Im Château Latour-Laguens verkehren nicht mehr die Winzer, sondern nur noch die Fledermäuse. Das mit Turm und Zinnen versehene Schlösschen im zentral gelegenen Bordeaux-Weingebiet Entre-Deux-Mers steht leer; die Fassade vergammelt, der Bau verlottert.
Von 30 Hektaren Reben umsäumt, steht Château Latour-Laguens für 150'000 Euro zum Verkauf. Ein Schnäppchen für ein echtes Weinschloss. Die Besitzerin Daisy Haiyan Cheng hatte das ganze Weingut 2008 für teures Geld – man munkelt bis zu einer Million Euro – erstanden. Die chinesische Unternehmerin sprühte vor Ideen, ihr Geschäftsansatz klang überzeugend: Sie wollte den mittelklassigen Bordeaux-Roten von Château-Laguens weiterhin für rund 5 Euro die Flasche produzieren. Dann wollte sie ihn aber direkt nach China verschiffen und dort mit der Aura eines französischen «Château» versehen für 20 bis 50 Euro abstossen. Für das Zehnfache also.
Die Nachfrage war kein Problem: In jenen Jahren gehörte es in Peking, Schanghai oder Hongkong zum guten Geschmack, im Restaurant einen illustren Bordeaux-Jahrgang zu kredenzen. Binnen weniger Jahre verdreifachte sich der Absatz französischer Weine im Reich der Mitte.
Daisy Haiyan Cheng war nur die erste ihres Faches, sie wurde bald von Nachahmern gefolgt. Dutzende von chinesischen Investoren stürzten sich geradezu frenetisch auf jede Parzelle, die zum Verkauf gelangte. 300 Weingüter sollen auf diese Weise in einem Jahrzehnt die Hand gewechselt haben, erzählte die chinesische Immobilienagentin Li Lijuan gegenüber CH Media im Jahr 2019. Ein Blick in die Schaufenster der Immobilienagenturen genügte, um zu sehen, wie die Preise in die Höhe schossen.
Der Hongkonger Investor Chi Keung Tong erwarb in der Euphorie gleich mehrere erworbene Güter – und taufte sie flugs in «Château Goldhase», «Kaiserliches Château» oder «Tibetanische Antilope» um. Die Franzosen sorgten sich um den Ausverkauf ihrer Weintradition; es gab Petitionen und Appelle mit teilweise antichinesischen Untertönen.
Jetzt schlägt das Pendel zurück. Investor Tong hat seine Weinberge an heimische Investoren zurückverkauft. Es wird gemunkelt, er habe viel Geld verloren. Die rote chinesische Flagge wurde jedenfalls wieder eingeholt, die Châteaux tragen wieder ihre angestammten französischen Namen.
Eine unbekannte Zahl anderer Weinschlösser teilt ihr Schicksal. Weitere 50 chinesische Bordeaux-Güter, die meisten keine Grands Crus, warten auf Käufer, wie die Händlerin Li Lijuan schätzt. Die Preise sind im Keller. Wegen der generellen Überproduktion von Bordeaux-Wein waren sie in den letzten Jahren ohnehin gesunken. An Kaufgelegenheiten mangle es nicht, meint Frau Li, die für die Immobilienfirma Vineyards tätig ist.
Für den chinesischen Exodus gibt es mehrere Gründe. Einzelne Investoren warfen das Handtuch, weil sie erst im Alltag merkten, wie komplex das Metier eines Winzers und Château-Besitzers ist. Die französische Agrarbehörde Safer kam in einem Bericht zum Schluss, dass den chinesischen Neowinzern ganz allgemein die «Kenntnisse für den Weinbau» fehlten. Im Anlagemagazin «Fonds-Online» erzählte ein Beteiligter, ein chinesischer Rebeigentümer habe aus kommerziellen Gründen verlangt, die Traubenernte schon im Juni einzubringen.
Das Weingut-Investieren ist für Chinesen schwierig geworden. 2016 verschärfte das chinesische Regime die Kapitalkontrollen und Anti-Korruptions-Verfahren, um die Kapitalflucht aus China zu unterbinden. Das traf viele chinesische Weininvestoren im Bordelais. Auch die Pariser Justiz ermittelt dort wegen Geldwäsche.
Das Künstlerpech ging weiter: Die Covid-Krise trug ihrerseits dazu bei, dass der Bordeaux-Hype in China zum Erliegen kam. Laut der Internationalen Weinorganisation (IWO) ist der Konsum französischer Weine in China seit zehn Jahren rückläufig; allein 2023 brach er gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent ein.
Dessen ungeachtet halten sich im Bordelais einzelne chinesische Investoren und Winzer aus Leidenschaft, die nicht in einer Fünfjahres-Rentabilität denken, sondern – wie die französischen Winzerfamilien – in Generationen. Darunter ist etwa die Winzerin Zhang Rong, die in ihrem Château des Chapelains einen preisgekrönten Roten herstellt.
Oder Jack Ma, der Begründer des Internetvertreibers Alibaba. Der Milliardär lässt sich in seinem Weingut Château de Sours Zeit, einen Cru der Spitzenklasse aufzubauen. Auch Peter Kwok, ein Geschäftsmann aus Hongkong, besitzt um Bordeaux mehrere Châteaux, darunter einen Saint-Emilion Grand Cru. Und wenn sich die Gelegenheit ergibt, kauft er weiterhin Reben. (les)