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Vergewaltigungsopfer klagt den ehemaligen gambischen Innenminister an

«Er hat mich über 70 Mal vergewaltigt»: Diese Frau klagt einen Ex-Minister an

Demnächst steht der frühere gambische Innenminister Ousman Sonko vor dem Bundesstrafgericht. Die Justiz bereitet sich damit auf künftige Verfahren gegen russische Kriegsverbrecher vor.
09.07.2023, 19:58
Andreas Maurer / ch media
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Binta Jamba
Binta Jamba.Bild: zVg

Binta Jamba erfuhr vom Tod ihres Ehemannes aus dem Fernsehen. Als «Breaking News» verkündete Gambia TV im Januar 2000, dass der Soldat Almamo Manneh den Präsidenten Yahya Jammeh stürzen wollte, aber gestoppt werden konnte. Dabei habe er sein Leben in einem Schusswechsel verloren.

Gambia war unter Jammehs Herrschaft von 1994 bis 2017 eine grausame Diktatur, in der Kritiker vom Polizeiapparat systematisch unterdrückt wurden. Das Fernsehen war der Propagandakanal des Regimes.

Binta Jamba sass mit ihren kleinen Kindern weinend vor dem Fernseher, wie sie später aussagen wird. Was damals wirklich passiert ist, wusste sie lange nicht. Heute, 23 Jahre später, sagt sie auf Anfrage: «Meine Kinder suchen immer noch nach Antworten zum Tod ihres Vaters.» Sie wissen zum Beispiel nicht, wo er begraben wurde.

Ousman Sonko, Ex-Innenminister von Gambia.
Ousman Sonko, Ex-Innenminister von Gambia.Bild: zVg

Binta Jamba hofft, Antworten in einem Strafprozess in der Schweiz zu finden. Hier hat die Bundesanwaltschaft Anklage gegen den ehemaligen gambischen Innenminister Ousman Sonko erhoben. Er hat 2016 in der Schweiz um Asyl gebeten und ist 2017 in einem Berner Asylzentrum verhaftet worden. Seither sitzt er in Untersuchungshaft. Es ist der bisher grösste Völkerstrafrechtsfall in der Schweiz.

Damit bereitet sich die Justiz auf künftige Verfahren gegen Kriegsverbrecher vor. Derzeit sammelt die Bundesanwaltschaft Beweise, um dereinst zum Beispiel gegen russische Kommandanten ermitteln zu können, die ihre Raketen auf Schulen oder Altersheime abfeuern und in der Schweiz Unterschlupf suchen werden.

Die Bundesanwaltschaft wird zur Weltpolizistin

Die Bundesanwaltschaft wirft Sonko einen systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung Gambias vor. Um das Regime zu stützen, soll er Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Er soll getötet, gefoltert und vergewaltigt haben. Die Anklageschrift liegt CH Media vor. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Die Anklage basiert auf Aussagen von zehn Privatklägerinnen und Privatklägern. Eine von ihnen ist Binta Jamba, 55 Jahre alt. Sie hat ihre Geschichte in einer Untersuchung in Gambia und im Verfahren der Bundesanwaltschaft geschildert. Die folgende Rekonstruktion der Ereignisse basiert auf ihren Erzählungen und den Ermittlungen, wird aber von Sonko bestritten.

Binta Jamba arbeitete als Polizistin und Almamo Manneh diente als Soldat in der Staatsgarde, die den Diktator schützen sollte. Doch offenbar wollte ihr Mann die Machtverhältnisse ändern.

Ousman Sonko, damals Hauptmann der Staatsgarde, nahm ein Gespräch mit ihm auf, in dem der Soldat sich zu einem geplanten Putschversuch äusserte. Darauf lud Sonko ihn unter einem Vorwand zu einem Treffen mitten in der Nacht und erschoss ihn gemäss der Bundesanwaltschaft gemeinsam mit anderen Soldaten.

Schweiz klärt Verbrechen in Gambia auf

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Solche Todeskommandos kamen oft zum Einsatz. Die Taten wurden vom Regime vertuscht, obwohl der Diktator öffentlich verkündete, alle zu töten, der das System destabilisieren wollten.

Nach der Aktion durchsuchten Sonko und seine Männer das Haus von Binta Jamba. Als sie fragte, wo ihr Mann sei, sagten die Soldaten, sie solle die Abendnachrichten abwarten.

Wenn er Sex wollte, legte er seine Pistole auf den Tisch

Wenige Tage später suchte Sonko den Kontakt zur Witwe. Sie waren damals beide Anfang dreissig und kannten sich von früher. Plötzlich stand er in Militäruniform und mit der Pistole am Gurt vor ihrer Türe. Ihre Kinder rannten weg, weil sie Angst vor ihm hatten. Sie sagte, sie wolle vor der Türe mit ihm sprechen. Doch er bestand darauf, in ihr Schlafzimmer zu kommen.

Er habe seine Hände auf ihre Schultern gelegt und gesagt: «Du bist eine sehr schöne Frau.» Danach platzierte er seine Pistole auf ihrem Bett und zog sich aus. Sie wehrte sich mit aller Kraft, doch sie hatte keine Chance. Er habe sie vergewaltigt. Immer wieder. Die Tat sei zur Routine geworden.

Alle drei bis vier Tage sei er vorbeigekommen und habe sie behandelt, als würde sie ihm gehören. Wenn er Sex wollte, habe er seine Pistole auf den Tisch gelegt und gesagt: «Siehst du das hier?» Sie hatte Angst, dass ihre Kinder nun auch ihre Mutter verlieren könnten.

Nach zwei Jahren vertraute sich Binta Jamba einem hochrangigen Beamten an. Er half ihr, sich beruflich in einen anderen Landesteil versetzen zu lassen. Inzwischen arbeitete sie als Migrationsbeamtin. Ein Jahr später konnte sie über einen Bekannten auf der amerikanischen Botschaft ein US-Visum organisieren. Sie floh ohne ihre Kinder, die sie bei ihrer Mutter zurückliess.

Eingesperrt: Die fünf Nächte des Grauens

Als sie später nach Gambia zurückkehrte, um ihre Kinder zu besuchen, erfuhr Ousman Sonko sofort davon. Er war jetzt Kommandant. Zwei Beamte brachten Binta Jamba zu einer Tankstelle, wo er auf sie wartete. Er fuhr sie zum Regierungssitz und sperrte sie in einem Nebenhaus fünf Tage lang in ein Zimmer mit einer Matratze und einem Kübel.

Er verhörte sie und wollte wissen, wer ihr Flugticket bezahlt und ob sie mit Journalisten gesprochen habe. Er habe sie mit einer Peitsche aus gewobenem Kuhleder geschlagen und immer wieder vergewaltigt. Er sei nachts zu ihr gekommen und habe sie danach blutend liegen gelassen. Nach der fünften Nacht sei ihr die Flucht gelungen, weil er einen Anruf erhielt und in der Eile vergass, die Türe abzuschliessen.

Zurück in den USA erhielt sie endlich auch Asyl für ihre Kinder. Deshalb reiste sie nochmals nach Gambia. Am zweiten Abend umstellte der Geheimdienst ihr Haus, um es zu durchsuchen. Ein Agent warnte sie jedoch und half ihr, sich hinter einem Kleiderschrank zu verstecken. So entkam sie. Seither lebt sie im Exil in den USA.

Viele Jahre später ist sie Sonko in Bern wieder begegnet, in einer Befragung durch die Bundesanwaltschaft. Dabei gab sie zu Protokoll: «Er hat mich über 70 Mal vergewaltigt.»

Haftschäden: Ousman Sonko sieht sich selber als Opfer

Sonko bestreitet das. Es sei gar nicht möglich, dass er diese Taten begangen habe, da er in dieser Zeit für eine Friedensmission der UNO tausend Kilometer entfernt in Sierra Leone stationiert gewesen sei. Das könne er mit offiziellen Dokumenten der UNO und der gambischen Regierung belegen.

Das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist auch ein Völkerstrafrechtstribunal.
Das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist auch ein Völkerstrafrechtstribunal.Bild: Keystone

Die Bundesanwaltschaft wirft ihm zudem vor, als Mittäter eines Kollektivs drei Personen getötet und viele gefoltert zu haben. Auch dies bestreitet er. Für das Fehlverhalten von Geheimdienstmitarbeitern und Polizisten sei er als Innenminister entweder nicht zuständig gewesen oder er habe keine Befehlskompetenz gehabt.

Er sieht sich selber als Opfer, da er in der Schweiz nicht menschenrechtskonform behandelt werde. Die bereits sechs Jahre dauernde Untersuchungshaft sei unverhältnismässig; er leide deshalb an schweren psychischen und physischen Schäden. Doch die Justiz weigere sich, ihn medizinisch zu begutachten.

Es liegen bereits 50 Gerichtsurteile zu seinem Fall vor, in denen er sich über das Verfahren beklagt. Doch die Untersuchungshaft wurde stets verlängert, da ein dringender Tatverdacht bestehe und er bei einer Verurteilung in den wesentlichen Anklagepunkten zu mindestens zehn Jahren Gefängnis verurteilt wird. Er muss sogar mit der Höchststrafe von 20 Jahren rechnen.

Seit 2011 ist die Bundesanwaltschaft für Völkerrechtsverbrecher zuständig. Diese sollen sich in der Schweiz nicht verstecken, sondern verfolgt werden können, auch wenn ihre Taten nichts mit der Schweiz zu tun haben. Das ist ein weiterer Kritikpunkt Sonkos: Die Strafverfolgungsbehörde sei für Delikte vor 2011 nicht zuständig.

Das Bundesstrafgericht scheint dies aber anders zu sehen. Soeben hat es die Bundesanwaltschaft «eingeladen», die Anklage zu verschärfen und die drei Tötungen (auch jene von Almamo Manneh) als Mord anzuklagen. Sonko prangert dies als weitere Ungerechtigkeit an und fordert den Ausstand des Gerichts. Dieses widerspricht. Es sei nicht befangen, nur weil es einen Entscheid fälle, der ihm nicht passe.

Wegen vieler solcher Schwierigkeiten zieht sich das Verfahren in die Länge. Die Verhandlungstermine sind noch nicht angesetzt.

Binta Jamba setzt grosse Hoffnungen in den Prozess. Sie leidet bis heute unter den Taten; sie ist traumatisiert und hat einen Rückenschaden davongetragen. Sie sagt: «Das Verfahren in der Schweiz ist wichtig für mich - und es ist wichtig für alle Opfer.» Sie alle seien auf der Suche nach Gerechtigkeit. «Ohne Gerechtigkeit», sagt sie, «werde ich in meinem Leben keinen Frieden mehr finden.» (aargauerzeitung.ch)

Binta Jamba erzählt ihre Geschichte per Skype in einer Anhörung.Video: YouTube/The Gambia TRRC
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43 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Johann Larson
09.07.2023 20:23registriert März 2021
Tragische Geschichte und hoffentlich landet der Typ hinter Gittern. Man muss sich aber auch mal ernsthaft fragen, was solche Typen bei uns zu suchen haben? Das ist ja nicht der erste Fall, wo ein afrikanischer Kriegsverbrecher von seinen Landsleuten hier erkannt wird. Offenbar fürchten die sich nicht wirklich vor der hiesigen Justiz und ich befürchte, dieser Fall wird das nicht grundlegend ändern.
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Alter Mann
09.07.2023 22:15registriert September 2020
Es ist richtig, dass Typen wie er vor ein Gericht kommen.
Aber eigentlich verstehe ich nicht wieso dieser Typ nicht dem internationalen Gerichtshof in DenHaag überstellt wird. Der IGH ist doch zuständig für solche Verbrechen und hat auch die dementsprechenden Ressourcen. Die Schweiz sollte lieber zusehen ihre eigenen Verfahren schneller zu einem Resultat zu bringen.
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AlfredoGermont
10.07.2023 06:23registriert März 2022
Gut, dass solche Verbrechen auch nach Jahrzehnten verfolgt werden können. Allerdings dürfte es schwierig sein, klare Beweise zu finden, das zeigt ja durch die Dauer des Verfahrens.
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