Die ukrainische Armee hat mit ihrer Gegenoffensive zur Rückeroberung der besetzten Gebiete im Süden des Landes begonnen. Gemäss ukrainischen Angaben wurden bereits einige kleinere Ortschaften im Oblast Cherson zurückerobert. Ziel des ukrainischen Militärs ist es, die russischen Besatzungstruppen wieder hinter den Fluss Dnipro zurückzudrängen.
Die russischen Streitkräfte versuchen indes, ihre Stellungen bei Cherson und Saporischschja zu härten. Und dabei werden sie schon seit Monaten gestört. Dafür verantwortlich sind neben den Artillerieangriffen der regulären ukrainischen Streitkräfte auch sogenannte Partisanen – Gruppierungen von Rebellen, welche hinter der Frontlinie in den besetzen Gebieten agieren.
In den okkupierten Städten wie Berdjansk, Cherson oder Melitopol häufen sich seit Anfang Juni Anschläge und Sabotageakte gegen russische Soldaten, ukrainische Kollaborateure und militärische Infrastruktur, wie auch das amerikanische «Institute for the Study of War» (ISW) schreibt.
Zudem ist es gemäss dem ISW wahrscheinlich, dass kleine Teams von militärischen Spezialisten Widerstandszellen im ganzen Süden ausbilden. Das bestätigt auch Milak-Dozent Mauro Mantovani:
War die Häufung der Sabotageakte in den vergangenen zwei Monaten der geplante Vorbote der ukrainischen Gegenoffensive? Mantovani sagt: Widerstandsbewegungen haben immer mehrere Adressaten:
Und natürlich, so Mantovani, soll der Widerstand den Gegner schwächen.
Eine Schwächung des Gegners hinter den Frontlinien erhöht die Erfolgsaussichten einer Offensive mit regulären Streitkräften. «Durch die Anschläge soll der russischen Armee physischer Schaden zugefügt werden, indem militärische Stützpunkte oder logistische Knotenpunkte ausgeschaltet werden», sagt Mantovani. Andererseits soll in der Besatzungsarmee die Angst umgehen, «namentlich das bestimmte Gefühl, nirgends sicher zu sein - und auch nicht als ‹Befreier› angesehen zu werden».
Durch die Anschläge und Sabotageakte muss die russische Armee erstens den von den Partisanen verursachten physischen Schaden beheben und zweitens Truppenkontingente abstellen, um hinter der Front die Versorgungslinien zu sichern. «Beides verschärft die Personalknappheit bei der russischen Armee», sagt Mantovani, und:
Dies werde sich auf die Rekrutierungszahlen auswirken. Somit kann die Partisanentaktik der Ukraine einen strategischen Vorteil verschaffen, sowohl in physischer als auch in psychologischer Hinsicht. Auf Letzterer baue auch die gewählte Bezeichnung «Partisanen» auf. Denn: «Die Bezeichnung spielt auf die Partisanengruppen an, die im Zweiten Weltkrieg gegen die deutsche Wehrmacht kämpften», sagt Mantovani.
«Die Botschaft ist hier eine doppelte: Die Partisanen waren damals auf der richtigen Seite und unterstützten den Kampf gegen den Faschismus. Andererseits war es ein russisch-ukrainischer Schulterschluss.» Eine starke Botschaft im Propagandakrieg also, in welchem Russland der ukrainischen Regierung vorwirft, faschistisch zu sein.
«Allerdings», gibt Mantovani zu bedenken, «erfuhren Partisaneneinheiten in der Vergangenheit meist erst dann grösseren Zulauf, wenn sich die Kriegslage zum Nachteil der Aggressoren änderte.» So zum Beispiel in Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg. Die eigentliche Kriegswende wurde in aller Regel durch reguläre, also staatliche Streitkräfte herbeigeführt. Auch gegenwärtig sollte die Anzahl der aktiven Partisanen in den von Russland besetzten Gebieten deshalb nicht überschätzt werden.
Die russischen Besatzer werden zudem, «wie alle Besatzungsarmeen der Geschichte», mit zunehmender Tätigkeit der Partisanen «mit Repressalien gegen die Zivilbevölkerung reagieren», sagt Mantovani. Dies, weil sie – mit gutem Grund – davon ausgehen, dass die Bevölkerung die Partisanen unterstützt. Tatsächlich sagte der ukrainische Partisanenführer Volodimir Zhemchugov unlängst, dass im Oblast Cherson bereits über 250 Menschen festgenommen worden seien, weil sie im Verdacht stünden, dem Widerstand anzugehören.