«Einfach schlecht und korrupt»: US-General zeichnet verheerendes Bild der russischen Armee
Mark Hertling weiss, wovon er spricht – selbst wenn klar ist, auf wessen Seite er steht: Der 68-jährige Drei-Sterne-General im Ruhestand konnte sich als US-Truppen- und Nato-Kommandeur jahrelang ein genaues Bild der militärischen Situation in Osteuropa machen.
Mit der ukrainischen Armee stand er bis zu seinem Abschied 2012 im intensiven Austausch und unterstützte jahrelang deren Ausbildung im Rahmen des Programms «Theater Security Cooperation». Im Irak kommandierte er von 2007 bis 2009 die Multinationale Division Nord, die ebenfalls ein ukrainisches Truppenkontingent umfasste.
So können jene Aussagen zweifellos als kompetent und weiterführend bewertet werden, die Hertling am Donnerstag im US-Podcast «The Bulwark» machte. In diesem zeichnet er ein vernichtendes Bild der russischen Streitkräfte in der Ukraine.
Hertlings Kernaussagen:
- Die jetzige militärische Lage in der Ostukraine ist der Ausdruck einer langjährigen Entwicklung: Während sich die ukrainische Armee in den vergangenen 15 Jahren stetig positiv entwickelt hat, vor allem was die von westlicher Seite unterstützte Ausbildung des Offiziers- und Unteroffizierskorps sowie die taktische Schulung angeht, kannte die russische Armee in derselben Zeit nur eine Richtung: «abwärts, hin zu noch mehr Kleptokratie und Korruption».
- Neben Korruption, Diebstahl und Veruntreuung machen laut Hertling «lausige Rekrutierung, schlechte Ausbildung, schlechtes Training, grässliche Führung sowie die Art, wie Material beschafft wird und wie die eigenen Soldaten behandelt werden», Russlands Streitkräfte schlicht «zu einer schlechten Armee».
- Der Kreuzungspunkt dieser beiden Entwicklungsachsen sowie die Belieferung der Ukraine mit Hightechmaterial in den kritischen Kriegsphasen spiegle sich nun in den Ereignissen in der Ostukraine wider. Die westlichen Waffenlieferungen seien zwar ein wichtiger Faktor in einem komplexen Zusammenspiel, aber eben nicht die ganze Geschichte.
Man werfe ihm in diesen Tagen oft vor, erzählt Hertling im Podcast weiter, dass die russische Armee von seinen öffentlichen taktischen Analysen profitieren und für einen Gegenschlag ausnutzen könnte, doch darauf gebe er stets dieselbe Antwort: «Nein, kann sie nicht.» Denn:
Im Ukraine-Krieg traut der US-General den russischen Streitkräften dagegen keine erfolgreiche Reaktion mehr auf die ukrainischen Gegenoffensiven zu. Dafür müsste man zuerst schlicht das gesamte Armeepersonal («literally everyone») auswechseln. Danach ein jahrelanges Trainingsprogramm für Offiziere und Unteroffiziere in kombinierter Kriegsführung starten sowie «irgendwie» das defekte und abgenutzte Material ersetzen.
«Das alles braucht Zeit», folgert Hertling. Insbesondere dann, wenn man bloss über eine Armee mit all den zuvor beschriebenen Mängeln verfüge und dazu eine politische Führung, die sich komplett von ihrer Armee entfremdet («de-based») habe.
Im Kurznachrichtendienst Twitter stiess Hertling anschliessend nach. Er werde seine Aussagen verteidigen und «es mit jedem aufnehmen», der behaupte, sie seien nicht wahr.
Please excuse the self-promotion, but for those interested in why the Russian army can’t turn things around, this 6 minute clip is my explanation. And I’ll take on anyone who says it’s not true. https://t.co/lYw6nTlc4q
— Mark Hertling (@MarkHertling) September 14, 2022
US-General kanzelt höchsten deutschen General ab
Ebenfalls auf Twitter spielte sich gleichzeitig ein anderer Expertenstreit ab. Dort kanzelte General Ben Hodges, der ehemalige Oberkommandierende der US-Landstreitkräfte in Europa, eine Lageanalyse des höchsten deutschen Militärs, Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn ab.
Zorns Beurteilung auf «Focus.de» sei «erstaunlich schlecht», befand Hodges. Alleine Finnlands Armee sei im Stande, die Russen innert einer Woche zu besiegen. Zorn hatte zu «Focus» gesagt, er könne keine echte Gegenoffensive der Ukraine erkennen. Er sehe allenfalls Gegenstösse, mit denen man Russland aber nicht auf breiter Front zurückdrängen könne. Das vollständige Interview mit Zorn erscheint aber erst am Samstag. (bzbasel.ch)
