehr von 500 Bürgerinnen und Bürgern in ihr Heimatland. Bei ihrer Landung am 5. März in Abidjan wurden sie von Premierminister Patrick Achi persönlich begrüsst.
Le premier ministre de la Côte d'Ivoire Patrick Achi a accueilli les rapatriés de Tunisie. Saied est le premier président au monde à appliquer le programme de remigration forcée de l'extrême droite en permettant le lynchage des étrangers par la population pr qu'ils fuient le pays pic.twitter.com/hqmEU1YC3M
— Le M (@doflamingott) March 5, 2023
Fachleute der Bürgerinitiative Terre d'Asile schätzen, dass seit Saieds Rede mindestens die Hälfte aller Menschen aus Mali, der Elfenbeinküste, Guinea-Bissau, dem Kongo und weiteren Ländern Sfax verlassen haben. Während die Hälfte aller dieser Menschen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt sei, seien etwa 20 Prozent in Boote nach Italien gestiegen.
Am Samstag und Sonntag vergangenen Wochenendes kamen allein auf der italienischen Insel Lampedusa mehr als 3000 Menschen an, wie die italienische Nachrichtenagentur ANSA am Sonntag berichtete. Am Samstag erreichten demnach insgesamt 1387 Menschen die kleine Insel. Am Freitag waren es sogar 1778 Menschen.
Lampedusa liegt zwischen Sizilien und Nordafrika, von der tunesischen Küstenstadt Sfax ist die Insel knapp 190 Kilometer entfernt.
The situation in the #Mediterranean is chaotic. Thousands of people have arrived on Lampedusa in recent weeks, some in entirely unseaworthy boats, bodies are still being recovered from the shipwreck off Crotone, and at least 29 people lost their lives off Tunisia at the weekend. pic.twitter.com/coUjf0OVS5
— Sea-Watch International (@seawatch_intl) March 29, 2023
Obwohl sich die Wetterverhältnisse für die Mittelmeerüberfahrt nun bessern, bleibt die Überfahrt in den dafür völlig ungeeigneten Booten ein grosses Risiko. Erst am Freitag kamen bei einem erneuten Bootsunglück vor der Küste Tunesiens 29 Menschen ums Leben. Das Boot mit Dutzenden Migranten an Bord sei am Freitag gesunken, sagte ein Vertreter des Gerichts in der Stadt Sfax. Auch in den vergangenen Tagen seien bereits Boote verunglückt. Die tunesische Küstenwache barg sieben Leichen, darunter vier Kinder und ein Baby.
Dass sich auf den Booten auch viele Tunesierinnen und Tunesier befinden, verschweigt Saied. Er kämpft gegen seine rapide sinkenden Beliebtheitswerte, nachdem er 2019 bei seiner Wahl zum Präsidenten noch als Hoffnungsträger gegolten hatte.
Viele Menschen in Tunesien kämpfen Tag für Tag darum, über die Runden zu kommen. Lebensmittel sind teuer und mitunter knapp geworden. In Geschäften bitten Mütter inständig darum, mehr als die erlaubte eine Packung Milch pro Person kaufen zu dürfen. Auch Zucker und Butter gibt es derzeit nur selten. Immer mehr junge Tunesierinnen und Tunesier machen sich auf den Weg nach Europa, um dort Arbeit und eine Perspektive zu finden. Die Politik hat bislang keine Lösungen für die wirtschaftlichen Verwerfungen und die hohe Arbeitslosigkeit im Land gefunden.
Mit seiner rassistischen Rhetorik versuche der Präsident von den wahren Problemen abzulenken, glaubt Intissar Fakir, wie sie gegenüber dem Sender VOA Africa erklärt. Sie ist Senior Fellow und Direktorin des Programms für Nordafrika und die Sahelzone. Es seien noch immer mehrheitlich Tunesierinnen und Tunesier, die in der Hoffnung auf bessere Perspektiven das Mittelmeer überquerten.
Doch Kritik will sich Saied keine anhören: Im Februar hatte der Präsident laut Human Rights Watch innert zwei Wochen elf Regierungskritiker, darunter Politiker, Richter und ein Journalist, festgenommen. Ihnen wurden etwa Korruption und «Verschwörung gegen die Staatssicherheit» vorgeworfen.
Bereits im vergangenen Jahr liess Saied das Parlament auflösen. Im letzten Dezember wurde schliesslich eine neue, deutlich geschwächte Volksvertretung gewählt. Zudem führte er eine umstrittene neue Verfassung ein, dank der er auch eigenmächtig Richter ernennen und entlassen darf.
Die internationalen Reaktionen auf Saieds Rede und die sich dadurch entfaltende Krise fielen scharf aus. Die Afrikanische Union schrieb in einer Stellungnahme:
The Chairperson of the African Union Commission @AUC_MoussaFaki strongly condemns the racial statements on fellow Africans in #Tunisia.https://t.co/9joF5kzhaY pic.twitter.com/7DQPkEYLkg
— African Union (@_AfricanUnion) February 25, 2023
Tunesien will von alldem nichts wissen. Am 2. März schrieben sie in einer Stellungnahme auf Facebook, dass keine Migrantinnen und Migranten aus der Subsahara zur Ausreise gezwungen worden seien. Sie wiegelten ab:
Am 5. März verkündete die Regierung schliesslich trotz «grosser Verwunderung» gegenüber den Vorwürfen des Rassismus neue Massnahmen, um Migrantinnen und Migrantinnen im Land besser zu schützen und zu unterstützen. So sollen sich etwa ausländische Studierende einfacher registrieren können, die freiwillige Rückkehr soll erleichtert werden sowie eine Hotline zur Meldung von Übergriffen eingerichtet werden.
Für viele internationale Organisationen, wie auch Human Rights Watch, ist das nicht gut genug. Es seien weder kriminelle Übergriffe auf Schwarze Migrantinnen und Migranten verurteilt, noch die dafür verantwortlichen Personen zur Rechenschaft gezogen worden. Laut Salsabil Chellali, Tunesiens Direktorin von Human Rights Watch, habe der Präsident mit seiner Rede einen gefährlichen Stein ins Rollen gebracht:
Sie sieht sein Vorgehen gegen die Migrantinnen und Migranten in einem grösseren Kontext, indem er ohne Rücksicht auf Verluste zunehmend Richtung Autokratie schreitet:
Die Verzweiflung sowohl bei den Schwarzen Migrantinnen und Migranten als auch bei der tunesischen Bevölkerung ist riesig. Und so begeben sich viele von ihnen an die Strände nördlich von Sfax, wo sie die kleinen Boote mit nichts als Hoffnung im Gepäck besteigen.
(Mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa)
Dann geht es ihm noch um 21‘000 Migranten, bei 12 Millionen Einwohnern.
Kann der sich selber ernst nehmen?
"Es kommen immer noch Horden illegaler Einwanderer aus Nordafrika, mit all der Gewalt, der Kriminalität und den inakzeptablen Praktiken, die damit einhergehen."
«Es kommen immer noch Horden illegaler Einwanderer aus ..., mit all der Gewalt, der Kriminalität und den inakzeptablen Praktiken, die damit einhergehen." Die Blaupause.
Auf der ganzen Welt finden sich solche, die zu einer unerwünschten Horde gehören.