Es gibt im Schweizer Politikbetrieb einen treffenden, wenn auch abgenutzten Ausdruck. «Das Fuder wurde überladen», heisst es, wann immer eine Vorlage kippt, wie der überladene Heuwagen eben. Es ist die Quittung dafür, dass die Polit-Architekten übermütig wurden und alles Mögliche reinpacken wollten.
Es ist nicht bekannt, ob Novartis-Chef Vas Narasimhan diese Wendung kennt. Klar ist: Der Pharmachef und seine Kollegen sind drauf und dran, mit ihren aggressiven Forderungen ebendiesen Kapitalfehler aus der Politik zu begehen.
Das Gleichgewicht hatte Narasimhan spätestens ins Wanken gebracht, als er kürzlich selbstbewusst in der «Financial Times» forderte, Europa müsse die Medikamentenpreise dem – dreimal höheren – amerikanischen Niveau annähern. Ohne solche «fairen Entschädigungen» für innovative Medikamente verliere Europa als Standort an Attraktivität. In seinem offenen Brief drohte Narasimhan zusammen mit Sanofi-Chef Paul Hudson gar damit, dass Firmen in die USA oder nach China abwandern könnten.
Auch Novartis könnte Investitionen aus Europa abziehen, erklärte Narasimhan am Dienstag vor den Medien.
Beim zweiten Basler Schwergewicht tönt es zwar etwas diplomatischer. Aber auch Roche-Chef Thomas Schinecker sagte, es brauche in Europa Investitionen in «zentrale zukünftige Industrien» wie die Pharma.
Natürlich gehört solch offensiver Lobbyismus zum Geschäft. Die Hersteller wollen für ihre Medikamente, an denen sie mit grossem Kapitaleinsatz jahrelang forschen, einen lukrativen Preis herausholen. Die Staaten ihrerseits versuchen, die explodierenden Gesundheitskosten in den Griff zu bekommen. Dementsprechend hart wird in Europa verhandelt.
Anders in den USA: Dort gibt es keine Preislimiten für neue Medikamente. Das ist ein Grund dafür, weshalb kein anderes Land mehr Geld pro Kopf für sein Gesundheitswesen ausgibt. Und nun soll sich Europa ausgerechnet diesem Modell annähern? Das irritiert, zumal selbst Donald Trump die horrenden US-Preise senken und Referenzmodelle einführen will.
Das aggressive Pharma-Lobbying hinterlässt noch aus einem anderen Grund einen bitteren Nachgeschmack: Die Branche instrumentalisiert gerade Trumps Zoll-Chaos, um Europa und den Pharmastandort Schweiz unter Druck zu setzen. Gleichzeitig hofieren dieselben Konzerne schamlos den US-Präsidenten. Roche und Novartis versprechen Trump Investitionspakete von insgesamt über 70 Milliarden Dollar. So wollen sie ihn milde stimmen und davon abhalten, Pharmazeutika mit Zöllen zu belegen.
Die Pläne von Big Pharma enthalten gleich zwei Pointen. Erstens: Die meisten dieser vollmundig angekündigten Gelder waren ohnehin schon länger eingeplant. Die Konzerne haben sie jetzt geschickt kommuniziert, um der Trump-Regierung eine grosse Zahl vor die Nase zu halten. Zweitens: Seit die Pharmachefs ihre Milliarden-Pläne vorgelegt haben, verbreiten sie Optimismus. Sie betonen, jetzt seien die Zoll-Risiken in Amerika für ihr Geschäft «bewältigbar». Novartis erhöhte gar noch seine Umsatzprognose. Es braucht schon einiges an Chuzpe, um im selben Atemzug höhere Preise in Europa zu fordern. Vor allem, wenn man Margen erzielt, von denen andere Branchen nur träumen können.
Dabei hat der alte Kontinent einiges zu bieten, insbesondere die Schweiz: Stabilität, akademischer Nachwuchs, attraktive Steuerbedingungen. Allen voran die Pharmastadt Basel ist sich sehr bewusst, dass man dem wichtigsten Schweizer Exportzweig Sorge tragen sollte. Das geht so weit, dass in Basel-Stadt sogar linke Politiker für Grosskonzerne kämpfen.
Jüngstes Beispiel ist die anstehende Abstimmung rund um die OECD-Mindeststeuer. Um die Folgen der Steuererhöhung für Roche und Novartis abzufedern, wollen die Kantonsregierung und das Parlament Gelder an die Firmen rückverteilen. Dies soll über zwei Fonds geschehen, die Mittel in Forschung und Entwicklung leiten, aber auch Umweltschutz oder Elternzeit fördern. An vorderster Front für die Vorlage kämpfen die Finanzdirektorin und der Wirtschaftsdirektor – beide gehören der SP an. Das Referendum der Juso dürfte keine Chance haben.
Doch angesichts des Pharma-Powerplays muss sich Basel wie auch die Landesregierung fragen: Wann schlägt eine konstruktive Standortdebatte in Erpressung um? Der Bundesrat sollte jedenfalls mindestens so selbstbewusst auftreten wie die Konzernlenker. Selbstverständlich kann man über alles verhandeln: Medikamentenpreise, beschleunigte Zulassungen, Steuern. Nur sollten beide Seiten bedenken: Bitte das Fuder nicht überladen.
Novartis-Chef Vas Narasimhan irrlichtert gerade wie ein Elefant im politischen Porzelanladen. Komplett von der Rolle.
Ich verstehe sowieso nicht, dass man einen CEO holt, der von europäischen Gepflogenheiten und europäischer Politik keine Ahnung hat.
Nichts als Drohgebärden ohne die Prüfung der Umstände -demokratische, wirtschaftliche, kulturelle und soziale - es ist ein erpresserisches und stilloses Vorgehen.