Für den Tod der Kriegshetzerin Darja Dugina sieht Moskau die Schuld bei der Ukraine. Experten halten ein anderes Szenario für wahrscheinlicher.
Nach dem Tod der russischen Publizistin Darja Dugina häufen sich die Spekulationen über die Hintergründe des Attentats. Zuerst kursierte ein ominöses Bekennerschreiben einer russischen Untergrundbewegung, dann erklärte Moskau den Fall für gelöst: Der ukrainische Geheimdienst stecke dahinter.
Aus Sicht von Experten spricht einiges dagegen – sie vermuten einen anderen Strippenzieher. t-online erklärt, was bisher bekannt ist, und ordnet die wichtigsten Theorien zum Attentat auf Darja Dugina ein.
Darja Dugina, die Tochter des ultranationalistischen Agitators Alexander Dugin, wurde in ihrem Wagen, mutmasslich auf dem Weg nach Hause, von einer Autobombe zerfetzt. Alexander Dugin, ihr Vater, traf kurz nach der Detonation am Ort des Geschehens ein. Ein Video zeigt, wie er fassungslos auf das brennende Auto schaut, in dem sich seine tote Tochter befand. Mehr zur Person Alexander Dugin lesen Sie hier.
Unklarheit herrscht darüber, ob der Anschlag tatsächlich Darja Dugina oder ihrem Vater gegolten hat. Auch in Russland wird darüber spekuliert, ob die aufstrebende rechte Propagandistin ihren Vater in seiner Bedeutung überholt hatte. Noch drängender ist jedoch die Frage, wer hinter dem Anschlag steckt.
Dazu gibt es im Wesentlichen drei Theorien.
Am Sonntagabend lieferte der ehemalige Duma-Abgeordnete Ilja Ponomarjow eine vermeintlich eindeutige Erklärung: In einem YouTube-Video verlas der Exil-Russe das Manifest einer angeblichen Untergrundgruppierung, die sich «Nationale Republikanische Armee» nennt. Er stehe seit April mit der Bewegung in Kontakt und sei nun befugt, ihre Botschaft zu verkünden: Das Attentat sei das Werk der Gruppierung gewesen.
Die Autobombe gegen Dugina schlage nun «eine neue Seite des russischen Widerstands gegen den Putinismus auf. Eine neue – aber nicht die letzte», so Ponomarjow. Das Ziel der Untergrundkämpfer sei der Sturz des Putin-Regimes. Dazu sei die Gruppe auch zu weiteren, ähnlichen Anschlägen auf ranghohe Zielpersonen bereit. Weder die Existenz der Bewegung noch die Aussagen Ponomarjows lassen sich unabhängig überprüfen.
Sergej Sumlenny, der Osteuropaexperte und bis 2021 langjährige Leiter des Kiewer Büros der Heinrich-Böll-Stiftung, hält diese Erklärung für völlig unrealistisch. Dass es nach jahrelanger Stille plötzlich Widerstandszellen in Russland gebe, die so effektiv und gezielt töten könnten, kann er nicht glauben: «Es gab seit Jahren keine terroristische Bewegung in Russland, wenn nicht sogar seit Jahrzehnten. Und die, die es gab, waren alle vom FSB in Gang gebracht worden», sagt Sumlenny zu t-online. Er glaube kein Wort des Manifests. Stattdessen sei die Wahrscheinlichkeit hoch, dass der FSB selbst das Attentat verübt habe.
Fabian Burkhardt, Politikwissenschaftler am Leibniz-Institut für Ost- und Südost-Europaforschung in Regensburg, äussert zudem Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Personalie Ponomarjow, der mit dem vermeintlichen Bekennerschreiben an die Öffentlichkeit getreten ist. Der ehemalige Duma-Politiker sei in den vergangenen Monaten durch «unzuverlässige Informationen und Gerüchte» über Vorgänge in der russischen Elite aufgefallen, so Burkhardt im Gespräch mit t-online. «Eventuell erhofft sich Ponomarjow, den Widerstand in Russland so zu stärken.»
Die russische Führung dagegen macht die Ukraine für den Mord an Darja Dugina verantwortlich. Laut der russischen Nachrichtenagentur Interfax sei der Fall durch den Geheimdienst FSB «gelöst» worden. Dieser habe sogar schon die Täterin ermittelt: die Ukrainerin Natalia Vovk, die im Auftrag der ukrainischen Geheimdienste gehandelt haben soll und Ende Juli nach Russland eingereist sei. Die Erkenntnisse seien dem zuständigen höchsten Ermittlungskomitee übergeben worden.
Doch an den Ermittlungen wurden schnell Zweifel laut: Aus Sicht des Politologen Burkhardt ist schon der Reichtum an Details, die der FSB bereits anderthalb Tage nach dem Anschlag ermitteln konnte, fragwürdig. Der Regensburger Wissenschaftler hält es schon deswegen für unwahrscheinlich, dass eine ukrainische Agentin dahinterstecken soll. «Die Aufklärung ging schon sehr schnell. Und dass der ukrainische Dienstausweis der Beschuldigten so schnell in russischen sozialen Medien geleakt wurde, ist recht plump.»
Zudem sei die Autobombe in einem Vorort Moskaus detoniert, «in dem viele aus der russischen Elite wohnen und die Geheimdienste recht präsent sind», so Burkhardt. «Das Risiko für die Ukraine wäre überproportional gross, verglichen mit dem, was sie durch so einen Anschlag erreichen könne.»
Auch der Osteuropaexperte Sumlenny kann der Theorie des Kremls nichts abgewinnen, wonach die Ukraine hinter der Autobombe stecke: «Der Grund ist ganz einfach: Weder Dugin noch seine Tochter waren auf dem Radar der Ukrainer.» Für einen Anschlag auf «anti-ukrainische Propagandisten» hätte es viel naheliegendere Ziele gegeben, so Sumlenny.
Die Bedeutung der Dugins werde in der westlichen Berichterstattung zudem überschätzt. «Alexander Dugin ist im Kreml nicht so wichtig», sagt Sumlenny. Seine Theorien würden zwar für Propagandazwecke benutzt, er selber sei aber seit Jahren von «allen internen Kreisen ausgeschlossen».
Sumlenny hält daher eine dritte Version für wahrscheinlicher: Die Tötung Duginas sei vom russischen Staat selbst in Auftrag gegeben worden. «Meine primäre Version wäre, dass es einen internen Kampf im Kreml gibt und dass Dugina und ihr Vater ein Bauernopfer dieses Kampfes sind», so der Osteuropaexperte zu t-online.
Der Hintergedanke des Kremls könnte gewesen sein, mit einem brutalen Attentat die Handlungsspielräume im Ukraine-Krieg zu vergrössern: So könnte ein Narrativ nach dem Motto «Die Ukrainer bringen uns in Moskau um» etabliert werden. Dugin und seine Tochter habe man ausgewählt, weil sie «unwichtig» seien: «Sie konnte man opfern, damit man jetzt die Säuberungsaktionen starten könnte.»
Auch der Politikwissenschaftler Burkhardt hält diese Theorie für denkbar: «Die Indizien legen die Vermutung nahe, dass es eine Provokation des russischen Geheimdienstes war.» Dafür sprächen vor allem die rasanten Ermittlungserfolge des FSB.
Und auch politisch passt es in die aktuelle russische Kriegsagenda: Der Kreml werde die Tat vermutlich politisch ausschlachten und dazu nutzen, die «nationalistische Stimmung gegen die Ukraine aufzuheizen» –, zu einem Zeitpunkt, wo es militärisch überhaupt nicht nach Plan läuft. Zudem rechnet Burkhardt mit verschärften Repressionen gegen Dissidenten im Inland. Dies sei ein «typisches Vorgehen» des Putin-Regimes in den zurückliegenden zehn bis zwanzig Jahren.
Verwendete Quellen:
((ld,jro ))