Die Anzeichen mehren sich, dass die russischen Streitkräfte sich nach dem Rückzug aus dem Grossraum Kiew auf die Ostukraine konzentrieren und eine neue Offensive vorbereiten. Gegen 20 Einheiten sollen sich auf dem Weg in der Donbass-Region befinden, sagte ein hochrangiger Angestellter des amerikanischen Verteidigungsministeriums am Montag in einem Hintergrundgespräch für Journalisten.
Rund die Hälfte dieser Bataillone, die jeweils vielleicht gegen 800 Mitglieder der russischen Streitkräfte umfassen, befänden sich bereits in der Ukraine - auf Satellitenbildern war am Wochenende ein mehr als 12 Kilometer langer Konvoi auszumachen, der sich nördlich von Isjum befinden soll. (Die strategisch wichtige Stadt befindet sich bereits unter russischer Kontrolle.)
Das US-Verteidigungsministerium besitze allerdings weder Informationen über die Einsatzfähigkeit dieser Verbände noch über ihre Ziele, sagte der Pentagon-Vertreter. Im Gegensatz zu Kiew scheint Washington der Meinung zu sein, dass eine neue russische Offensive im Osten aktuell noch nicht begonnen hat.
Russland prahlte am Montag damit, in der Nähe der ostukrainischen Stadt Dnipro ein Flugabwehrraketensystem zerstört zu haben. Dabei solle es sich um S-300 Raketen gehandelt haben, die erst vor einigen Tagen von der Slowakei in die Ukraine geliefert worden waren - nachdem die USA sich ihrerseits bereit erklärt hatten, die Slowakei mit einem Abwehrsystem aus amerikanischer Produktion zu beliefern. Sowohl in Kiew als auch in der slowakischen Hauptstadt Bratislava wurden die Aussagen eines Sprechers des russischen Verteidigungsministeriums allerdings entschieden dementiert. Auch das Pentagon in Washington gab sich skeptisch.
Der Stellungskrieg im Süden der Ukraine hält an. Während russische Truppen Cherson besetzen, scheint die Ukraine die Nachbarstadt Mykolajiw zu kontrollieren. Mariupol wiederum, die strategisch wichtige Hafenstadt am Asowschen Meer, sei weiterhin stark umkämpft. In den Augen des amerikanischen Verteidigungsministeriums ist es den russischen Streitkräften aber bisher nicht gelungen, die Stadt zu besetzen.
Ukrainische Soldaten hatten zuvor berichtet, dass die «letzte Schlacht» um Mariupol bevorstehe, weil ihnen die Munition ausgehe. Alle Infanteristen seien tot, und nun würden Artilleristen, Funker, Fahrer, Köche und gar Musiker auf die Russen schiessen, zitierten Medien ein Facebook-Post. Gemäss staatlichen russischen Nachrichtenagenturen befindet sich der Hafen der Stadt nun unter Kontrolle russischer Separatisten. Überprüfen liess sich diese Angabe nicht.
Bei der Belagerung von Mariupol seien «Zehntausende» von Zivilisten gestorben, sagte am Montag der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski. Die Stadt sei durch russische Soldaten komplett zerstört worden, sagte er in einer virtuellen Ansprache vor dem südkoreanischen Parlament. Ein Pentagon-Vertreter sagte am Montag, man bereite sich auf das Schlimmste vor.
Offenbar sieht die Realität anders aus.