Sommer 1958 in Basel: Wieder einmal tauschen sich die politische Theoretikerin Hannah Arendt und ihr philosophischer Lehrmeister und Freund Karl Jaspers über die Entwicklung in Israel aus. Besonders dessen jüdische Frau Gertrud Jaspers sorgt sich um das von Feinden umgebene Land. Arendt schickt den Jaspers daraufhin eine Studie zur Lösung des palästinensischen Flüchtlingsproblems, an der sie mitgearbeitet hat.
Nach dem Zweiten Weltkrieg sind elf Millionen Menschen auf der Flucht. Die meisten von ihnen können innerhalb weniger Jahre in ihre alte Heimat zurückkehren oder finden eine neue Heimat. Nicht so die palästinensischen Flüchtlinge: Für sie (damals schätzungsweise eine Million Menschen) gibt es 1958, zehn Jahre nach der Gründung Israels, keinen Plan.
Sie leben unter oft menschenunwürdigen Bedingungen, ohne Bürgerrechte, ohne Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen. Die über den ganzen Nahen Osten verteilten Flüchtlinge sind das «Hindernis» für Frieden in der Region, wie Hannah Arendt analysiert.
Jaspers deutet in seiner Antwort an, worum es dabei im Kern geht: Kommt es zu einem «Durchdenken der konkreten Lage aus reiner Vernunft und Menschlichkeit», oder bleiben alle Parteien in ihren Emotionen und Feindbildern gefangen? Der Lösungsvorschlag von Arendt und ihren Mitstreitern werde zunächst «mehr Juden als Araber überzeugen», mutmasst Karl Jaspers.
Die ganze Wahrheit ist: Der Bericht «Das palästinensische Flüchtlingsproblem: Ein neuer Ansatz und ein Plan für eine Lösung» ist von keiner Seite ernsthaft aufgegriffen und erst vor kurzem von Forscherinnen wiederentdeckt worden. Die Studie ist jedoch heute noch brisant: Zuerst muss die Lage der Palästinenser verbessert werden, ehe an Friedensbemühungen zu denken ist.
Hannah Arendt plädiert dafür, alles emotional Belastende auszuklammern. Damit ist vor allem die Schuldfrage gemeint. An der Situation der Flüchtlinge ändere sich nichts, wenn darüber gestritten wird, wer für die katastrophalen Zustände verantwortlich sei, ob die israelischen Streitkräfte, die die Palästinenser vertrieben haben oder eher die Araber, die sie zur Flucht aufforderten, oder die umliegenden Regime, die zum Teil eine Integration der Flüchtlinge absichtlich verhinderten.
Egal sei auch, wie Arendt und Co. schreiben, ob manche Menschen sich nur als Flüchtlinge ausgeben würden, weil die Versorgung in den Flüchtlingslagern immer noch besser sei als in den Nachbarländern. Ebenfalls keine Rolle sollten historische Besitzansprüche auf Palästina spielen. Das aktuelle Flüchtlingsproblem lasse sich nicht lösen, «indem man über die relative Legitimität von Eroberungsansprüchen von vor dreitausend, tausend oder zehn Jahren diskutiert».
Den vertriebenen Palästinensern ein «normales Leben» zu ermöglichen, müsse höchste Priorität haben. Arendt setzt sich für eine UNO-Repatriierungsbehörde ein. Den Flüchtlingen sei die «volle Staatsbürgerschaft Israels» zuzusprechen, sofern sie sich zum Staat Israel bekennen und «mit friedlichen Absichten» dort leben wollen.
Der Text zeigt Hannah Arendt nicht als stramme Antizionistin, als die sie manchmal hingestellt wird. Auch wenn sie die israelische Politik kritisiert, engagiert sie sich doch für den jüdischen Staat. Tatsächlich hat sich Israel geweigert, eine grosse Anzahl von Flüchtlingen aufzunehmen, wie es der Bericht verlangt. Das sei wirtschaftlich nicht verkraftbar, verzerre auch den «jüdischen Charakter des Staates» und fördere die Bildung einer «fünften Kolonne», die Israels Existenz als unabhängige Nation sabotiere.
Diese Befürchtungen kann Arendts Studie nicht zerstreuen, zumal der einzige gemeinsame Nenner, der sich in den umliegenden Staaten finden lässt, ein zum Teil rabiater Antisemitismus ist, der nicht erst mit dem Sechstagekrieg aufkommt, sondern schon um 1958 stark verbreitet ist.
Gerade der ägyptische Präsident Nasser zelebriert seinen Israelhass und geizt nicht mit Vernichtungsdrohungen. Hannah Arendt täuscht sich über diesen arabischen Judenhass nicht hinweg. Die Sorge um die Sicherheit Israels hält sie zwar nicht vom Verfassen des Flüchtlingsberichts ab, hat aber wohl dazu beigetragen, dass sie den Plan dann nicht weiterverfolgt.
Das nicht leicht lesbare, doch aufschlussreiche, von Thomas Meyer hervorragend edierte Buch «Über Palästina» enthält noch einen weiteren unbekannten Text von Arendt zum Palästinenserproblem. Der Essay «Amerikanische Aussenpolitik und Palästina» von 1944 bezieht sich auf eine Resolution in den USA, die eine «nationale Heimstätte für die Juden in Palästina» forderte. Sie hatte aber trotz des Holocausts, der in Europa in vollem Gang war, keine Chance auf Umsetzung.
Arendt spricht von einem «schweren Schlag» für das «jüdische Volk» und auch für jene Amerikaner, denen «die Sache der Freiheit und Sicherheit der kleinen Nationen am Herzen liegt». Der Grund sei nicht Antisemitismus, sondern das Öl. Deshalb wolle man es sich mit den arabischen Staaten nicht verderben, die gegen die Gründung eines jüdischen Staates in Palästina sind.
Damit übernehmen die USA, so Arendt, die Politik nach dem Vorbild Grossbritanniens, das Araber wie Juden lediglich als «Kolonialvölker» behandelt. Nicht politische, sondern wirtschaftliche Interessen hätten Vorrang. Noch während des Zweiten Weltkriegs erkennt Hannah Arendt hellsichtig, dass der Nahe Osten zum «künftigen Pulverfass der Welt» würde. (aargauerzeitung.ch)
Je grösser die Judenverfolgung in Europa wurde, reisten immer mehr Juden in ihr gelobtes Land dadurch wurden die Palästinenser immer mehr verdrängt.
Dann wurde Palästina zum britischen Mandatsgebiet. Immer mehr Juden kamen Palästinenser wurden immer mehr verdrängt. Damit waren sie, nachvollziehbar nicht einverstanden.
Dann übernahm die UNO. Warum nur hat sie sich bei der Staatsgründung zurückgezogen? Das hätte weiter begleitet werden sollen.