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Wunderkind, Kämpfer, Extremist: 3 Punkte zu Ilja Ponomarjew

Wunderkind, Kämpfer, Extremist: Wer ist der Mann, der das Dugina-Attentat verkündete?

Im Namen der Nationalen Republikanischen Armee informierte Ilja Ponomarjew am Sonntagabend die Öffentlichkeit: Die Bewegung sei verantwortlich für das Attentat auf Darja Dugina gewesen. Drei Punkte zum russischen Dissidenten.
22.08.2022, 20:5123.08.2022, 14:56
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Noch bis vor kurzem war sie gänzlich unbekannt, jetzt plötzlich steht sie im Rampenlicht: die Bewegung Nationale Republikanische Armee. Nach eigenen Angaben soll sie es gewesen sein, die den Anschlag auf die rechte russische Politologin Darja Dugina verübt hat. Die Tochter des rechtsnationalistischen Ideologen und engen Verbündeten Putins, Alexander Dugin, ist gestern in einer Auto-Explosion getötet worden.

Über die Bewegung Nationale Republikanische Armee ist wenig bekannt. So wenig, dass in den sozialen Netzwerken angezweifelt wird, ob es sie überhaupt gibt. Und falls ja, ob eine solche Bewegung zu einem solchen Attentat imstande sein soll.

March 25, 2017 - Kiev, Ukraine - Former deputy of the Russian State Duma ILYA PONOMAREV during the funeral ceremony for former deputy of the Russian State Duma DENIS VORONENKOV in the St. Volodymir ca ...
Einst war er Abgeordneter in der russischen Duma, seit 2019 besitzt Ponomarjew die ukrainische Staatsbürgerschaft.Bild: imago stock&people

Ihr Name wurde im Anschluss des Attentats zum ersten Mal vom ehemaligen russischen Politiker Ilja Ponomarjew genannt. Der im Exil lebende Russe las in einem Video ein Manifest der Gruppe vor, die sich darin zum Anschlag bekennt und Präsident Putin zum Kriegsverbrecher erklärt.

Wer ist Ilja Ponomarjew, was sind seine Ziele und wie geht er gegen Putin vor?

Das Wunderkind

Ponomarjew wurde 1975 in Moskau geboren und schnell als Wunderkind angesehen. Bereits im zarten Alter von 14 Jahren wurde er am Institut für sichere Entwicklung der Atomenergie angestellt. Dort war er für die Schulung seiner Mitarbeitenden in Computertechnik verantwortlich.

Nur zwei Jahre später gründete er 1991 sein erstes eigenes Unternehmen Russprofi Ltd. War er zunächst noch am Handel in der russischen Rohstoffbörse beteiligt, konzentrierte er sich danach auf Dienstleistungen im Bereich der Programmierung, Lieferung und Wartung von Computern. Er hatte Erfolg: Innerhalb von zwei Jahren verzeichnete das Unternehmen einen Umsatz von zehn Millionen Dollar. Danach war er unter anderem für die Ölgesellschaften Yukos und Schlumberger tätig, wobei er bei Yukos mit 24 Jahren zum Vizepräsidenten gewählt wurde – damals das grösste russische Ölunternehmen.

Von 2002 und 2007 amtete er als Informationsverantwortlicher für die kommunistische Partei, mit der er sich aber zerstritt. Er warf ihr vor, bloss eine Marionette des Kremls zu sein. 2007 wurde Ponomarjew als Vertreter der Region Nowosibirsk in die Staatsduma gewählt. In den Jahren 2011 bis 2013 war er massgeblich an Massenprotesten beteiligt, die sich gegen eine weitere Amtszeit Wladimir Putins auflehnten.

State Duma lawmaker and opposition activist Ilya Ponomaryov speaks during an opposition rally in Moscow, Russia, Monday, March 5, 2012. Riot police on Monday broke up an opposition protest contesting  ...
Ponomarjew 2012 an einem Protest der Opposition.Bild: AP

Zu der Zeit schrieb die «New York Times» über den damals 36-jährigen, «verärgerten Aufrührer»:

«Er ist seit zwei Amtszeiten Mitglied der Staatsduma, des Unterhauses des Parlaments, und er versucht etwas, was in der modernen russischen Politik selten vorkommt: die Institution umzustossen, der er gleichzeitig dient. Das bedeutet, dass er von allen Seiten mit Misstrauen betrachtet wird.»

Einer gegen alle

2014 machte er weltweit Schlagzeilen, als er als einziger Abgeordneter der Duma den Mut hatte, gegen die Annexion der Krim zu stimmen. Das Resultat damals: 445 Ja: 1 Nein.

Nach seiner Begründung gefragt, erklärte er im März 2014 gegenüber der «Zeit»:

«Ich bin gegen Krieg. Mit dieser Abstimmung haben wir die Ukraine verloren. Die Ukrainer haben angefangen, über die Russen als ihre Feinde zu denken. Dabei sind wir Brüder, unsere Sprache ist fast dieselbe, wir haben eine gemeinsame Kultur. Wir haben Jahrzehnte in einem Staat zusammengelebt. Die Grenzen zwischen uns sind künstlich, so wie die damals zwischen Ost- und Westdeutschland.»

Er sei der Einzige gewesen, der gegen die Annexion gestimmt habe, weil die Leute Angst hätten, zum Feind Putins zu werden. Dies zeige, dass das politische System im Land nicht gesund sei.

Mit diesem Entscheid wurde er in Russland zum Verräter erklärt. Wenig später wurden Ermittlungen gegen ihn gestartet: Er soll 22 Millionen Rubel veruntreut haben, die für das Technologiezentrum Skolkow bestimmt gewesen seien. Ponomarjew, der sich zu diesem Zeitpunkt in den USA aufhielt, wurde es verboten, nach Russland zurückzukehren. Aufgrund seiner parlamentarischen Immunität konnte er zunächst aber nicht strafrechtlich verfolgt werden. Dies änderte sich im April 2015, als in seiner Abwesenheit alle Duma-Abgeordneten (ausser einem einzigen Kreml-Kritiker) für die Aufhebung seiner Immunität stimmten. Das Gericht stellte daraufhin einen internationalen Haftbefehl aus.

Seit seinem Aufenthalt in den USA war er nie mehr nach Russland zurückgekehrt. 2016 zog er in die ukrainische Hauptstadt Kiew, wo er auch heute noch lebt.

Aktivitäten im Exil

Im April 2017 wurde der ehemalige russische Duma-Abgeordnete und ebenfalls im Exil lebende Denis Woronekow bei einem Anschlag getötet. Er war unterwegs zu einem Treffen mit Ponomarjew, als er erschossen wurde. Als Reaktion darauf erhielt Ponomarjew Personenschutz vom Inlandsgeheimdienst der Ukraine.

Mit dem Einfall Russlands in die Ukraine schloss sich Ponomarjew der Verteidigung der Ukraine an. Dabei betonte er allerdings, dass er «nicht gegen Russland, sondern gegen Putin und den Putinismus und den russischen Faschismus» kämpfe.

Dann gründete er einen russischen Fernsehnachrichtensender namens February Morning sowie den Nachrichtendienst Rospartisan auf Telegram. Sein Zielpublikum sei die russische Bevölkerung, erklärte er im Juni gegenüber «The Guardian». Denn der effizienteste Weg, die Invasion in der Ukraine zu beenden, sei der Sturz des Regimes in Moskau, so Ponomarjew. Sein Job sei es schlussendlich, einen Aufstand der Massen herbeizuführen.

Ilja Ponomarjew hat Grosses vor – so scheint es gar nicht so unwahrscheinlich, dass seine Hand beim Anschlag auf Darja Dugina auf irgendeine Weise hätte im Spiel sein können. Auf die Frage des «Guardian», ob er angesichts seiner Aktivitäten in den Augen des Kremls jetzt als fremder Agent betrachtet werde, antwortete er im Juni:

«Ich wäre stolz, wenn sie mich so nennen würden. Terrorist, Extremist – es ist ein Akt der Anerkennung.»
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43 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Liebu
22.08.2022 21:30registriert Oktober 2020
Ein Mann mit klarer Kante.
Er scheint schon sein ganzes Legen im Kampf gegen Putins System.
Jetzt greift er zum Äussersten. Nicht, dass ich gut finde, Terrorismus mit Terrorismus zu bekämpfen, aber es scheint im Moment die einzige Möglichkeit für ihn, gegen Putins Regime zu kämpfen.
Ich hoffe, er kann sich später einmal wieder als gemässigter Politiker in Russland wieder einen Namen machen.
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Gandalf-der-Blaue
22.08.2022 21:45registriert Januar 2014
Wir können hierzulande wahrscheinlich nicht annähernd den Wandel nachvollziehen, den dieser Mann aufgrund der Umstände in Russland durchgemacht hat. Und auch wenn derzeit wenig dafür spricht: Ich hoffe von Herzen für ihn und für all diese anderen, mutigen Menchen, die ihr Leben für diesen Widerstand gegen Putin riskieren, dass sie erleben, wie Russland frei wird von diesen nationalistischen, extremen Ströumungen und sich zu der liberallen, Nation entwickelt, von der sie träumen.
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Jo Kaj
22.08.2022 21:51registriert Juli 2019
Wow. Wie viele solcher aktiven russischen Kreml-Kritiker gibt es, die auch tatsächlich so tief im System mitgewirkt haben und den Mut haben, die Dinge mal beim Namen zu nennen?

Es müssen wohl wirklich gescheite Leute sein, jedenfalls so smart, dass man nicht aus dem Fenster "fällt" und in die Tiefe stürzt.

Hoffentlich kommt da was in Schwung, dass im Kreml alles auf den Kopf stellt. Kenne jetzt seine politischen Absichten nicht, doch seine Einstellung zur Ukraine: Genau so wie's ist! Ein abstrus unnötiger Krieg, welche die Brüdervölker Jahrzente lang verfeindet.
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