Die Staatsanwaltschaft Mainz hat entschieden, dass gegen Richard David Precht und Markus Lanz nicht wegen Volksverhetzung ermittelt wird. Precht hatte mit Äusserungen über orthodoxe Juden wenig Tage nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober Empörung ausgelöst. Bei verschiedenen Staatsanwaltschaften gingen Anzeigen ein. Die zuständige Behörde in Mainz ist nun zu dem Schluss gekommen, dass Precht nicht wusste, wovon er sprach, und keine feindselige Absicht hatte. Er habe «unbedacht und in Unkenntnis über den jüdischen Glauben» gesprochen.
Seit 2021 gibt es das Format «Lanz & Precht», in dem die beiden Moderatoren für das ZDF über die gesellschaftlich und politisch relevanten Themen der Woche und der Zeit sprechen. Am 13. Oktober war das Thema der Terrorangriff der Hamas auf Israel mit fast 1'200 Toten und 250 Entführten, von denen bis heute noch rund 130 verschleppt sind. Precht machte dabei einen Fehler, der eine grosse Debatte auslöste.
Er unterbrach Lanz' Schilderung, dass viele orthodoxe Juden aus religiösen Gründen keinem Beruf nachgehen würden, mit den Worten: «Dürfen gar nicht arbeiten.» Er ergänzte dann, was erlaubt sei: «Es gibt so ein paar Sachen wie Diamantenhandel und ein paar Finanzgeschäfte.» Lanz bejahte das auch noch hörbar mit Worten wie «richtig» und «genau». Dabei ist das falsch und geht darauf zurück, dass Juden einst von Landbesitz, Ackerbau, christlichen Kaufmannsgilden und Handwerkszünften ausgeschlossen wurden. Ihnen blieb deshalb vor allem Geldhandel gegen Zins als Einnahmequelle, weil dies Christen aufgrund der kirchlichen Dogmatik verboten war. Es bedient aber das Bild des geldgierigen Juden.
Israels Botschaft in Deutschland meldete sich kurz nach Erscheinen am darauffolgenden Samstag, dem Schabbat, mit dem Rat an Precht: «Schuster, bleib bei deinen Leisten.» Wenn man keine Ahnung vom Judentum habe, «sollte man besser nichts darüber sagen, als uralte antisemitische Verschwörungstheorien aufzuwärmen». Die stellvertretende CDU-Vorsitzende und Sprecherin des Jüdischen Forums der CDU, Karin Prien, beklagte auf der Onlineplattform X «antisemitische Stereotype by Superphilosoph Richard David Precht. Deutschland 2023. Fassungslos.»
Der Vorstand der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland (ORD) sprach davon, nach dem «Schlag ins Gesicht der jüdischen Gemeinde in Deutschland» müsse man sich «über Antisemitismus und Vorbehalte, gar Hass gegenüber hier lebenden Jüdinnen und Juden und dem Staat Israel nicht wundern».
Der jüdische Aktivist Gilbert Kallenborn erstattete schliesslich am Sitz des ZDF in Mainz Anzeige gegen die beiden Moderatoren und Verantwortliche wegen Volksverhetzung. Mindestens drei weitere Anzeigen wurden der dortigen Staatsanwaltschaft von anderen Staatsanwaltschaften vorgelegt.
Doch hat Precht mit der Aussage die Voraussetzungen für eine mögliche Straftat erfüllt? Er müsste dafür den öffentlichen Frieden gestört haben, indem er mit der Aussage entweder zum Hass gegen eine religiöse Gruppe aufgestachelt oder die Menschenwürde verletzt hat, weil er die Gruppe beschimpft, böswillig verächtlich gemacht oder verleumdet hat. Das sind die Merkmale für den Straftatbestand der Volksverhetzung. Die Staatsanwaltschaft prüfte, ob sie deshalb ein Ermittlungsverfahren einleitet. Jetzt ist die Entscheidung da, wie die Leitende Oberstaatsanwältin Andrea Keller t-online mitteilte.
«Die Äusserungen von Precht mögen als unwahr, unsachlich und letztlich Ausfluss der historischen Diffamierung des Judentums angesehen werden können. Im konkreten Wortlaut und Zusammenhang ist jedoch ein Anfangsverdacht für ein strafbares Handeln des Angezeigten Precht nicht gegeben», sagte Keller. Erst recht sei daher kein Anfangsverdacht gegen Markus Lanz oder die übrigen Verantwortlichen zu erkennen.
Die Staatsanwaltschaft geht sinngemäss davon aus, dass Precht Unsinn erzählte, aber nicht eine von Hass erfüllte, feindselige Haltung gegenüber orthodoxen Juden hervorrufen wollte. Precht habe «seinen Äusserungen selber keine über die (Falsch-)Information hinausgehende Bewertung» beigefügt.
Für die Bewertung spielten auch die nachträglichen, öffentlichen Äusserungen und die Entschuldigung von Precht eine Rolle: Es sei nicht davon auszugehen, dass er die Wahrheit vorsätzlich falsch und verzerrt dargestellt habe, um entsprechende Reaktionen auszulösen – sondern eben «unbedacht und in Unkenntnis über den jüdischen Glauben handelte». Aus Prechts Aussagen lasse sich auch keine vorsätzliche Herabwürdigung und Kränkung der Personen im Kernbereich ihrer Persönlichkeit ableiten, die auf einer feindseligen Gesinnung beruhe.
Das ZDF löschte die Passage, die «missverständlich interpretiert» werden könne, aus dem Internet-Audiobeitrag. Precht wartete unter dem öffentlichen Druck nicht bis zur nächsten Podcast-Folge für eine Entschuldigung, sondern gab eine Erklärung ab: Der Satz sei «einfach salopp so dahergeredet» und «Quatsch» gewesen. Er entschuldige sich bei all den «Menschen, deren religiöse Gefühle ich verletzt habe oder die sich verzerrt dargestellt gesehen haben oder die das an antisemitische Klischees erinnert hat». Nichts liege ihm ferner, «als irgendetwas in diese Richtung von mir zu geben». In der nächsten Podcast-Folge gingen er und Lanz noch einmal darauf ein.
Precht erklärte damals auch angesichts von Protesten von Studenten seinen sofortigen Rückzug von seiner Honorarprofessur an der Leuphana Universität Lüneburg. Das Format «Lanz & Precht» gibt es beim ZDF weiterhin. Unter anderem Nathaniel Liminiski, nordrhein-westfälischer Medienminister und Mitglied im ZDF-Fernsehrat, hatte die Absetzung des Podcasts nahegelegt. Die redaktionell Verantwortlichen müssten sich zwingend die Frage stellen, ob Formate dem eigenen Anspruch genügten, «wenn Pseudo-Journalismus und persönliche Meinung – hier sogar gepaart mit falschen Tatsachenbehauptungen – vermischt» würden. t-online-Medienredakteur Steven Sowa kommentierte über Precht: «Er wird zum Risiko».
Beim ZDF-Fernsehrat wurde wegen der Fülle von Eingaben ein Verfahren der Mehrfach- und Massenbeschwerde eingeleitet, es ist aber abgeschlossen: Der Urheber der Leitbeschwerde sieht den Fall nach einer deutlichen Stellungnahme des Intendanten Norbert Himmler als erledigt an.
Himmler räumte in seiner Antwort den Fehler ein und kündigte «grundsätzliche Aufarbeitung des Fehlers im Podcast mit grossem Nachdruck und Gewissenhaftigkeit» an. Das ZDF habe den Vorfall zum Anlass genommen, redaktionelle Prozesse und Verantwortlichkeiten bei der Abnahme des Podcasts zu hinterfragen. Publikationen sollten mit der gebotenen Gründlichkeit und Qualität geprüft werden, wie es Auftrag und Anspruch für öffentlich-rechtliche Sender sei.
Verwendete Quellen:
Er stand hin, anerkannte den Fehler und hat sich entschuldigt.
Fehler passieren, es kommt darauf an wie man damit umgeht.
Damit war die Sache für mich erledigt.