Mit Äusserungen zum Ukraine-Krieg zieht der Generalinspekteur der Bundeswehr internationale Kritik auf sich. In einem «Focus»-Interview spricht sich Eberhard Zorn gegen weitere Waffenlieferungen der Bundesrepublik an die Ukraine aus und warnt davor, dass Russland in Europa einen weiteren Krieg vom Zaun brechen könnte. In der Vorabmeldung des Interviews, das am Samstag erscheinen soll, nennt Zorn auch mögliche russische Angriffsziele.
«Kaliningrad, die Ostsee, die finnische Grenze, Georgien, Moldau… es gibt viele Möglichkeiten», so Zorn. «Die Fähigkeiten hätte Putin. Auch wenn etwa 60 Prozent seiner Landstreitkräfte im Ukraine-Krieg gebunden sind, verfügen die Landstreitkräfte sowie vor allem die russische Marine und Luftwaffe noch über ungebundene Kapazitäten. Würde Putin eine Generalmobilmachung anordnen, hätte er auch keine Personalprobleme.»
In den jüngsten Geländegewinnen der Ukrainer will Zorn dagegen «keine echte Gegenoffensive» erkennen, sondern allenfalls «Gegenstösse, mit denen man Orte oder einzelne Frontabschnitte zurückgewinnen kann».
Eine englische Version der Vorabmeldung kursierte am Donnerstag auch auf Twitter und löste dort viel Widerspruch gegen die Äusserungen des Bundeswehrgenerals aus. «Eine erschreckend dürftige Analyse der russischen Fähigkeiten, die leider beispielhaft für viele Entscheidungsträger in Deutschland steht», schrieb der frühere Kommandeur der US-Truppen in Europa, Ben Hodges. Und weiter:
Der britische Kriegsforscher und Experte für die russische Armee, Rob Lee, nennt die Äusserungen Zorns «wirklich bizarr» und rechnet vor, wie begrenzt die Kräfte des Kreml tatsächlich sind.
«Russland hatte schon im April etwa 85 Prozent seiner Kampfeinheiten im Feld, inklusive Marine und Luftlandetruppen. Diese Einheiten haben schwere Verluste erlitten, die russische Armee ist seitdem auf Freiwillige und Reservisten angewiesen», schreibt Lee auf Twitter.
Ähnlich reagierte der Militärexperte Gustav Gressel vom «European Council on Foreign Relations» auf das Zorn-Interview. «Das Vertrauen in Deutschland ist ohnehin nicht sehr gross, um es vorsichtig auszudrücken», schrieb Gressel auf Twitter. «Ich verstehe nicht, warum die Deutschen es noch schlimmer machen.»
Nach monatelangen Vorbereitungen hat die ukrainische Armee kürzlich Offensiven bei Cherson in der Südukraine und bei Charkiw im Nordosten des Landes gestartet. In der Region Charkiw haben die Ukrainer dabei nach eigenen Angaben innerhalb weniger Tage 300 Orte und etwa 150'000 Menschen von der russischen Besatzung befreit.
Auch aus dem Süden meldet Kiew Gebietsgewinne, wenn auch langsamer als im Nordosten. In Vorbereitung auf die ukrainischen Angriffe hatte die russische Armee ihre Kräfte im Süden verstärkt und dabei ihre Linien bei Charkiw geschwächt. In den befreiten Gebieten gibt es schon jetzt viele Hinweise auf russische Kriegsverbrechen.
Die jüngsten Erfolge der Ukrainer haben auch die Debatte über deutsche Waffenlieferungen neu angeheizt. Gerade jetzt sei dringender denn je geboten, die Ukraine mit Kampfpanzern wie dem Leopard 2, gepanzerten Truppentransportern und Schützenpanzern wie dem Marder zu beliefern, argumentieren Befürworter wie die FDP-Rüstungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Am Donnerstag kündigte die deutsche Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) die Lieferung weiterer Mehrfachraketenwerfer und Truppentransporter an die Ukraine an.
Ich halte ein gegenteiliges Szenario für wahrscheinlicher: Dass nämlich Putins Gegner den Moment der Schwäche ausnützen und so neue Fronten entstehen.
Zum Beispiel könnte Georgien versuchen, Abchasien und Südossetien zurückzuholen. Moldawien könnte Transnistrien befreien und sich mit Rumänien vereinen. Und Aserbaidschan könnte Armenien angreifen und.. ach ne, das ist ja schon passiert.
Ja, das ist richtig, aber das Personal muss auch ausgerüstet werden, und da könnte es knapp werden.