Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mahnt ein Ende des Zögerns bei Waffenlieferungen für sein Land an. Angesichts einer erwarteten neuen Offensive russischer Truppen seien Verzögerungen «eine Erlaubnis für Russland, das Leben von Ukrainern zu nehmen», sagte Selenskyj in der Nacht zum Montag in seiner täglichen Videoansprache. Aus der seit Wochen heftig umkämpften Hafenstadt Mariupol wurden neue russische Angriffe mit Raketen und Bomben gemeldet.
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Selenskyj warnte, dass das russische Militär für die nächste Zeit eine Offensive in der Industrieregion Donbass im Osten der Ukraine vorbereite: «So wie die russischen Truppen Mariupol zerstören, wollen sie auch andere Städte und Gemeinden in den Gebieten Donezk und Luhansk dem Erdboden gleichmachen.» Man sei den Partnern dankbar, die helfen. «Aber diejenigen, die von uns benötigte Waffen und Munition haben und ihre Hilfe zurückhalten, müssen wissen, dass das Schicksal dieser Schlacht auch von ihnen abhängt. Das Schicksal von Menschen, die gerettet werden können», sagte Selenskyj.
Er nannte keine Länder beim Namen. Jedoch hatte es zuletzt in Deutschland Streit in der Ampel-Koalition über die Lieferung schwerer Waffen gegeben. Politiker von Grünen und FDP hatten Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) Zaudern vorgeworfen. Militärexperten gehen davon aus, dass die Ukraine im Osten des Landes deutlich mehr schwere Waffen brauchen wird, um gegen Angriffe zu bestehen. Das liegt unter anderem an dem offenen Terrain ohne grosse Wälder.
Der ukrainische Generalstab berichtete am Sonntagabend von russischen Raketen- und Bombenangriffen auf das belagerte Mariupol. Dabei kämen auch Überschallbomber vom Typ Tu-22M3 zum Einsatz. Regierungschef Denys Schmyhal sagte dem US-Sender ABC, die Stadt sei nicht gefallen. Die ukrainischen Soldaten würden in Mariupol «bis zum Ende kämpfen». Aussenminister Dmytro Kuleba berichtete im US-Sender CBS, die eigenen Truppen seien «im Grunde eingekreist» von russischen Truppen, die Mariupol dem Erdboden gleichmachen wollten. Wörtlich sagte Kuleba: «Die Stadt existiert nicht mehr.»
Russland hatte den verbliebenen ukrainischen Truppen in Mariupol zuvor mit Vernichtung gedroht. Ein Ultimatum, die Waffen bis zum Sonntagmittag niederzulegen und sich zu ergeben, liessen die Ukrainer verstreichen.
Mehrere Tausend ukrainische Verteidiger Mariupols sollen sich in dem riesigen Stahlwerk Asowstal verschanzt haben. Auch zahlreiche Zivilisten befinden sich nach Angaben örtlicher Behörden auf dem umkämpften Gelände des Werks, zu dem auch unterirdische Anlagen gehören. Die Menschen hätten sich dort vor Beschuss während der wochenlangem Belagerung der Stadt durch das russische Militär versteckt, sagte der Chef der Streifenpolizei von Mariupol, Michajlo Werschinin, dem Lokalfernsehen. «Sie trauen den Russen nicht. Sie sehen, was in der Stadt vor sich geht, und bleiben deswegen auf dem Werksgelände.» Die Angaben konnten nicht unabhängig überprüft werden.
Grosse Teile von Mariupol befinden sich inzwischen unter Kontrolle des russischen Militärs. In Mariupol hielten sich noch rund 100 000 Einwohner auf, sagte Werschinin. Die russischen Truppen liessen sie für Essen Trümmer räumen sowie Leichen bergen und in Massengräbern beerdigen, behauptete er. Mariupol hatte vor dem Krieg rund 400 000 Einwohner. Nach der langen Belagerung und dem Dauerbeschuss werden Tausende Tote unter den Zivilisten befürchtet.
Selenskyj kündigte angesichts des befürchteten Grossangriffs im Osten des Landes harte Gegenwehr an. «Wir werden unser Territorium nicht aufgeben», sagte er dem Nachrichtensender CNN. Die Schlacht in der Region Donbass könne den Verlauf des gesamten Krieges beeinflussen.
Die ukrainischen Truppen konnten nach Behördenangaben bei einer Gegenoffensive mehrere Ortschaften in der Nähe der Grossstadt Charkiw im Nordosten zurückerobern. Damit seien die russischen Truppen weiter von der zweitgrössten Stadt der Ukraine zurückgedrängt wurden, teilte der Gouverneur des Gebiets, Oleh Synjehubow, in seinem Kanal beim Messaging-Dienst Telegram mit. Zuvor hatten die Behörden gemeldet, dass beim Beschuss des Stadtzentrums am Sonntag mindestens 5 Menschen getötet und 13 verletzt worden seien.
Nachdem die ukrainischen Truppen in Mariupol das russische Ultimatum verstreichen liessen, könnte es zum Sturm auf das Asowstal-Gelände kommen. Selenskyj sagte bereits, dass ein Tod der Verteidiger der Stadt die Verhandlungen mit Russland weiter erschweren würde. Der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank beginnen ihre jährliche Frühjahrstagung, die von dem Krieg überschattet wird. (sda/dpa)