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Ukraine

Russischer Luftangriff auf ukrainische Grossstädte – das wissen wir

epa11564625 A handout photo released by the press service of the State Emergency Service (SES) of Ukraine shows Ukrainian rescuers working at the site of a rocket strike in Kramatorsk, Donetsk region, ...
Ein zerstörtes Gebäude in der Donezk-Region, welches am 25. August von einer russischen Rakete getroffen worden war.Bild: keystone

Massiver Luftangriff aus Russland – Damm in Kiew bombardiert, Energienetz als Hauptziel

Russland hat die Ukraine am Montagmorgen massiv mit Raketen, Marschflugkörpern und Drohnen aus der Luft beschossen. Beobachter in Kiew sprechen von einem der schwersten Luftangriffe in zweieinhalb Jahren Krieg.
26.08.2024, 14:44
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Angriff in 15 Regionen

Um 6 Uhr am Montagmorgen, dem 26. August, ertönten in der ganzen Ukraine Luftschutzsirenen. Sie kündigten russische Luftangriffe auf mehrere ukrainische Grossstädte an. Laut Medienberichten wurden Explosionen in der Hauptstadt Kiew sowie in Odessa, Saporischschja, Charkiw, Luzk und weiteren ukrainischen Städten registriert. Insgesamt 15 Regionen seien von den Angriffen betroffen, teilte der ukrainische Premierminister Denys Schmyhal mit. Er führte aus:

«Der Feind setzte verschiedene Waffentypen ein: Drohnen, Marschflugkörper und Kinschals (Hyperschallraketen).»

Wie der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj mitteilte, seien über 100 Angriffsdrohnen und über 100 Raketen beim russischen Luftangriff eingesetzt worden. Selenskyj berichtet, dass «kritische zivile Infrastruktur» in der Ukraine, insbesondere in Charkiw, Kiew, Odessa und westlichen Regionen der Ukraine, das Hauptziel der Angriffe war.

Auf Telegram fügt er hinzu, dass Energieanlagen schwer beschädigt wurden, doch die Reparaturteams arbeiten «rund um die Uhr» an der Wiederherstellung der Stromversorgung. Er appellierte zudem an die westlichen Verbündeten, der Ukraine Langstreckenangriffe zu gestatten, um auch Angriffsbasen in Russland treffen zu können.

Damm in Kiew angegriffen

Das Wasserkraftwerk am Stausee von Kiew ist nach ukrainischen Medienberichten durch einen russischen Luftangriff beschädigt worden. Die Nachrichtenagentur Unian in Kiew meldete den Treffer, nachdem in russischen Telegramkanälen ein Video der Schäden aufgetaucht war.

Demnach brannte es im Turbinenraum des Wasserkraftwerks, die Strasse auf der Staumauer war beschädigt. «Es ist sinnlos, das zu verschweigen», schrieb die Nachrichtenagentur. Die Militärverwaltung des Kiewer Umlands bestätigte nach dem Luftangriff offiziell nur Schäden an zwei nicht näher bezeichneten Anlagen der Energieinfrastruktur.

Zugleich versuchten ukrainische Behörden, Befürchtungen vor einer möglichen Zerstörung der Staumauer zu zerstreuen. «Es gibt keine Bedrohung für den Damm des Kiewer Wasserkraftwerks. Es ist unmöglich, ihn mit Raketen zu zerstören», schrieb Andryj Kowalenko, Leiter des Zentrums zur Bekämpfung von Desinformation, auf Telegram.

Die Lage sei nicht mit der Zerstörung des Staudamms von Kachowka in der Südukraine 2023 zu vergleichen. Dieser sei von innen gesprengt worden. In der Flutwelle waren Dutzende Menschen ertrunken. Das Wasser richtete schwere Schäden an.

Der Stausee des Dnipro nördlich der ukrainischen Hauptstadt, das sogenannte Kiewer Meer, hat eine Oberfläche von etwa 920 Quadratkilometern und fasst 3,7 Milliarden Kubikmeter Wasser. Bei Angriffen im Frühjahr sind unter anderem die Kraftwerksanlagen der Staustufen Dnipro und Saporischschja beschädigt worden.

Ukrainische Luftabwehr gefordert

Gouverneur Viktor Mykyta teilte auf X ein Video, dass einen ukrainischen Soldaten einer Luftabwehreinheit im westlichen Gebiet Transkarpatien zeigt. Mit einem auf einem Lastwagen montierten Maschinengewehr schoss er einen russischen Marschflugkörper ab. Die Echtheit des Videos wurde vom RTL/ntv-Verifizierungsteam bestätigt.

Wegen der Nähe der russischen Angriffe zur polnischen Grenze liess das polnische Militär Abfangjäger aufsteigen, wie die Nachrichtenagentur PAP meldete. An dem Einsatz waren den Angaben nach auch Flugzeuge anderer Verbündeter beteiligt.

In Polen sei zudem ein unbekanntes Flugobjekt gelandet. Wie der britische Guardian mit Berufung auf die polnische Armee berichtet, handle es sich wahrscheinlich um eine Drohne. Es werde zurzeit nach dem Objekt gesucht.

Bisher sechs Todesopfer

Bei den Angriffen starben laut aktuellen Informationen mindestens sechs Personen. Die Toten stammten aus den Oblasten Dnipropetrowsk und Schytomyr sowie den Städten Kiew, Luzk, Saporischschja und Isjum.

Einen Überblick über alle Opfer und Schäden gibt es bislang aber nicht.

Ukrainisches Energiesystem im Visier

Ersten Informationen zufolge war erneut das ukrainische Energiesystem ein Hauptziel des Angriffs. In Kiew war der Luftalarm erst nach fast acht Stunden gegen 13.45 Uhr Ortszeit (12.45 Uhr MESZ) vorbei, weil bis dahin immer noch Schwärme russischer Kampfdrohnen im Luftraum registriert wurden.

«Der Feind lässt nicht von seinen Plänen ab, den Ukrainern das Licht auszuschalten», schrieb Energieminister Herman Halutschschtenko auf Facebook. Die Lage sei schwierig. Der Stromversorger Ukrenerho und andere Energiefirmen versuchten, das Netz durch Notabschaltungen zu entlasten. Wo kein Strom ist, fällt meist auch die Versorgung mit Wasser aus.

Seit dem Jahreswechsel 2023/24 hat Russland mit mehreren kombinierten Luftangriffen versucht, Kraftwerke und die Energieinfrastruktur der Ukraine auszuschalten. Bei einem Angriff am 29. Dezember setzte die russische Armee nach Kiewer Zählung 122 Raketen und Marschflugkörper sowie 36 Drohnen ein. In der Ukraine waren mehr als 30 Tote zu beklagen.

Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, berichtete von Stromausfällen in mehreren Bezirken der Hauptstadt und fügte hinzu, dass es Probleme mit der Wasserversorgung auf der rechten Uferseite der Stadt gebe.

Ruslan Kravchenko, Leiter der regionalen Militärverwaltung von Kiew, erklärte, dass Infrastruktureinrichtungen im Gebiet Kiew betroffen seien. Die Behörden richteten «Punkte der Unbesiegbarkeit» ein, kommunale Stationen, die den von Stromausfällen betroffenen Einwohnern die Möglichkeit zum Aufladen von Handys und Internetzugang bieten.

Ukraine fordert Zulassung von Langstreckenangriffen

Als Reaktion auf den russischen Luftangriff forderte der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba auf X, dass die «Partner der Ukraine» zwei Schritte unternehmen sollen, um «den russischen Terror endlich zu beenden».

Genauer forderte er die Zustimmung für Langstreckenangriffe auf legitime militärische Infrastruktur auf russischem Staatsgebiet sowie, dass Verbündete ihre eigenen Verteidigungskapazitäten nutzen sollen, um Drohnen und Raketen in der Nähe des eigenen Luftraums abzuschiessen. Laut ihm sei das keine Eskalation des Konfliktes.

«Keine dieser Entscheidungen ist eskalierend. Im Gegenteil, sie werden Russland abschrecken und dazu beitragen, den Terror und die Zahl der russischen Angriffe sowie die daraus resultierenden Opfer zu verringern. Handeln Sie jetzt, nicht später. Helfen Sie uns, Leben zu retten.»
Dmytro Kuleba auf X.

(ear/saw)

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188 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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manuel0263
26.08.2024 10:29registriert Februar 2017
Ist es denn endlich mit vereinten Kräften möglich, diesen irren Möchtegern-Zaren in Moskau nach zweieinhalb Jahren Unglück, Zerstörung und so vielen sinnlosen Toten auf beiden Seiten definitiv in die Schranken zu weisen? Unsere Lebensart, unsere Kultur, unsere Freiheit werden hier gleichfalls angegriffen. Und auch die Schweiz zählt für ihn zum Westen und damit zu seinen Feinden. Wie die drei berühmten Affen nichts hören, nichts sehen und nichts sagen zu wollen - in der Hoffnung auf bald wieder lukrative Geschäfte - wird da garantiert auch nicht helfen.
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Der Lette
26.08.2024 11:00registriert Juni 2024
Europa (auch die Schweiz) erwache, bevor es zu spät ist. Liefert der Ukraine Waffen und Abwehrsysteme in grosszügigen, und nicht in homöopathischen Mengen.
Jerder der mit RuZZland noch Geschäfte macht, ist ein Kriegstreiber, auch die Scheizer Pharmaindustrie. Aber eben, Geld regiert die Welt.
20223
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C137
26.08.2024 10:28registriert April 2017
Bin gerade im Norwesten der Ukraine und sitze in einem Coiffeur-Geschäft. Draussen heulen die Syrenen und warnen vor Luftangriffen. Die Leute reagieren nicht einmal mehr. Die Haare werden einfach weiter geschnitten und frisiert, als ob nichts wäre. Verrückt!
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