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Ukraine-Krieg: Die Bedeutung von Scharfschützen

Ukrainische Scharfschuetzen (Ukrainian snipers)
Ukrainische Scharfschützen (Archivbild): «Kleine Einheiten geraten komplett durcheinander, wenn ihr Anführer getötet wird.»Bild: imago

Absolut tödlich auf 1500 Meter

Scharfschützen spielen eine immer wichtigere Rolle im Kampf gegen Putins Truppen. Die Spezialkräfte haben vor allem eine Aufgabe.
05.09.2023, 21:5305.09.2023, 21:53
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Ein Artikel von
t-online

Sie sind so gut wie unsichtbar, treffen ihre Ziele über Hunderte Meter hinweg und verbreiten Angst und Schrecken unter den Besatzern: Scharfschützen werden im Kampf der Ukraine gegen die russische Armee offenbar immer wichtiger. Besonders abgesehen haben es die speziell ausgebildeten und ausgerüsteten Soldaten wohl auf Putins Führungsoffiziere.

«Wenn man sich gerade auf einen Angriff vorbereitet und plötzlich ist der Kommandeur weg, gerät die ganze Einheit in Aufruhr», so der US-Militärexperte und pensionierte Armeegeneral Robert Scales im «Wall Street Journal». «Kleine Einheiten geraten komplett durcheinander, wenn ihr Anführer getötet wird.» Lohnenswert sei auch die Jagd auf erfahrene Artillerieschützen, deren Fähigkeiten schwer zu ersetzen seien.

Russlands Nachteil auf dem Schlachtfeld

Die russischen Offiziere geben besonders leichte Ziele für die Ukrainer ab, glaubt Scales, weil sie schon von Weitem gut an ihren Uniformen und selbst an ihren Stiefeln zu erkennen seien. In der russischen Armee gelangen nur akademisch ausgebildete Offiziere in Führungspositionen. In westlichen Armeen können dagegen das Kommando auch Unteroffiziere übernehmen, die sich durch Leistungen im Dienst oder im Kampfeinsatz ausgezeichnet haben.

Auch die ukrainische Armee hat dieses Prinzip übernommen, weil es schnellere Entscheidungen und damit Vorteile auf dem Schlachtfeld bietet. Auf russischer Seite müssen sich die Kommandeure vor Ort dagegen immer mit Führungsoffizieren abstimmen, die sich in Kommandoposten weit hinter der Front aufhalten. «Scharfschützen können den Krieg nicht allein gewinnen, aber ein guter Schuss kann eine Situation an einem Frontabschnitt verändern», erklärt Ruslan Schpakowitsch dem «Wall Street Journal».

Kiew setzt stärker auf Fernschützen

Der ukrainische Soldat war selbst Scharfschütze und trainiert jetzt andere Soldaten für diese Aufgabe. Anders als bislang will Kiew nicht mehr nur voll ausgebildete Scharfschützen an die Front schicken, sondern auch einfache Soldaten mit einer Fortbildung und der entsprechenden Ausrüstung.

Begleitet wird der Schütze in der Regel von einem Späher, der mit dem Fernglas Ziele auskundschaftet und überprüft, ob der Schütze das Ziel getroffen hat. Im Tarnanzug und im Schutz der Nacht, immer auf der Hut vor russischen Minen, nähern sich die Schützen-Teams dann den russischen Stellungen.

Welchen Wert Scharfschützen mit westlichen Präzisionsgewehren haben, hat die Ukraine im Kampf um Bachmut gelernt. Seit Anfang des Jahres operiert in der Stadt im Osten des Landes eine Einheit von 20 Scharfschützen, die sich selbst die «Geister von Bachmut» nennen. Nach eigenen Angaben haben sie zwischen Januar und Juli 524 russische Besatzer getötet. Überprüfen lässt sich diese Zahl allerdings nicht. «Vor der Artillerie kann man sich verstecken, aber nicht vor Scharfschützen», sagte der ukrainische Schütze mit dem Decknamen «Geist» Ende Juli der BBC.

«Und dann schiesse ich»

Ihre Vorteile können Kiews Fernschützen auch im flachen und offenen Terrain im Süden der Ukraine ausspielen, wo zurzeit die heftigsten Kämpfe stattfinden. Dort müssen sie sich aber auch besonders in Acht nehmen, denn schon der kleinste Fehler in der Tarnung kann die Entdeckung durch eine russische Drohne bedeuten – und heftige Gegenwehr auslösen: «Kampfhubschrauber feuern, Artilleriegeschosse schlagen ein, und Russen, die sich gerade noch versteckt hielten, bewegen sich plötzlich», berichtet die Schützin mit dem Decknamen «Kuckuck». «Dann schiesst du einfach auf alles, was du sehen kannst.»

Ein ausgebildeter Scharfschütze mit einem guten Präzisionsgewehr kann Gegner in einer Entfernung von 1200 bis 1500 Metern zuverlässig treffen. Der bislang weiteste Treffer aus der Entfernung gelang einem ukrainischen Soldaten im November, wie Kiew mitteilte. Der Soldat habe «einen Besatzer» aus mehr als 2,7 Kilometer Entfernung getötet, so die ukrainische Armee. Es wäre der zweitweiteste Treffer, der je aufgezeichnet wurde. Nur der kanadische Scharfschütze mit dem Decknamen «Wali» soll 2017 im Irak auf eine noch weitere Distanz getroffen haben – mehr als 3,5 Kilometer. Die Angaben liessen sich jedoch nicht unabhängig prüfen.

Dabei sind nicht alle Soldaten für den Dienst als Scharfschützen geeignet. Zu gross ist die psychologische Belastung, abzudrücken und durch das Zielfernrohr einen Menschen sterben zu sehen. Auch Schützin «Kuckuck» muss eine emotionale Distanz zu ihren Opfern aufbauen: «Ich sehe nicht ihre Gesichter und die Gefühle darin», schildert sie dem «Wall Street Journal». «Ich denke auch nicht an ihre Frauen oder sonst was in ihrem Leben. Für mich sind das nur Figuren, die sich bewegen, und dann schiesse ich.»

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(t-online, mk)

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41 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Bruno Meier (1)
06.09.2023 04:19registriert Juni 2018
Wer mit einem Scharfschützengewehr geschossen hat, weiss wie schwierig das ist. Nur weil ein ZF drauf ist, bedeutet dies noch lange nicht, alles zu treffen und ohne guten "Spotter" trift der Schütze auch nicht viel.

Die 1500m sicher treffen, finde ich eine sehr optimistische Angabe. Das können nur die Kaliber .338LM oder .50BMG und beim .338 ist dies auch die max. Distanz auf welche zuverlässig geschossen werden kann, da danach die Kugel in den Unterschallbereich fällt und instabil wird. Da die meisten Scharfschützengewehre aber das Kaliber .308Win haben, ist da bei 800m (zuverlässig) Schluss
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Pierre Michel (0.69 HQ)
05.09.2023 23:36registriert Juli 2021
Man erschiesst entweder den Anführer oder den zweiten Mann in einer Kolonne. So will niemand mehr führen, und keiner will mehr folgen.
Ich hoffe der Ukrainekrieg führt auch hier wieder zu einem Umdenken bezüglich präzisem Schiessen auf grössere Distanzen.
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Macca_the_Alpacca
05.09.2023 23:09registriert Oktober 2021
War schon bei der Schlacht von Trafalgar so. Die Französische Flotte wurde vernichtend von den Engländern geschlagen.

Jedoch hatten die französischen Schützen auf den Schiffen den Befehl erhalten auf diejenigen Gegner vom den Masten aus zu schiessen die "glitzerten und blinkten", d.h. Uniformen die mit Orden behängt waren. So traf ein Französischer Schütze Admiral Nelson tödlich. Schlacht gewonnen, Admiral tot.
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