Der schwere Tribut, den die Zivilbevölkerung in den aktuellen Krisen und Konflikten zahlt, bestärkt die Schweiz in ihrem Willen, das humanitäre Völkerrecht weiterhin als absolute Priorität zu betrachten. Dies betonte Bundespräsidentin Viola Amherd vor der UNO.
Mit dem Beitritt zur UNO 2002 habe die Schweiz den Willen zum Ausdruck gebracht, Verantwortung zu übernehmen und sich solidarisch an der internationalen Politik zu beteiligen. «Seither hat sich die Welt verändert - unsere Grundsätze jedoch nicht», sagte Amherd an der UNO-Generaldebatte am Dienstag in New York.
Mit Sorge beobachte sie, dass sich die Spannungen weltweit verschärften und neue Konflikte entstünden. «Wir beobachten grobe Verstösse gegen das humanitäre Völkerrecht von Myanmar bis zur Ukraine, vom Nahen Osten bis zum Sudan», so die Bundespräsidentin, die zudem «eine eklatante Missachtung international anerkannter Grenzen» feststellte.
Die Entscheidung zu treffen, besser zusammenzuarbeiten, unabhängig von politischen Regimen, Wirtschaftsstrukturen und kulturellen Unterschieden, sei ein Anfang, sagte Amherd. «Die Welt darf nicht in Blöcke aufgeteilt werden.»
Die Genfer Konventionen, deren 75. Jahrestag in diesem Jahr begangen werden, regelten die rechtlichen Grundlagen des Krieges und damit auch den Schutz von Zivilpersonen. «Die jüngsten Zahlen der Vereinten Nationen zeichnen jedoch ein katastrophales Bild der internationalen Gemeinschaft. Die Bevölkerung und die zivile Infrastruktur werden nicht ausreichend geschützt und sind sogar immer wieder Angriffen ausgesetzt», kritisierte Amherd.
Die Bundespräsidentin erinnerte an die hochrangige Friedenskonferenz für die Ukraine, die die Schweiz diesen Sommer mit rund 100 Staaten und internationalen Organisationen auf dem Bürgenstock ausgerichtet hatte. «Unser Ziel war es, einen ersten Impuls für einen gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu geben», sagte Amherd. Die 94 Staaten, die das gemeinsame Communiqué der Bürgenstock-Konferenz unterzeichneten, hätten ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen bekräftigt.
Die Schweiz habe sich auch stark dafür eingesetzt, dass der Sicherheitsrat insbesondere zu Gaza und dem Sudan Resolutionen für einen Waffenstillstand verabschiedete. Es sei dringend erforderlich, dass diese nun umgesetzt und eingehalten würden. «Der Frieden ist zu wertvoll, um zu einem Spielplatz für Partikularinteressen zu werden», sagte die Bundespräsidentin.
Als Herausforderungen für die Menschheit erwähnte Amherd weiter den Klimawandel und den Verlust der biologischen Vielfalt, die für immer mehr Menschen existenzielle Folgen hätten. Viele internationale Umweltabkommen würden nicht oder nur unzureichend umgesetzt, sagte Amherd, die zu mutigen Lösungsschritten aufrief.
Schliesslich zeigte sich die Bundespräsidentin besorgt über die Zunahme von Desinformation, die die freie, auf Fakten basierende Meinungsbildung untergrabe. «Desinformation ist ein Gift. Wir wollen ihr begegnen, indem wir besser unterscheiden, was Meinungsfreiheit und was Faktenmanipulation ist; indem wir unrechtmässige Einflussnahme entlarven, offene und faire Debatten fördern und als Regierungen und internationale Organisationen transparent und objektiv informieren», schloss Amherd.
Ein Blick zurück und Appelle an die Weltgemeinschaft für die Zeit ohne ihn: US-Präsident Joe Biden hat kurz vor dem Ende seiner langen politischen Karriere bei den Vereinten Nationen davor gewarnt, angesichts globaler Krisen zu resignieren. In seiner Abschiedsrede vor der UN-Vollversammlung mahnte er internationale Zusammenarbeit an – gerade angesichts der Krisen im Libanon, in Gaza, der Ukraine und dem Sudan. «Wegen allem, was ich schon erlebt habe, und allem, was wir über die Jahrzehnte getan haben, habe ich Hoffnung», sagte er.
Biden, der vor kurzem entschieden hat, nicht für eine zweite Amtszeit anzutreten, forderte die Staats- und Regierungschefs im Saal dazu auf, das Wohl der Menschen über den Machterhalt zu stellen. «Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns nie vergessen, dass es Dinge gibt, die wichtiger sind, als an der Macht zu bleiben. Es ist Ihr Volk», sagte er.
Nach 50 Jahren im öffentlichen Dienst sei es Zeit, das Schicksal des Landes einer neuen Generation zu überlassen, so Biden weiter. Die Zukunft gehöre denen, die das volle Potenzial ihres Volkes freisetzten. Seine Rede begann er mit einem Scherz über sein Alter: «Ich weiss, ich sehe aus wie 40», sagte der 81-Jährige und fügte hinzu, es sei das letzte Mal, dass er als US-Präsident vor der UN sprechen werde.
Biden warnte vor einer weiteren Eskalation des Konflikts zwischen Israel und der Hisbollah-Miliz. «Ein umfassender Krieg ist in niemandes Interesse», sagte er. Eine diplomatische Lösung sei weiterhin der einzige Weg zu dauerhafter Sicherheit im Nahen Osten.
Der Präsident verurteilte erneut den Angriff der Hamas am 7. Oktober mit mehr als 1'200 Toten und verwies auf die humanitäre Krise in Gaza sowie die Gewalt israelischer Siedler im Westjordanland. Er drängte auf eine Waffenruhe und erneuerte seine Unterstützung für eine Zweistaatenlösung, «wo Israel in Sicherheit lebt» und «Palästinenser in Würde und Selbstbestimmung in einem eigenen Staat». Sowohl Israels Premierminister Benjamin Netanjahu als auch die Hamas lehnen dies jedoch ab.
Die Lage im Libanon ist angespannt. Israelische Luftangriffe haben bisher mehr als 550 Menschen getötet, darunter Dutzende Kinder. Die Angriffe sollen die Hisbollah zum Rückzug aus dem Grenzgebiet bewegen. Derweil geht der Krieg im Gazastreifen weiter. Tausende Zivilisten wurden getötet, Hunderttausende vertrieben.
Biden nutzte seine Rede auch für einen Aufruf an die Weltgemeinschaft, die von Russland angegriffene Ukraine weiter zu unterstützen. «Wir dürfen nicht müde werden. Wir können nicht wegschauen, und wir werden unsere Unterstützung für die Ukraine nicht aufgeben», sagte Biden. Die gute Nachricht sei, dass Putin sein Ziel, die Ukraine zu zerstören, nicht erreicht habe. «Die Nato ist grösser und stärker als je zuvor.»
Nun aber habe die Welt eine weitere Entscheidung zu treffen. «Werden wir unsere Unterstützung aufrechterhalten, um der Ukraine zu helfen, diesen Krieg zu gewinnen und ihre Freiheit zu bewahren, oder lassen wir zu, dass die Aggression erneut aufflammt und eine Nation zerstört wird?», fragte Biden. Washington hat die Ukraine seit Beginn der russischen Invasion massiv militärisch und finanziell unterstützt und ist einer der wichtigsten Partner des Landes. Präsident Wolodymyr Selenskyj, der ebenfalls in New York ist, hofft auf die Führung der USA, um politische und militärische Unterstützung für sein Land zu mobilisieren, etwa beim zweiten Friedensgipfel für die Ukraine im November.
Der US-Präsident rief auch eindringlich zu einem Ende des Krieges im Sudan auf. «Die Welt muss aufhören, die Generäle zu bewaffnen, sie muss mit einer Stimme sprechen und ihnen sagen, dass sie aufhören sollen, ihr Land zu zerreissen», sagte er. Hilfe für die Menschen im Sudan dürfe nicht blockiert werden. Der blutige Bürgerkrieg habe «eine der schlimmsten humanitären Krisen der Welt ausgelöst», mahnte Biden. Acht Millionen Menschen stünden am Rande einer Hungersnot, es gebe Gräueltaten. «Beendet jetzt diesen Krieg», forderte Biden.
In dem rohstoffreichen und drittgrössten Land Afrikas ringen seit April 2023 De-facto-Machthaber Abdel Fattah al-Burhan und die von ihm kontrollierte Armee mit seinem früherem Stellvertreter Mohamed Hamdan Daglo und dessen Miliz der Rapid Support Forces um die Vorherrschaft. Der Konflikt hat die nach UN-Angaben weltweit grösste Flüchtlingskrise ausgelöst. Mehr als zehn Millionen Menschen wurden vertrieben oder flohen selbst – viele von ihnen mehrmals. (hkl/sda/dpa)