Kein einziges namhaftes Umfrageinstitut sah voraus, dass Donald Trump landesweit mehr Stimmen machen würde als Kamala Harris. Die Verblüffung war deshalb gross, als in der Wahlnacht die «Prognosenadel» der «New York Times» die Sensation anzuzeigen begann.
Auch am Donnerstag sind noch nicht alle Stimmen ausgezählt, aber gemäss aktuellem Stand führt Trump beim sogenannten «Popular Vote» landesweit mit 3,5 Prozentpunkten Vorsprung. Im Durchschnitt der letzten Umfragen vor der Wahl lag Harris mit 1,2 Prozentpunkten vorne. Der Fehlerabstand also: Stolze 4,7 Prozentpunkte. Und das beim vermeintlich engsten Rennen der US-Geschichte.
Wichtiger sind die Abweichungen in den Swing States. Deren Elektorenstimmen sind entscheidend für die Wahl. In den aktuellsten Vorwahl-Umfragen führte Trump nur in drei der sieben Swing States. Effektiv aber gewann er alle sieben, wenngleich zwei Staaten noch nicht ausgezählt sind (aber die Führung ist deutlich).
Die Umfragen sahen nicht voraus, dass Kamala Harris in sämtlichen (!) Wahlbezirken der USA schlechter abschnitt als Joe Biden vor vier Jahren. CNN zeigte einen verblüfften Moderator, als die entsprechende Karte eingeblendet wurde:
This is an all time great. Watch it on repeat. pic.twitter.com/qxsd08bdDe
— Charlie Kirk (@charliekirk11) November 6, 2024
Die «Pollsters» – so nennen sich in den USA die Umfragespezialsten, eine Gruppe mit Berufsstolz – gehen nun in sich. Josh Clinton, Politikwissenschafter an der Vanderbilt University, räumt im «Wall Street Journal» die Fehlprognosen ein. «Das liegt an den ungenauen Instrumenten, die uns zur Verfügung stehen», rechtfertigt er sich. Bei den Zwischenwahlen 2022 habe man beide Parteien, Demokraten und Republikaner, recht genau eingeschätzt. Doch bei allen drei Präsidentschaftswahlen, bei denen Trump dabei war (2016, 2020 und 2024) waren ihre Ergebnisse unbrauchbar. Obwohl die Methoden nach den ersten zwei Flops verfeinert worden seien.
Wissenschafter erklären das mit dem Phänomen Trump. Die Pollsters können offensichtlich die Trump-Wählerschaft nicht repräsentativ einfangen. Unter ihr gibt es viele Umfrageverweigerer. Sie hängen auf, wenn ein Institut im Auftrag eines «Mainstream-Mediums» anruft. Don Levy ist Leiter des Siena-Instituts, das Umfragen für die «New York Times» durchführt. Er sagt, es gebe Leute, die das Telefon kurz abnähmen, «Trump!» in den Hörer schrien und wieder aufhängten. Solche «Teilnehmer» passen in kein Umfrageraster. Überdurchschnittlich viele Verweigerer gibt es offenbar bei Schwarzen, Latinos und jungen Wählern. Und genau in diesen Gruppen hat Trump stark zugelegt.
Haben sich die Umfrageinstitute nach dem Hattrick-Flop überlebt? Nein. Jede Umfrage garantiert Aufmerksamkeit, Klicks und Einschaltquoten. Darum wird ihr Geschäft weiterhin blühen. Aber die Warnhinweise dürften deutlicher werden: Die Fehlermarge und die Tatsache, dass es nur eine Momentaufnahme und keine Prognose ist, wird offensiver kommuniziert werden. (aargauerzeitung.ch)
Zum andern sollte man sich fragen, wie weit Umfrageresultate, welche veröffentlicht werden, einen gegenteilig mobilisierenden Effekt haben. Dieser darf wohl nicht unterschätzt werden. Insofern sind Umfragen und Prognosen, die medial verbreitet werden immer heikel, da sie die Wahl beeinflussen.