Das Bundesstrafgericht in Bellinzona wird am Montag für internationale Schlagzeilen sorgen. Der ehemalige Innenminister von Gambia, Ousman Sonko, wird sich in der Schweiz für seine Vergangenheit verantworten müssen. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, Menschen aus der Zivilbevölkerung ermordet, vergewaltigt und gefoltert zu haben.
Die Verbrechen soll er während der Diktatur im westafrikanischen Land von 2000 bis 2016 begangen haben. Manchmal soll er alleine gehandelt haben. Meistens aber als Kommandant einer Todesschwadron. Der Diktator Yahya Jammeh hatte damals im Fernsehen erklärt, jede Opposition niederzuschlagen.
2016 floh Sonko in die Schweiz und wohnte als normaler Asylsuchender in einer Berner Unterkunft. Deshalb steht er in der Schweiz vor Gericht. Erst 2017 verhaftete ihn die Polizei. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Es ist der bisher grösste Völkerstrafrechtsfall, der in der Schweiz vor Gericht kommt.
Das internationale Völkerstrafrecht beruht auf einem UNO-Abkommen und hat auch eine symbolische Bedeutung. Solche Prozesse sollen international demonstrieren, dass sich Völkerrechtsverbrecher nirgends verstecken können. Zudem sollen sie den Opfern helfen, ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Doch das Signal, das die Schweiz in diesem Fall aussenden wird, wird nicht bei allen Betroffenen ankommen.
Denn die Verfahrenssprache ist Deutsch. So sieht es die Bundesverfassung vor: «Die Amtssprachen des Bundes sind Deutsch, Französisch und Italienisch.» Die Justiz gibt sich zwar Mühe, möglichst viel zu übersetzen. So sind die Anklageschrift und das Gerichtsprogramm in einer englischen Version erhältlich. Auch Einvernahmen werden gedolmetscht - aber nicht der gesamte Prozess.
Das macht es für nicht deutschsprachige Prozessbeobachter schwierig, der Verhandlung zu folgen. Wichtige Verfahrensschritte werden sie nicht verstehen. Der gambische Journalistenverband und Menschenrechtsorganisationen wie Trial International haben das Gericht deshalb gebeten, Übersetzungsdienste anzubieten. Doch Gerichtspräsident Alberto Fabbri (Mitte) lehnt dies ab und verweist auf die Strafprozessordnung, die Englisch nicht vorsieht.
Die Landessprache von Gambia ist Englisch. Die lokale Bevölkerung spricht aber zwanzig unterschiedliche Sprachen. Für die meisten Gambier ist Internetzugang zu teuer. Deshalb ist das Radio ihre Hauptinformationsquelle. Dieses übersetzt die Meldungen der englischsprachigen Zeitungen im Land in die lokalen Sprachen. Daher haben die englischsprachigen Printjournalisten des Landes eine besondere Bedeutung.
Einer von ihnen ist Yusef Taylor. Auf eine Anfrage antwortet er auf Englisch: «Live-Übersetzungen ins Englische wären von entscheidender Bedeutung, da die meisten Menschen, die von den Gerichtsverhandlungen betroffen und daran interessiert sind, Englisch sprechen.»
Nicht alle Länder sind bei der Umsetzung der Strafprozessordnung so stur wie die Schweiz. So hat das Oberlandesgericht von Koblenz 2020 in einem Strafprozess gegen zwei syrische Kriegsverbrecher eine arabische Übersetzung für Journalisten angeboten.
In internationalen Fällen wäre es allerdings am effizientesten, Englisch gleich als Verfahrenssprache einzuführen. So könnte sich die Justiz viele Übersetzungen sparen. Dies ist aber ebenso umstritten wie die Frage, ob Schülerinnen zuerst Englisch oder Französisch lernen sollen.
Einen Versuch lancierte das Bundesamt für Justiz 2019. In einer Ämterkonsultation zur Revision der Zivilprozessordnung schlug es vor, Englisch als Urteilssprache einzuführen. Doch das Bundesgericht wehrte sich dagegen und warnte vor einem Verstoss gegen die Bundesverfassung. Darauf gab das Bundesamt in diesem Punkt nach.
Es setzte sich aber gegen das Bundesgericht durch, dass dieses englischsprachige Rechtsschriften in Zivilsachen zulassen muss. Zudem dürfen die Kantone künftig Englisch in Zivilprozessen als Verfahrenssprache zulassen. Die Änderungen treten am 1. Januar 2025 in Kraft.
Das Zürcher Handelsgericht plant deshalb unter dem Namen «Zurich International Commercial Court» ein internationales Gericht. Auch in anderen Ländern bewegt sich die Justiz. Die Landgerichte von Frankfurt und Köln haben bereits englischsprachige Kammern eingerichtet. Frankreich, die Niederlande und Belgien planen ebenfalls spezialisierte Handelsgerichte, die auf Englisch verhandeln.
Die englischsprachigen Gerichte sind eine Reaktion auf den Brexit. Vorher führte das Londoner Handelsgericht die meisten internationalen Verfahren. Nun sollen diese auch auf dem Festland stattfinden können. Englischsprachige Handelsgerichte sind wichtig für die Wirtschaftsstandorte und schaffen im Umfeld Arbeitsplätze in Wirtschaftskanzleien.
Ganz abseits steht die Bundesjustiz in der Schweiz allerdings nicht. Das kleine Bundespatentgericht, das nur zwei Fälle pro Monat beurteilt, führt regelmässig Verfahren auf Englisch, wenn die Parteien dies wünschen. Wenn man will, ist es also möglich.
Im Fall Sonko verweist das Bundesstrafgericht auf Anfrage an die Politik: «Die Frage, ob zukünftig Strafverfahren auf Englisch geführt werden können, ist eine politische Entscheidung, die nicht in den Zuständigkeitsbereich des Bundesstrafgerichts fällt.»
Sonko bestreitet alle Vorwürfe. Entweder seien die Taten verjährt oder er sei nicht dafür verantwortlich gewesen, argumentiert er. Er sieht sich selber als Opfer von Menschenrechtsverletzungen, da er seit sieben Jahren unter prekären Bedingungen in U-Haft sitze.
Warum sollen wir uns in der Schweiz immer anpassen
Es gibt zudem viel mehr chinesischsprachige Menschen. Sollen wir jetzt die Verfahren auch noch auf Mandarin führen?