Für Ihren Bestseller «Der Geschmack nach Laub und Erde» haben Sie zahlreiche Experimente gemacht, in denen Sie versucht haben, die Welt wie ein nicht menschliches Tier wahrzunehmen. Sie haben beispielsweise wie ein Fuchs, ein Dachs, ein Otter (sic!) oder ein Reh gelebt. Eine verrückte Idee.
In den meisten Gesellschaften wäre das eine ganz normale Idee, nur nicht in unserer. In Zeiten, in denen wir Menschen als Jäger/-innen und Sammler/-innen gelebt haben, war es schlicht vernünftig, dass wir uns in andere nicht menschliche Tiere einfühlen und sie in gewisser Weise nachahmen konnten. Damit Menschen in der Lage waren, zu jagen, brauchten sie eine enge Verbindung zu den Tieren. Sie mussten verstehen, wie die Tiere wahrnehmen und wie sie sich durch die Welt bewegen. Ich habe in meinen Experimenten eigentlich nichts anderes getan, als eine Fähigkeit wiederzubeleben, ohne die wir Menschen niemals bis heute überlebt hätten.
Was hat den Anstoss für Ihre Versuche gegeben?
Wie alle Menschen versuche ich, aus mir selbst herauszukommen. Ich will doch nicht die ganze Zeit im Kopf von Charles Foster feststecken. Ich will lieber erkunden, wie weit ich mich in die Welten von anderen Lebewesen hineinfühlen kann. Ausserdem macht es unglaublichen Spass, wie ein Tier zu leben. Kinder verstehen das: Sie haben eine instinktivere und direktere Beziehung zur natürlichen Welt als Erwachsene. Sie krabbeln auf dem Boden, klettern auf Bäume und wollen stets Geschichten von Tieren erzählt bekommen? Dieses Projekt war auch ein Versuch, die Verbindung zur Welt wiederherzustellen, die ich als Kind hatte.
Verlieren wir die Verbundenheit mit der Welt, wenn wir erwachsen werden?
Ja, ich denke schon. Ich bin jetzt etwa zwei Meter gross – als Kind war ich dem Boden und allem, was auf und in ihm lebt, viel näher. Das Erwachsenwerden ist ein Prozess des Zurücklassens all jener Kreaturen, die eigentlich unsere nahen Verwandten sind. Während wir von der Erde wegwachsen, beginnen wir, mehr und mehr auf sie herabzuschauen - physisch und metaphorisch. Wir kommen zu der Überzeugung, dass alles, was unter uns lebt, weniger Wert hat als wir und deshalb von uns benutzt werden darf. In meinen Experimenten versuche ich auch, die vielen Meinungen und Wertungen zurückzulassen, die ich auf meiner Reise ins Erwachsenenleben angesammelt habe.
Wie läuft das konkret ab? Wie konnten Sie als zwei Meter grosser Mensch in die Perspektive eines viel kleineren Tieres eintauchen?
Zuerst habe ich alles über die Tiere gelesen, die ich erkunden wollte. Dann habe ich versucht, herauszufinden, wie ich etwas über die Welt der Tiere schreiben kann, das zugänglich und unterhaltsam, aber nicht dumm ist. Ich entschied mich dafür, mich bei jedem Tier auf einen Sinn zu konzentrieren, dem ich nacheifern wollte. Beim Dachs war es beispielsweise der Geruchssinn. Also hab ich meine Nase erst zu Hause geweckt: Ich habe Gerüche im Haus verteilt, bin mit verbundenen Augen durch die Räume gewandert und habe versucht, herauszufinden, was passiert, wenn Gerüche von Wänden abprallen oder sich miteinander vermischen. Dann haben mein Sohn und ich einen grossen Tunnel gegraben und sind darin eingezogen. Unsere Augen und Nasen waren auf der Höhe der Dachse, wir waren nachts wach und haben uns mithilfe unseres Geruchssinns fortbewegt.
Was können wir gewinnen, wenn wir unsere Sinne schärfen?
Zum einen macht es uns demütig – wir erkennen, wie begrenzt unsere Perspektive auf die Welt ist. Nicht menschliche Tiere können uns zeigen, dass die Welt viel komplexer und charismatischer ist, als wir denken. Zum anderen macht es das Leben spannender, wenn wir beginnen, mehr zu hören, zu riechen oder zu tasten.
Welches Experiment hat Ihnen am meisten Spass gemacht?
Das Leben als Otter! Ich liebe die Orte, wo Otter leben: Flüsse, die durch wilde Landschaften ziehen. Es ist so leicht und schön, nachts im Fluss zu treiben, die Sterne anzuschauen und das Klappern der Flusskrebse zu hören – und so anders als mein gewöhnliches Leben. Mitten in London wie ein Fuchs zu leben ist deutlich schwieriger: Da braucht es eine Menge Fantasie, um sich nicht in den gewohnten menschlichen Bahnen zu bewegen. Und es ist auch nicht gerade angenehm, ein Stück Pizza zu essen, das jemand am Abend zuvor angebissen hat.
Würden Sie Ihr Experiment allen empfehlen?
Ja, unbedingt. Meine Experimente waren wie Besuche im Empathie-Fitnessstudio: Ich habe mein Einfühlungsvermögen trainiert. Und das nützt mir auch in meinen Beziehungen zu Menschen: Wenn ich es schaffe, mich auch nur ein kleines bisschen in die Welt eines Fuchses einzufühlen, dann gelingt es mir vielleicht auch besser, mich in die Welt meiner Kinder einzufühlen. Das Sich-Einfühlen ist letztlich ein Prozess, der sich in jeder Form von Beziehung vollziehen sollte. Es kann dich zu einem besseren Freund, zu einem etwas weniger entfernten Vater, zu einem solidarischeren Erdbewohner machen.
Was hat sich bei Ihnen persönlich verändert?
Ich habe ein stärkeres Bewusstsein für Beziehungen und für das ganz gewöhnliche Geschäft des Lebens entwickelt. Ich versuche, echte Aufmerksamkeit zu geben. Ich glaube, das machen wir leider nur sehr selten. Wir sehen nicht den Baum, der vor uns steht, sondern denken stattdessen über alles nach, was wir über Bäume wissen, oder an alle Erinnerungen, die mit Bäumen verknüpft sind. Und das ist schade! Denn ich bin sicher, dass dieser Baum interessanter ist als Charles Fosters Gedanken über diesen Baum. In diesem Punkt können wir sehr viel von nicht menschlichen Tieren und ihrem Blick auf die Welt lernen.
Viele würden sagen: Wir sind Menschen, wir können nie fühlen, was Dachse fühlen. Wo lagen die Grenzen Ihres Experiments?
Wenn man das Projekt daran misst, ob es mir gelungen ist, in den Kopf der Tiere zu gelangen, dann war es ein fast vollständiger Fehlschlag. Aber: Es hat mich davon überzeugt, dass der Versuch die Mühe wert ist. Dass es sich lohnt, mehr an meinen Empathie-Muskeln zu arbeiten. Ich kann lernen, mich nicht für den Mittelpunkt des Universums zu halten.
Wie weit würden Sie denn gehen: Sollten wir uns auch in Pflanzen, Steine, Bücher einfühlen?
Schaden kann es nicht. Es geht ja bei diesem Experiment auch um die Suche nach der Verbundenheit. Interessanterweise sehen das ja sowohl alte Traditionen als auch die moderne Quantenphysik gleich: Alles ist miteinander verbunden. Doch das erkennen wir in unserer Gesellschaft nicht. Wir sehen nur Einzelteile, nie das Ganze. Wir betrachten auch Menschen eher als Maschinen denn als mystische Einheiten, die mit allem verwoben sind. Dabei sind wir wie alle anderen Tiere Wesen, die ganz eng in Beziehung mit der Welt stehen und ganz auf diese Beziehungen angewiesen sind. Ich bin überzeugt, dass wir persönlich, gesellschaftlich und politisch glücklicher wären, wenn wir das erkennen würden.
Sie sprechen gern von Verbundenheit und Beziehung. Aber wir Menschen grenzen uns ständig von anderen Tieren ab. Wieso tun wir das?
Wir sind stolze Geschöpfe und haben gerne Dinge, auf die wir herabblicken können – Tiere oder andere Menschen. Wir glauben gerne, dass wir alles Nichtmenschliche als Gebrauchsgegenstände verwenden können. Damit geben wir uns die Erlaubnis, die nicht menschliche Welt zu zerstören – was letztlich auch uns zerstört. Auch ich finde: Menschen sind aussergewöhnliche Lebewesen. Aber wir verlieren viel, wenn wir so tun, als gäbe es keine Kontinuität zwischen uns und anderen Tieren. Darwin sagte schon vor 150 Jahren, dass nicht menschliche Tiere zu unserer Familie gehören. Sie sind haarig und fedrig und schuppig. Und sie sind mit uns verwandt - wenn ich diesen biologischen Fakt nicht anerkenne und respektiere, kann ich auf dieser Welt nicht richtig leben. Das Wissen um unsere Verwandtschaft ist doch toll: Es ist wahnsinnig aufregend, in einen Wald zu laufen und zu wissen, dass man zu einem Familientreffen geht.
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