Trump ist heute Nacht im Dolby Theatre mit dabei. Sogar physisch. Mit Sebastian Stan, der in «The Apprentice» den jungen Donald und seine Erziehung zum Bösewicht spielt. Sein Erzieher: Der ehemalige McCarthy-Gefährte und Anwalt Roy Cohn (Jeremy Strong). Stan und Strong sind beide für einen Schauspiel-Oscar nominiert. Dass sie das sind, wurde im Voraus als heimlicher Widerstand der Oscars gegen Trump gewertet.
Mit Conan O'Brien folgt ein dezidiert unpolitischer Moderator auf den mit Genuss trump-feindlichen Jimmy Kimmel. Das sei Absicht, erklärte Academy-CEO Bill Kramer gegenüber CNN: «Er ist erstens ein liebenswerter Mensch. Er ist ein Humanist. Er ist unpolitisch.» Und: Viele der Anwesenden werden sich Chancen ausrechnen, unter Jeff Bezos den nächsten Bond-Film zu drehen.
Niemand war im Vorfeld der Oscars dazu bereit, mit Sebastian Stan, der von Trump als «menschlicher Abschaum» betwittert worden war, eine Folge der beliebten Talk-Reihe «Actors on Actors» zu drehen. Die Angst ist da und sie ist gross. Das Resultat heisst Selbstzensur.
Doch nicht ganz alle haben vor den Oscars geschwiegen: Zwei alte Damen hatten genug. Jane Fonda (87) rief vor einer Woche bei den SAG-Awards zum Widerstand auf. Und Catherine Deneuve (81) widmete am vergangenen Freitag – zeitgleich mit Trumps Massregelung von Selenskyj in Washington – die französische César-Verleihung der Ukraine. They. Have. Guts.
Hier einfach irgendein Kindheitsinterview von Kieran Culkin.
This little guy is going to be an Oscar winner tomorrow 🎀 pic.twitter.com/ErrIA2jP34
— Dani|| ᖭི༏ᖫྀ (@Dan0nat0r) March 1, 2025
Heute ist er wie immer zum Schmützeln mit seiner Frau ansetzend hier.
Indiana Jones himself hätte heute einen Oscar verleihen sollen. Doch am Freitag wurde bei ihm eine Gürtelrose-Erkrankung festgestellt, weshalb er seinen Auftritt kurzfristig absagen musste.
Viele haben sich heute für einen strahlenden, kristallinen Look entschieden. Dabei ist doch gar kein «Frozen»-Jahr! Aber gemeint sind natürlich keine Eiskristalle, gemeint sind diamantartig funkelnde Wasserfälle, die sich über die luxusgewöhnten Legenden-Leiber ergiessen.
Auch Timothée Chalamet kommt hell gewandet und schon wieder mit seiner Mutter wie am letzten Wochenende bei den SAG-Awards. Was bedeutet das? Beziehungskrise mit Kylie Jenner? Nein, Quatsch, sie ist da, nur nicht an Timmys Seite auf dem Teppich. Seine Farbe: Limetten-Sorbet. Von Givenchy. Er habe sich für einen «subtilen», nicht für einen «lauten Look» entschieden.
kylie jenner for the oscars. pic.twitter.com/qauIAxWJ9S
— 2000s (@PopCulture2000s) March 2, 2025
Nur in der Politik sind die Grünen allüberall am Verlieren. Im Kino dagegen ist Cynthia Erivo als grün geborene Hexe in «Wicked» ein Publikumsmagnet. Heute hat sie sich für dunkelgrünen Samt entschieden.
Tim Fehlbaum ist da, der erzsympathische Basler Regisseur von «September 5», der für sein Drehbuch nominiert ist – er ist ergriffen ob der Dichte seiner Idole, die er heute trifft. Edward Berger, der Regisseur von «Conclave» erzählt, wie Stanley Tucci, Gourmet aus Leidenschaft, in Rom dafür gesorgt hat, dass ein Restaurant, welches noch gar nicht geöffnet war, für die Filmcrew heimlich seine Tische deckte.
Jeremy Strong sagt über seine Rolle als Roy Cohn in «The Apprentice»:
Lieber will er seine drei Töchter grüssen, die vor dem TV sitzen.
Ariana Grande sieht aus wie eine wolkige Cremeschnitte oder ein welliges Meringue (von Schiaparelli) und zerfliesst wie immer in süsslicher Universaldankbarkeit und Liebe. Wie kann man nur im Ernst immer so lieblich gelaunt sein?
Und wo ist Zendaya???
Der Abend wird eine Liebeserklärung an das von Bränden versehrte Los Angeles. Weshalb zuerst ein paar L.A.-Szenen aus Filmen wie «La La Land» eingespielt werden. Und dann singt Ariana Grande auch schon «Somewhere Over the Rainbow», die Traumvision aus «The Wizard of Oz» von 1939. Einem Film, der die Magie und die magischen Möglichkeiten des Kinos zu feiern wusste wie vor ihm kein anderer. Und der Film, der die Vorlage zu «Wicked» bildete. Cynthia Erivo übernimmt mit «Home», ebenfalls aus dem «Wizard». Triumphal. Standing Ovations.
Und dann: Die Geburt eines Moderators! Conan O'Brien schlüpft in einer nachinszenierten «The Substance»-Slapstickszene aus Demi Moores Rücken. «Ich weiss, ihr fragt euch: Hat Conan nichts machen lassen? Er sieht so alt aus, wie er ist!», frotzelt er. Und: «‹A Complete Unknown›, ‹A Real Pain›, ‹Nosferatu› – das sind Schimpwörter, die man mir schon auf dem Teppich nachgerufen hat.» Und:
Und: «Anora» habe das F-Wort vier Mal öfter gebraucht als der Pressesprecher von Karla Sofía Gascón.
Er schlägt vor, lange Reden durch einen Schnitt auf John Lithgow im Publikum zu machen, der leicht enttäuscht aussieht (es funktioniert). Und dann zeigt er alte Fotos der Stars, etwa ein Ultraschallbild von Chalamet.
Schliesslich wird er ernst: Die Oscars würden nicht nur die Schönen und Berühmten feiern, sie würden auch «shine a light» auf alle im Hintergrund, die dafür sorgen würden, dass die Filmindustrie überhaupt leben könne, «auch angesichts der Brände und der aktuellen politischen Lage».
Apropos: Die Szene, als Trump am letzten Freitag im Weissen Haus Selenskyj beschimpfte, er sei respektlos angezogen, wird von O'Brien und Adam Sandler (im Hoodie und in kurzen Hosen) nachgestellt. Ohne Namen zu nennen, aber immerhin.
Und wo ist jetzt eigentlich Zendaya? Am Krankenbett von Harrison Ford? Im eigenen Krankenbett?
Wie erwartet geht der erste Oscar für den besten Nebendarsteller an Kieran Culkin! Er hat wie immer vergessen, was er sagen wollte, beziehungsweise nichts vorbereitet, aber er nutzt mal wieder die Gelegenheit, seine Frau um ein weiteres Kind zu bitten. Das darf er nämlich immer, wenn er richtig grosse Preise gewinnt. Jetzt will er ein viertes: «Lass uns weitermachen mit den Kindern!»
Der Regisseur von «Flow», dem lettischen und besten Animationsfilm, bedankt sich bei «meinen Hunden und Katzen».
Hossein Molayemi und Shirin Sohani gewinnen mit ihrem animierten Kurzfilm «In the Shadow of the Cypress» den Oscar. Bis gestern hatten sie noch nicht einmal ihr Visum für die USA, drei Stunden vor der Show landeten sie in L.A. Sie widmen ihren Award allen, «die noch in inneren und äusseren Schlachten kämpfen».
Sean Baker nimmt den Oscar fürs beste Original-Drehbuch entgegen. Okay, kann ich nicht erklären. Besser kann das unser User Perkon20, danke dafür:
Sehr lustig ist June Squibb, die bei der Verleihung des Oscars für Make-up und Hairstyling behauptet, eigentlich zuhause zu sitzen, auf der Bühne würde nämlich Bill Skarsgård («Nosferatu», «It») verkleidet, geschminkt und gestaltet als June Squidd stehen. Der Oscar geht an «The Substance», wie schön!
Barbara Broccoli und ihr Halbbruder Michael Wilson werden als legendäres Bond-Produzenten-Duo gefeiert. Mit einer Tanzeinlage von Margaret Qualley und einem Bond-Medley von Lisa (Blackpink, «The White Lotus»), Doja Cat und Raye. Irritierender Zeitpunkt, meint die «New York Times». Jetzt, da die beiden das Schicksal von Bond ausgerechnet an Jeff Bezos übergeben haben.
Aber wo ist Zendaya? Oder wo sind Zendaya und Tom Holland? Geht's ihnen gut?
«Slava Ukraini!» (Ruhm der Ukraine), sagt Daryl Hannah und macht ein V-Zeichen. Dann geht sie zur Verleihordnung über. Der Schnitt-Oscar geht an «Anora».
Zoë Saldaña wird beste Nebendarstellerin. Sie war ja aber auch die einzige Favoritin. Und weint wie jedes Mal, wenn sie einen Preis gewinnt. Sie bedankt sich bei ihrem Mann «mit den schönen Haaren», bei ihrer ganzen Familie. «Meine Grossmutter kam 1961 in dieses Land, ich bin das stolze Kind von Immigranten.»
«Production Design», sagt Adam Sandler, sei einzig dazu da, mit künstlerischen Visionen Schauspieler zu erniedrigen. Am besten macht das heuer offenbar «Wicked».
Nachdem Sandler auf die Bühne klettern und kriechen musste, kommt Mick Jagger (81) auf die Bühne gehüpft, um den besten originalen Song zu küren. Standing Ovations. Eigentlich hätten die Veranstalter Bob Dylan (83) gewollt, aber der hätte gesagt: «‹Nehmt einen Jüngeren!› Ich bin jünger!». «El Mal» aus «Emilia Pérez» gewinnt, die französische Musikerin Camille sagt, dass sie hoffe, Kunst könne weiterhin die Welt verbessern.
«Wir sind in der Hälfte. Das heisst, Kendrick Lamar tritt auf und nennt Drake einen Pädophilen», sagt Conan O'Brien und bezieht sich auf die Super-Bowl-Halftime-Show.
Der palästinensisch-israelische Dokumentarfilm «No Other Land» über die kontinuierliche Zerstörung von palästinensischem Wohnraum durch israelisches Militär gewinnt. Bei uns läuft er im Kino, in den USA hat er noch keinen Verleiher.
Feuerwehrleute, die gegen die Brände von Los Angeles gekämpft haben, werden mit einer langen Standing Ovation von der Glitzercrowd bedacht.
Um 3.30 Uhr haben «Anora», «Wicked» und «Dune: Part Two» je zwei Oscars. Noch ist alles offen.
Um 3.53 Uhr gibts den ersten Oscar für «The Brutalist», endlich. Lol Crawley gewinnt den Award für die beste Kamera.
O'Brien macht endlich den naheliegensten aller «Anora»-Jokes:
Oh my goodness: Conan O’Brien just now. “Anora is having a good night. That's great news. Two wins already. I guess Americans are excited to see somebody finally stand up to a powerful Russian.”
— Victor Shi (@Victorshi2020) March 3, 2025
pic.twitter.com/lVlQcTYFU9
Walter Salles nimmt den Oscar für den besten internationalen Film entgegen, sein Drama über das Leben einer Familie unter der brasilianischen Militärdiktatur könnte auch noch einen weiteren Oscar gewinnen.
Mit dem Filmmusik-Oscar für die gigantisch-gespenstische Soundkulisse von «The Brutalist» schliesst auch dieser Film in die Riege der zweifach Ausgezeichneten auf. Die Hände des Komponisten Daniel Blumberg zittern heftig.
Adrien Brody hat vor 22 Jahren seinen ersten Oscar gewonnen, auch das Holocaust-Drama «The Pianist» war damals eine unfassbare Leistung, das Post-Holocaust-Epos «The Brutalist» ist es erneut. Er bedankt sich bei allen, die ihm Liebe und Wertschätzung entgegengebracht haben und bei seiner Frau Georgina Chapman, die ihm den Glauben an sich selbst und den Glauben an seine Werte wiedergegeben habe.
Er hofft, auch noch zwanzig Jahre lang so grosse Rollen spielen zu dürfen. «Ich bin hier, um das anhaltende Trauma von Krieg und Unterdrückung und Antisemitismus zu repräsentieren. Und wenn wir etwas aus der Vergangenheit lernen können, dann dies, Hass darf nicht weiterziehen.» Brody war zweimal in seinem Leben für einen Oscar nominiert gewesen, er hat ihn zweimal gewonnen.
Und schon wieder «Anora». Die Auszeichnung für die beste Regie geht an Sean Baker. Okay. Es ist damit der dritte Oscar, den Baker entgegennimmt. Er wünscht sich, dass das Kino überlebt.
Was für eine Kränkung! Nicht Demi Moore wird beste Hauptdarstellerin, sondern Mikey Madison aus «Anora». An dieser Stelle fehlen mir die Worte. What? Und dann wird «Anora» auch noch zum besten Film gewählt! Okay, ich werde gleich sehr, sehr ausfällig, deshalb sage ich an dieser Stelle gute Nacht. Oder guten Morgen. Geht «The Brutalist» schauen. Ein irrsinnig bewegender, grosser, wichtiger Film.
Wo. War. Zendaya?
Ich sehe für die USA gerade keinen Grund, sich der Welt mit oberflächlichem Glitzer und falsch aufgesetztem Lächeln zu präsentieren.
Shame on you.