International
Ukraine

Neue Erkenntnisse zur Sprengung von Nord Stream 2 – was wir wissen

Neue Erkenntnisse zur Sprengung von Nord Stream 2 – was wir wissen

08.03.2023, 12:0508.03.2023, 12:36
Mehr «International»

Was ist passiert?

In der Nacht zum 26. September letzten Jahres vermeldete der Betreiber der beiden Nord-Stream-Pipelines einen Druckabfall in drei von vier Röhren. Bei ersten Abklärungen wurden drei Lecks südöstlich der dänischen Insel Bornholm entdeckt, ein paar Tage später fand man einen 200 Meter langen Riss an einer der Röhren.

Es dauerte nicht lange, bis Dänemark vermeldete, es handle sich nicht um einen Unfall: Aufgrund des zeitlichen Ablaufs und des nahen Zusammenliegens der Lecks lag der Verdacht nahe, dass es sich dabei um einen gezielten Sabotageakt handelte.

Der russische Präsident Wladimir Putin sprach von einem «Akt des internationalen Terrorismus» und «beispielloser Sabotage». Auch deutsche Behörden gingen von Sabotage aus: Berechnungen hatten ergeben, dass hochwirksame Sprengsätze zum Einsatz gekommen waren. In den Medien wurde heiss spekuliert, wer hinter dem mutmasslichen Anschlag steckte – Hauptverdächtiger war Russland selber.

Was gibt es Neues?

Ein aktueller Bericht eines deutschen Medienkonsortiums bringt neue Hinweise zum Ablauf der Sprengung ans Licht. Angeblich soll den deutschen Ermittlungsbehörden ein Durchbruch gelungen sein. Die Spuren führen diesmal in die Ukraine.

So ist es den Ermittlern gelungen, das Boot zu ermitteln, welches mutmasslich für den Anschlag verwendet wurde. Dabei soll es sich um eine private Jacht handeln, die zwar von einer Firma mit polnischem Sitz angemietet worden sei, aber zwei Ukrainern gehört.

Laut dem Bericht stach das Schiff am 6. September vom deutschen Rostock aus in See. An Bord: ein Kapitän, zwei Taucher, zwei Tauchassistenten und eine Ärztin. Die Ermittler konnten das Boot rückwirkend am nächsten Tag vor der dänischen Insel Christiansø, nordöstlich von Bornholm, lokalisieren. Die Attentäter sollen also den Sprengstoff in diesem Zeitraum zu den Pipelines gebracht und dort platziert haben.

Welchen Sprengstoff? Sprengstoff, welchen die Ermittler offenbar auf dem Boot nachweisen konnten. Das Schiff wurde nämlich in ungereinigtem Zustand zurückgegeben. Bei Untersuchungen wurden dann eben Spuren von Sprengstoff auf dem Tisch in der Kabine gefunden.

Was sagen die USA?

Auch auf amerikanischer Seite wird nun eine pro-ukrainische Gruppierung hinter dem Anschlag vermutet. In einem vage gehaltenen Beitrag stützt sich die «New York Times» auf einen neuen Geheimdienstbericht.

Konkrete Angaben, weshalb eine solche Gruppe für den Anschlag verantwortlich sei oder was den Geheimdienst zu dieser Annahme führt, werden nicht gemacht. Die US-Regierung bestätigte zwar die Existenz des Berichts, gab aber keine Informationen über die Sicherheit des Inhalts oder darüber, wie der Bericht zustande kam.

FILE - In this picture provided by Swedish Coast Guard, a small release from Nord Stream 2 is seen, Wednesday, Sept. 28, 2022. A fourth leak on the Nord Stream pipelines has been reported off southern ...
Bild: keystone

Was die US-Behörden jedoch klar formulierten, ist, dass kein Beweis für eine Mitwisserschaft Wolodymyr Selenskyjs oder seiner Top-Generäle vorliege. Auch gebe es keine Anzeichen, dass die Täter unter Führung von ukrainischen Regierungsmitarbeitern gehandelt hätten.

Wer wird sonst noch beschuldigt?

Nach wie vor steht die Theorie einer russischen «False Flag Operation» im Raum. So sollen russische Akteure den Anschlag durchgeführt und gezielt Hinweise auf eine pro-ukrainische Täterschaft gestreut haben. Damit soll die Schuld der Ukraine zugeschoben werden.

Es wäre nicht das erste Mal, dass Russland einer solchen Aktion unter falscher Flagge beschuldigt wird. So ist die Theorie weitverbreitet, dass die Anschläge auf russische Wohnhäuser, die schlussendlich der Auslöser für den zweiten Tschetschenienkrieg waren, gar nicht von tschetschenischen Terroristen, sondern von russischen Agenten durchgeführt wurden.

Währenddessen werden auch die USA des Anschlags bezichtigt. So will der legendäre Enthüllungsjournalist Seymour Hersh herausgefunden haben, dass die Sprengsätze von US-Marinetauchern angebracht und anschliessend ferngezündet wurden. Die ganze Aktion habe unter dem Deckmantel einer NATO-Übung stattgefunden und sei auf direkte Anordnung des Weissen Hauses passiert. Hersh beruft sich dabei auf eine anonyme Quelle, die «ziemlich viel darüber zu wissen scheint, was vor sich ging».

Wie geht es weiter?

Es ist unklar, wie lange die offiziellen Ermittlungen noch andauern werden. Sollten Dänemark, Deutschland oder Schweden zum Schluss kommen, dass tatsächlich ukrainische Kreise hinter dem Anschlag steckten, würde dies sicherlich die bilateralen Beziehungen zwischen Berlin und Kiew belasten.

Ein Berater von Präsident Selenskyj sagte allerdings am Dienstag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, die Ukraine habe nichts mit «dem Missgeschick» in der Ostsee zu tun gehabt.

Eine Reparatur der beschädigten Pipelines könnte gemäss der «New York Times» mehr als 500 Millionen Dollar kosten. Vorige Woche berichtete die Nachrichtenagentur Reuters, dass die Besitzerin der Pipelines, die Nord Stream AG mit Sitz in Zug, aktuell keine Pläne wälze, diese Reparatur auszuführen. Die Nord Stream AG befindet sich mehrheitlich im Eigentum des staatlichen russischen Energiekonzerns Gazprom.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
256 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
sägsäuber
08.03.2023 12:44registriert Oktober 2017
Bis vorgestern war man sich einig: für die Sprengung brauchte es eine aufwändige staatliche Organisation. Jetzt waren es 2 private Taucher mit einer Mietjacht mitten im bestens überwachten Meer während einem NATO-Manöver. Und sie haben noch stümperhaft Sprengstoffspuren hinterlassen.
Sind wir doch gespannt auf das nächste Kapitel des Märchens.
21013
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kanzo
08.03.2023 12:43registriert Mai 2022
Ich bin enttäuscht über die Medien Landschaft allgemein mit dieser Berichterstattung. Nix, überhaupt nix ist bewiesen aber die erste Nachricht wird sich in tausenden Menschen einbrennen. Wir reden von 75M tiefe, Profi-Taucher alleine haben grenzwertig Schwierigkeiten mit 40M tiefe. Es bräuchte eine zusätzliche Überdruck kammer die keine "Gewöhnliche" Yacht, platz dafür hat. Es sind mehr als hundert Kilo Sprengstoff und das soll ein Taucher gewesen sein? Wirklich?! Wie bei jeden Fall, kann es Monate/ Jahre dauern aber bis denn ist jeder unschuldig. Vorallem einen schwierigen Unterwasser Fall.
12921
Melden
Zum Kommentar
avatar
rephil
08.03.2023 13:04registriert August 2021
Ich persönlich würde weder die USA, Russland noch die Ukraine ausschliessen. Ich frage mich nur, ob das Manöver wirklich mit einer Mietjacht durch Amateure ausgeführt werden kann. (Logistik, Tauchtechnik etc.) Ausserdem: Werden Mietjachten nach Rückgabe und vor der Reinigung standardmässig auf Sprengstoff untersucht oder wieso fand man dies überhaupt heraus? Dies erscheint mir etwas komisch.
976
Melden
Zum Kommentar
256
Warum Donald Trump einen sehr schlechten Tag hatte
Seine Anwälte haben die Eröffnungsrede zum «Schweigegeld»-Prozess gründlich vermasselt.

Nur so als Gedankenspiel: Stellt euch vor, der Anwalt eines Bankräubers verteidigt seinen Klienten mit dem Argument, jeder, der eine Bank betrete, wolle dort Geld holen. Mag sein, doch ob er dabei dieses Geld von seinem Konto abhebt oder ob er es mit vorgehaltener Pistole einfordert, ist ein kleiner, aber nicht ganz unbedeutender Unterschied.

Zur Story