Angesichts der sprunghaft gestiegenen Zahl an Infizierten mit Covid-19 werden in Spitälern vor allem Beatmungsmaschinen und dafür geschultes Personal benötigt, um Menschenleben zu retten. Weltweit stocken die spezialisierten Hersteller ihre Produktionskapazitäten auf, doch das reicht bei Weitem nicht.
Im Kampf gegen die Corona-Pandemie suchen Regierungen daher Verbündete in der Automobilindustrie, um dringend benötigtes medizinisches Gerät herzustellen. Da deren Produktion wegen der Krise ohnehin weitgehend ruht, signalisieren sie Interesse.
Ford, General Motors and Tesla are being given the go ahead to make ventilators and other metal products, FAST! @fema Go for it auto execs, lets see how good you are? @RepMarkMeadows @GOPLeader @senatemajldr
— Donald J. Trump (@realDonaldTrump) March 22, 2020
Ende letzter Woche sagte US-Präsident Donald Trump, der das Coronavirus lang unterschätzte, die drei US-Autobauer würden bereits Beatmungsgeräte bauen. Die Firmen selbst sagen jedoch nur, dass sie prüfen, ob sie bei der Produktion medizinischer Ausrüstung wie Beatmungsgeräten behilflich sein könnten. Experten bezweifeln, dass sich deren Fabriken zur Autoproduktion auf die Schnelle entsprechend umrüsten lassen.
Kein Autohersteller ist derzeit auch nur annähernd in der Lage, komplexe medizinische Geräte wie Beatmungsgeräte herzustellen und die Firmen sind noch Monate oder länger davon entfernt. Kommt hinzu: Medizintechnik unterliegt hohen Standards und muss strenge regulatorische Vorgaben erfüllen.
Tesla etwa könnte laut Firmenchef Elon Musk frühestens in zwei Monaten Beatmungsmaschinen oder zumindest Komponenten dafür selbst herstellen. Wohl immer vorausgesetzt, dass man die Baupläne und entsprechendes Know-how von den spezialisierten Herstellern erhalten würde.
Tech-Milliardär Musk, der die Bedrohung durch das Virus ebenfalls lang relativierte, hat zur Überbrückung 1255 Beatmungsgeräte in China gekauft und nach Los Angeles gebracht, wie er auf Twitter schreibt: «Wenn Sie ein kostenloses Beatmungsgerät installiert bekommen möchten, lassen Sie es mich wissen», schreibt Musk. Doch die 1255 Beatmungsgeräte sind ein Tropfen auf den heissen Stein. Allein New York bräuchte rasch bis 18'000 solcher Geräte.
Einen Hoffnungsschimmer gibt es: Der US-Autobauer Ford sowie die Konzerne General Electric (GE) und 3M bündeln nun ihre Kräfte, um die Produktion der Beatmungsgeräte zu beschleunigen, wie sie am Dienstag mitteilten.
So einfach und schnell wie es Trump seinem Volk auf Twitter verkauft, dürfte es dennoch nicht gehen. Die USA haben beim Gesundheitssystem und insbesondere bei der Pandemie-Vorsorge gespart. Das rächt sich nun. US-Spitäler sind auf Geräte aus China angewiesen, bis die eigene Produktion hochgefahren werden kann.
Auch in Deutschland wird die Autoindustrie in den Kampf gegen die Verbreitung des Coronavirus eingespannt. Die Autobauer prüfen derzeit, wie das unter Corona ächzende Gesundheitssystem unterstützt werden kann. VW will 3D-Drucker bereitstellen, um Bauteile herzustellen. «Wir sind im Austausch mit Regierungen, Verbänden, Vereinen und Behörden, um den konkreten Bedarf zu ermitteln.» Prototypen seien bereits gedruckt worden. «Medizinisches Equipment ist natürlich neu für uns – aber sobald wir die Anforderungen kennen und die entsprechende Blaupause erhalten, können wir starten.»
«Wir sammeln Ideen, was man machen kann, bis hin zu humanitärer Hilfe», sagte Porsche-Chef Oliver Blume. «Wir sehen uns in einer gesellschaftlichen Pflicht.» BMW zeigte Bereitschaft zu technischer Hilfe: «Wenn wir entsprechende Anfragen bekommen würden, wären wir selbstverständlich bereit, hier zu unterstützen.» Denkbar wäre auch dort die Produktion von Komponententeilen für medizinische Geräte mit 3-D-Druckern.
Die Idee, Autobauer für die Lieferung medizintechnischer Geräte einzusetzen, entstand in China. Dort produziert der Elektroautobauer BYD seit Kurzem täglich fünf Millionen Gesichtsmasken und 300'000 Flaschen mit Desinfektionsmitteln. In China kann die Regierung ganze Branchen dazu verpflichten, ihre Produktion in Krisenzeiten rasch umzustellen.
Ähnlich könnte es nun in den USA ablaufen, wo Trump unter grossem Druck steht, Spitäler mit Beatmungsgeräten versorgen zu können. Das Weisse Haus hat angekündigt, es werde sich hierzu auf ein Gesetz aus der Zeit des Korea-Krieges aus 1950er Jahren berufen. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Detroiter Autofabriken umgerüstet würden, um einer nationalen Krise zu begegnen. Während des Zweiten Weltkriegs hatten Ford, GM und Chrysler den Bau von Autos eingestellt und ihre Fabriken für den Bau von Flugzeugen, Panzern und anderen Waffen umgestellt.
Experten bremsen allerdings Hoffnungen, dass die Autohersteller ihre Produktion ohne weiteres umstellen könnten. «So einfach, wie das manche Leute glauben machen wollen, ist das nicht. Es müssen ja medizinische Standards eingehalten werden», sagte eine mit den Vorgängen vertraute Person aus der Autobranche. In den bisherigen Gesprächen zwischen Vertretern der deutschen Autoindustrie und der Medizintechnikbranche habe sich herausgestellt, dass es schwierig sei, «sinnvolle Anknüpfungspunkte zu finden.»
«Es handelt sich bei den meisten Materialien um speziell entwickeltes Design und keine Standardbauteile», gibt das deutsche Medizintechnikunternehmen Drägerwerk zu bedenken, das zu den führenden Herstellern von Beatmungsmaschinen zählt. Die Technologie heutiger Beatmungsgeräte (Elektronik und Software, die die Pneumatik steuern) unterscheide sich zudem vom Betrieb eines Automobilherstellers, teilte ein Sprecher mit.
Im Endeffekt könnte es drauf hinauslaufen, dass Autofirmen vereinfachte Versionen von Beatmungsgeräten herstellen. McLaren, ein britischer Hersteller von Supersportwagen, prüft dies bereits und Nissan arbeitet mit anderen Unternehmen zusammen, um die spezialisierten Hersteller zu unterstützen. Ob Autofirmen bald selbst komplexe Beatmungsmaschinen bauen, wird sich zeigen. Offenbar können sie aber sehr rasch wichtige Komponenten und Zubehör im 3-D-Druck liefern, die momentan ebenfalls Mangelware sind.
Nebst mehr Beatmungsgeräten braucht es auch für die Geräte geschultes Pflegepersonal. Insbesondere daran wird es auf dem Höhepunkt der Corona-Welle voraussichtlich in vielen Ländern mangeln.
(oli/sda/awp/dpa/reu)