Viel Bewegung erfährt die Frage der Waffenstillstandsverhandlungen im Ukraine-Krieg zu Beginn dieser Woche: Welche Absichten tatsächlich hinter dem Ankündigungsreigen aus Moskau stecken mögen, fasst folgende Übersicht zusammen.
Wie Moskau mit US-Präsident Donald Trump Katz und Maus spielt, offenbarte sich beispielhaft am Montag: Einerseits kündigte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow die Bereitschaft zu Waffenstillstandsgesprächen mit der Ukraine «ohne Vorbedingungen» an und spielte den Ball für den ersten Schritt Kiew zu. Wenig später erstickte Aussenminister Sergej Lawrow mit knallharten Forderungen jegliche Hoffnungen auf russische Kompromissbereitschaft im angeblichen Friedensprozess im Keim.
Neben den längst bekannten Punkten – der internationalen Anerkennung der Krim und der vier (teil-)okkupierten Oblasten, der «Denazifizierung und Demilitarisierung» der Ukraine sowie deren Verzicht auf den Nato-Beitritt – stellte Moskaus Chefdiplomat zusätzliche Forderungen. Dazu gehören die Einstellung aller Sanktionen gegen Russland und die Rückgabe eingefrorener Staatsvermögen sowie die Rücknahme aller Gesetze in der Ukraine, die sich «gegen die russische Kultur und die russisch-orthodoxe Kirche» richten.
Schliesslich mischte sich Putin persönlich in die Kaskade der montäglichen Statements aus Moskau ein: Aus «humanitären Gründen» ordnete er rund um den Tag des Sieges im Zweiten Weltkrieg eine 72-stündige Kampfpause zwischen dem 8. und 10. Mai an.
Mit diesem Ankündigungs-Pingpong versuchte Russland, nach dem Propaganda-Coup von Selenskyjs römischem Sesselgespräch mit Trump die Informationshoheit und den Einfluss auf die Weltöffentlichkeit zurückzuerlangen. «Die Russen sind – leider – sehr geschickt darin, (...) mit dem Finger auf uns zu zeigen, dass wir in der Schuldpflicht sind», fasst Botschafter Andrii Melnyk die ukrainische Herausforderung auf kommunikativer Ebene in einem Interview am Dienstag zusammen: «Da müssen wir einfach besser werden.»
Beide Kriegsparteien sind von den Launen und der Tagesform des US-Präsidenten abhängig: die Ukraine, um die entscheidende finanzielle und materielle Unterstützung der westlichen Supermacht nicht vollends zu verlieren. Russland, um den von Trump geforderten, aber ungewollten Waffenstillstand so lange wie möglich hinauszuzögern – respektive im Idealfall die Durchsetzung eines totalen Siegfriedens dank der USA zu besiegeln.
Sah es dank Trump lange nach Moskaus Wunschszenario aus, fürchtet man sich im Kreml nach dem Treffen in Rom und verschiedenen Äusserungen Trumps in den vergangenen Tagen über einen Meinungsumschwung und eine Annäherung zwischen der Trump-Administration und Selenskyj. US-Aussenminister Marco Rubio erklärte die nächsten Tage zur «Woche der Entscheidung» im Verhandlungsprozess. Ohne substanzielle Fortschritte werde sich die US-Regierung «anderen Dingen» zuwenden.
Ob Moskaus oszillierende diplomatische Aktivitäten Trump weiter hinhalten können, blieb zu Wochenbeginn noch weitgehend fraglich. Der US-Präsident kritisierte Putins befristete Mai-Kampfpause laut Sprecherin Karoline Leavitt als «nicht umfassend genug», beschuldigte aber auch Selenskyj, nicht genügend kooperativ zu sein.
If Russia truly wants peace, it must cease fire immediately.
— Andrii Sybiha 🇺🇦 (@andrii_sybiha) April 28, 2025
Why wait until May 8th? If the fire can be ceased now and since any date for 30 days—so it is real, not just for a parade.
Ukraine is ready to support a lasting, durable, and full ceasefire. And this is what we are…
In Kiew weiss man nur zu gut, wie schnell die Stimmung im Weissen Haus wieder zu Selenskyjs Ungunsten kippen kann. Der ukrainische Aussenminister Andrii Sybhia konterte, für ein Hinauszögern des Waffenstillstands bis zum 8. Mai gebe es keinen Grund; schliesslich habe man selbst einen bedingungslosen 30-tägigen Waffenstillstand angeboten. Auch Selenskyj kritisierte in seiner Abendbotschaft Putins Anordnung als einen «weiteren Manipulationsversuch» Moskaus.
Informationen am Dienstag weisen darauf hin, dass Putin noch aus einem anderen Grund mit seinem Mai-Waffenstillstand vorgeprescht ist. Dabei könnte es sich um ein klassisches Täuschungsmanöver handeln, um von den eigentlichen militärischen Absichten abzulenken. Laut verschiedenen Quellen soll die russische Frühjahrsoffensive in den letzten Tagen voll entbrannt sein. Schwere Kämpfe an verschiedenen Frontabschnitten sind die Folge.
(KS) #Russland|s Frühjahrsoffensive soll im vollen Gang sein: 🇷🇺 Truppen versuchen im NO auf Sumy vorzurücken, im Donbass gäbe es größere Gefechte bei Torezk, Tschassiw Jar, Kupjansk und Pokrowsk, wo auch Vorstoß zur Oblast Dnipropetrowsk zu erkennen sei.https://t.co/TGxnFjvMpz pic.twitter.com/N0mSWMy9Q6
— Gesellschaft für Sicherheitspolitik e.V. (GSP) (@GSPSipo) April 29, 2025
Schon während des bisherigen Kriegsverlaufs forderte Putin von seiner Armee immer wieder vorzeigbare militärische Erfolge auf wichtige Daten im russischen Kalender hin. Ein sofortiger Waffenstillstand, wie von Trump gefordert und von der Ukraine angeboten, käme dem Kreml jetzt deshalb mehr denn je ungelegen. Dagegen würde eine 72-stündige Kampfpause in zehn Tagen, sofern überhaupt eingehalten, das ungestörte Heranführen von russischem Nachschub ermöglichen.
Die bisher erfolgreiche russische Hinhalte- und Täuschungstaktik in den Waffenstillstandsbemühungen hat Kiew seinerseits in seiner Einsicht bestärkt, dass Russland nur mit militärischen Erfolgen zu echten Zugeständnissen im Verhandlungsprozess gebracht werden kann. Die grösste Herausforderung der Ukraine liegt also weiterhin in der Abwehr des russischen Luft- und Landkriegs.
Was bisher im Geheimen und ohne förmliche Bestätigung ablief, ist seit diesem Wochenende offiziell: Nordkorea führt faktisch Krieg gegen die Ukraine. Wladimir Putin dankte am Montag laut einer Kreml-Mitteilung den nordkoreanischen Truppen für «den Heldenmut, das hohe Niveau der Spezialausbildung und die Hingabe der koreanischen Kämpfer, die Schulter an Schulter mit den russischen Kämpfern unser Vaterland wie ihr eigenes verteidigt haben» – auch dies alles andere als ein Friedenssignal aus Moskau.
Ebenso gab Nordkoreas Diktator Kim Jong-un laut der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA am Sonntag erstmals offiziell den Befehl zur Entsendung von Soldaten nach Russland. Gemäss südkoreanischen Geheimdienstangaben setzte Russland bisher bereits 10'000 bis 12'000 nordkoreanische Soldaten – unter hohen Verlusten – im Raum Kursk ein.
Zweifellos halfen diese mit, Putins dortige Gegenoffensive durchzuführen, ohne dass Russland zusätzliche Truppen aus anderen umkämpften Frontabschnitten verlegen musste, wie sich das die Ukraine ursprünglich erhofft hatte. Mindestens ebenso wichtig blieben aber auch die nordkoreanischen Raketen-, Munitions- und Materiallieferungen, welche die sich zunehmend leerenden Waffenlager Russlands ausgleichen können.
Noch scheint auf russischer Seite das Tabu zu bestehen, nordkoreanische Soldaten auf ukrainischem Boden einzusetzen. Je nach Kriegslage und des jetzt erfolgten offiziellen Befehls durch Kim Jong-un könnte sich das aber rasch ändern. Bisher haben weder die Ukraine noch die USA noch die westlichen Verbündeten ein Mittel gefunden, diesen als historisch geltenden Einsatz von regulären asiatischen Soldaten in Europa zu unterbinden. (aargauerzeitung.ch)