Im Kino geht es manchmal ganz schnell: Im Film «The Day After Tomorrow» ziehen hurrikanähnliche Stürme über die nördliche Erdhalbkugel, in deren Augen dreistellige Minustemperaturen herrschen. Menschen erfrieren innerhalb von Sekunden und jene, die sich in eine Bibliothek retten, überleben nur, weil sie Bücher verbrennen. Der Grund für die Katastrophe: Der Golfstrom ist aufgrund der globalen Erwärmung zusammengebrochen.
Alles nur Fiktion? Nicht ganz. Natürlich ist die Geschichte völlig überzeichnet. Doch die atlantische Ozeanzirkulation spielt tatsächlich eine Hauptrolle in unserem Klimasystem – ganz besonders in jenem von Europa. Denn der Golfstrom transportiert Wärme aus den subtropischen Gebieten hierher.
Bliebe diese aus, würde es in Europa deutlich kühler werden. Je nach Region könnten die Jahresmitteltemperaturen bis zu 15 Grad kälter ausfallen, warnte vor rund einem Jahr ein niederländisches Forschungsteam. Besonders stark betroffen wäre Europas Nordwesten. Als Beispiel führten die Forschenden das Beispiel der Stadt Bergen in Norwegen an. Dort könnte es pro Jahrzehnt um mehr als drei Grad kälter werden.
Eine Abschwächung oder gar ein Ausbleiben des Golfstromsystems hätte somit schwerwiegende Folgen und gehört zu den gefürchteten Folgen des Klimawandels. Doch vieles dabei ist unklar: Ist diese Entwicklung bereits angelaufen? Und wenn ja: Wann kollabiert das System? Darüber debattiert die Fachwelt.
Nun zeigt eine Studie der Universität Bern und der Woods Hole Oceanographic Institution in den USA, dass die atlantische Zirkulation in den vergangenen sechzig Jahren stabil geblieben ist. Die Ergebnisse, publiziert im Fachmagazin Nature Communications, überraschen. In der jüngsten Vergangenheit sorgten Klimamodelle für Aufsehen, die eine Abschwächung auswiesen.
So sorgten dänische Forscher für Schlagzeilen, weil sie den Kollaps des Golfstroms zwischen 2025 und 2095 prognostizierten. Ihre Studie provozierte viel Kritik aus den eigenen Reihen. Denn die dänischen Forschenden stützten sich vor allem auf die veränderten Oberflächentemperaturen im Nordatlantik. Doch das gesamte System ist komplexer und werde von vielen Faktoren beeinflusst, so der Tenor der Kritik.
Berner Forschende rund um Jens Terhaar von der Abteilung für Klima- und Umweltphysik haben deshalb einen anderen Ansatz gewählt. Sie fokussierten sich auf den Wärmeaustausch zwischen Luft und Meer. Dieser ist eng mit der atlantischen Umwälzströmung verbunden, zu welcher auch der Golfstrom gehört: Wird diese atlantische Umwälzströmung, auch AMOC genannt, schwächer, transportiert sie weniger Wärme nach Norden. In der Folge wird nicht nur das Wasser im Nordatlantik, sondern dann auch das Klima in Europa kälter. Und im Süden heizt sich mangels Umwälzung der Ozean zusätzlich zur Erhitzung durch den Klimawandel auf.
Doch die Berner Forschenden haben gesehen, dass, wenn weniger warmes Wasser in den Norden gelangt, der Wärmeaustausch einfach vermehrt über die Luft in der Atmosphäre stattfindet. «Das System ist stabil», sagt Jens Terhaar. Was grundsätzlich gut klingt, will er nicht als Entwarnung verstanden haben. Der Klimawandel werde «mit Sicherheit» die atlantische Zirkulation abschwächen, halten er und sein Team fest.
Laut Terhaar wird das noch in diesem Jahrhundert passieren, wenn sich das Klima weiter erwärmt. «Bloss sind die prognostizierten Kipppunkte gemäss unseren Beobachtungen wahrscheinlich noch etwas weiter in der Zukunft als bisher vermutet.»
Künftig wird das einfacher zu beobachten sein, denn seit 2004 kann die atlantische Umwälzströmung direkt gemessen werden – nur für Abschätzungen der Strömung über mehrere Jahrzehnte, wie es Terhaar gemacht hat, muss man auf komplexere Daten zurückgreifen.
Obwohl der neue Ansatz zwar robustere Rekonstruktionen hervorbringe, sei auch dieser nicht frei von «Einschränkungen und Vorbehalten», halten die Forschenden fest. Klimamodelle könnten nicht alle Prozesse abbilden, welche die atlantischen Meeresströmungen beeinflussen. Als Beispiel verweisen sie auf das Süsswasser, das durch das Schmelzen des Eises in Grönland und der Antarktis frei wird.
Denn die Meeresströmungen funktionieren wie ein globales Förderband – angetrieben durch die Dichteunterschiede des Wassers. In Polnähe ist das Wasser relativ salzig und somit vergleichsweise schwer. Dadurch sinkt es in die Tiefe und fliesst dort zurück in den Süden.
Dieses System wird in der Zukunft gestört durch das Süsswasser der schmelzenden Eisschilder und der zunehmenden Regenfälle. Sie verdünnen das Meereswasser des Nordatlantiks, wodurch der Salzgehalt und die Dichte abnehmen. Die Folge: Das Wasser wird leichter und fliesst dadurch nicht mehr gleichermassen zurück in den Süden. Dadurch gerät die gesamte Umwälzung ins Stocken. In der Folge nähme auch der atlantische Wärmetransport vom Süden ab – oder bliebe ganz aus.
Doch zwischen 1963 und 2017 war dieser Einfluss nicht sichtbar und das Golfstromsystem hatte sich nicht abgeschwächt.
Aber Spass beiseite, das Gesamtsystem reguliert sich selber, wenn wir unseren menschlichen Einfluss nicht regulieren können. Und mit dieser natürlichen Selbstregulierung des Systems müssen wir dann zu leben versuchen, ob sie uns passt, oder nicht.
Wir fragen andere Lebewesen schliesslich auch nicht, ob es ihnen passt, wie wir mit ihnen umgehen und fuhrwerken.