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«Der Widerstand ist auch an den Westen adressiert»

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Ukrainische Zivilisten üben das Schiessen, Lemberg, 30 Juli 2022Bild: keystone

«Der Widerstand ist auch an den Westen adressiert» – Experte erklärt den Partisanenkrieg

In der Südukraine häufen sich seit Anfang Juni Anschläge und Sabotageakte gegen die russischen Besatzer. Strategieexperte Mauro Mantovani von der Militärakademie der ETH Zürich erklärt, wie die Partisanen die Moral der russischen Truppen schwächen.
31.07.2022, 19:0031.07.2022, 22:00
Hans-Caspar Kellenberger / ch media
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Die ukrainische Armee hat mit ihrer Gegenoffensive zur Rückeroberung der besetzten Gebiete im Süden des Landes begonnen. Gemäss ukrainischen Angaben wurden bereits einige kleinere Ortschaften im Oblast Cherson zurückerobert. Ziel des ukrainischen Militärs ist es, die russischen Besatzungstruppen wieder hinter den Fluss Dnipro zurückzudrängen.

Die russischen Streitkräfte versuchen indes, ihre Stellungen bei Cherson und Saporischschja zu härten. Und dabei werden sie schon seit Monaten gestört. Dafür verantwortlich sind neben den Artillerieangriffen der regulären ukrainischen Streitkräfte auch sogenannte Partisanen – Gruppierungen von Rebellen, welche hinter der Frontlinie in den besetzen Gebieten agieren.

«Partisanen sind militärisch oft gut ausgebildet»

In den okkupierten Städten wie Berdjansk, Cherson oder Melitopol häufen sich seit Anfang Juni Anschläge und Sabotageakte gegen russische Soldaten, ukrainische Kollaborateure und militärische Infrastruktur, wie auch das amerikanische «Institute for the Study of War» (ISW) schreibt.

Zudem ist es gemäss dem ISW wahrscheinlich, dass kleine Teams von militärischen Spezialisten Widerstandszellen im ganzen Süden ausbilden. Das bestätigt auch Milak-Dozent Mauro Mantovani:

«Partisanen sind oftmals versprengte Soldaten der regulären Armee, die sich einer Gefangennahme entziehen wollen, oder Veteranen. In beiden Fällen sind sie militärisch gut ausgebildet.»
Mauro Mantovani
Strategieexperte Mauro Mantovani von der Militärakademie an der ETH Zürich erklärt die Partisanentaktik der Ukraine in den von Russland besetzten Gebieten.Bild: zvg

War die Häufung der Sabotageakte in den vergangenen zwei Monaten der geplante Vorbote der ukrainischen Gegenoffensive? Mantovani sagt: Widerstandsbewegungen haben immer mehrere Adressaten:

«Die Verbündeten – in diesem Fall der Westen - sollen davon überzeugt werden, dass der eigene Kampfwille ungebrochen ist. Zudem soll die Bevölkerung in den besetzten Gebieten dazu ermuntert werden, selbst zu den Waffen zu greifen. Anschläge auf Exponenten des Besatzungsregimes sind weiter auch als Warnung an Kollaborationswillige in der lokalen Bevölkerung zu verstehen.»

Und natürlich, so Mantovani, soll der Widerstand den Gegner schwächen.

Eine Schwächung des Gegners hinter den Frontlinien erhöht die Erfolgsaussichten einer Offensive mit regulären Streitkräften. «Durch die Anschläge soll der russischen Armee physischer Schaden zugefügt werden, indem militärische Stützpunkte oder logistische Knotenpunkte ausgeschaltet werden», sagt Mantovani. Andererseits soll in der Besatzungsarmee die Angst umgehen, «namentlich das bestimmte Gefühl, nirgends sicher zu sein - und auch nicht als ‹Befreier› angesehen zu werden».

Psychologische Vorteile

Durch die Anschläge und Sabotageakte muss die russische Armee erstens den von den Partisanen verursachten physischen Schaden beheben und zweitens Truppenkontingente abstellen, um hinter der Front die Versorgungslinien zu sichern. «Beides verschärft die Personalknappheit bei der russischen Armee», sagt Mantovani, und:

«Die Moral der russischen Armee, die offenkundig schon tief ist, wird durch die Partisanen weiter geschwächt.»

Dies werde sich auf die Rekrutierungszahlen auswirken. Somit kann die Partisanentaktik der Ukraine einen strategischen Vorteil verschaffen, sowohl in physischer als auch in psychologischer Hinsicht. Auf Letzterer baue auch die gewählte Bezeichnung «Partisanen» auf. Denn: «Die Bezeichnung spielt auf die Partisanengruppen an, die im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Wehrmacht kämpften», sagt Mantovani.

«Die Botschaft ist hier eine doppelte: Die Partisanen waren damals auf der richtigen Seite und unterstützten den Kampf gegen den Faschismus. Andererseits war es ein russisch-ukrainischer Schulterschluss.» Eine starke Botschaft im Propagandakrieg also, in welchem Russland der ukrainischen Regierung vorwirft, faschistisch zu sein.

Valik Vladimirovich plays, dressed as a soldier, in Stoyanka on the outskirts of Kyiv, Ukraine, Monday, May 30, 2022. (AP Photo/Natacha Pisarenko)
Es ist davon auszugehen, dass die Bevölkerung die Partisanen unterstützt: Walik Wladimorowitsch spielt Soldat, 30. Mai 2022.Bild: keystone

Zunehmende Repression durch die Besatzer

«Allerdings», gibt Mantovani zu bedenken, «erfuhren Partisaneneinheiten in der Vergangenheit meist erst dann grösseren Zulauf, wenn sich die Kriegslage zum Nachteil der Aggressoren änderte.» So zum Beispiel in Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg. Die eigentliche Kriegswende wurde in aller Regel durch reguläre, also staatliche Streitkräfte herbeigeführt. Auch gegenwärtig sollte die Anzahl der aktiven Partisanen in den von Russland besetzten Gebieten deshalb nicht überschätzt werden.

Die russischen Besatzer werden zudem, «wie alle Besatzungsarmeen der Geschichte», mit zunehmender Tätigkeit der Partisanen «mit Repressalien gegen die Zivilbevölkerung reagieren», sagt Mantovani. Dies, weil sie – mit gutem Grund – davon ausgehen, dass die Bevölkerung die Partisanen unterstützt. Tatsächlich sagte der ukrainische Partisanenführer Volodimir Zhemchugov unlängst, dass im Oblast Cherson bereits über 250 Menschen festgenommen worden seien, weil sie im Verdacht stünden, dem Widerstand anzugehören.

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15 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Stefan Sowieso
31.07.2022 21:00registriert Juli 2020
Die haben unendlich Mut. Und bei uns fühlen sie sich unwohl, wegen Dreadlocks. Wie unendlich verkommen wir doch sind.
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malu 64
31.07.2022 20:06registriert September 2014
Gib Ihnen Sicherheit und sabotiere was du kannst! Damit der Nachschub ins Stocken kommt, Molotows in ihre Quartiere schmeißen, die Stromzufuhr kappen usw. Ihnen das Leben so schwierig wie möglich zu gestalten!
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Chill Dude
01.08.2022 09:20registriert März 2020
Die Ukrainer verteidigen die Freiheit Europas. Putin möchte sein Imperium bis nach Lissabon ausdehnen und Kadyrov den Dschihad nach Berlin bringen.
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