Die britische Monarchie ist von der Schwindsucht befallen. Die Abgänge mehren sich. Harry und Meghan wanderten nach Amerika aus und begaben sich dort in die Obhut von Oprah Winfrey. Prinz Andrew musste sich auf Geheiss seiner Mutter aus allen öffentlichen Verpflichtungen zurückziehen, nachdem sich zum Katalog seiner diversen Verfehlungen auch noch der mutmassliche Missbrauch einer Minderjährigen im Umfeld von Jeffrey Epstein gesellt hatte. Prinz Philip starb. Charles und Camilla und die Queen werden alle nicht jünger. Und William gehen die Haare aus.
Nur eine scheint plötzlich zu neuem Leben erwacht. Ihr Titel lautet Her Royal Highness Catherine, Duchess of Cambridge, Trägerin des Grand Cross of the Royal Victorian Order. Sie ist Kunsthistorikerin und keine geborene Adelige, sondern – wie ihre Schwägerin Meghan – «a commoner». Eine Bürgerliche also. Auch übersetzbar mit: eine Gewöhnliche. Wobei sie als Tochter von Self-Made-Millionären natürlich nicht wirklich zu den «Gewöhnlichen» gehört, nicht einmal mehr zur Mittelklasse.
Kate und William sind mit Ausnahme einer kurzen Trennungskrise 2007 seit 18 Jahren zusammen und seit 10 Jahren verheiratet. Wenn Charles nicht freiwillig auf den Thron verzichtet, so wird Kate die übernächste Königin von England. Sie wird damit nicht die erste bürgerlich geborene Queen sein, auch in früheren Jahrhunderten hatten schon Könige ihre nichtadeligen Mätressen zu Königinnen gemacht, allerdings selten.
Kates Problem war lange Zeit, dass sie niemandem Probleme machen wollte. Dass sie hyperbeflissen war und dabei sehr angestrengt wirkte. Die bissigste Kritikerin der Monarchie, die böse britische Bestsellerautorin Hillary Mantel, nannte sie 2013 eine «Schaufensterpuppe mit dem einzigen Zweck, Kinder zu gebären» und mit «einem Lächeln aus Plastik». Sie galt als unberührbar, konservativ und langweilig.
Was alles nicht von der Hand zu weisen war: Kate lächelte ihr Plastiklächeln, bewegte sich wie eine der künstlichen Stepford Wives durch ihre royalen Pflichten und gebar drei Kinder. 2013 kam George Alexander Louis zur Welt, 2015 Charlotte Elizabeth Diana, 2018 Louis Arthur Charles. Es waren drei besonders komplizierte, schmerzhafte Schwangerschaften, so schwer, dass Kate die Geburtswehen als Erlösung beschrieb. Weil damit die monatelange Tortur endlich ein Ende hatte.
Knapp vier Wochen nach der Geburt von Louis war Kate schon wieder auf der Hochzeit von Meghan und Harry zu sehen. Die ein Jahr ältere Meghan Markle hatte sie damals in der öffentlichen Wahrnehmung weit überholt. War neu, strahlender, unkonventioneller, umstrittener, unangepasster, modischer – und sehr bald auch tragischer. Kate wirkte neben ihr wie eine etwas verbrauchte Matrone.
Im Nachhinein scheint es, als hätte sich Kate im Windschatten des um Meghan entfachten medialen Wirbelsturms erholt. Und dann kam Corona, und der Lockdown war sowas wie Kates «Unlocking», sagen die Briten, der Moment, in dem etwas in ihr befreit wurde.
Wie alle waren auch sie und ihre Familie zum Rückzug gezwungen, im Vergleich zu restlos allen anderen natürlich zu einem höchst privilegierten Rückzug. Sie lebten dort ein Privatleben, drehten herzige Homevideos mit den Kindern für Instagram und nahmen selten einmal an gezoomten Charity-Veranstaltungen teil. Sie dürfte tatsächlich seit Generationen das für eine Thronfolgerfamilie gewöhnlichste Jahr erlebt haben. Harry und Meghan überwarfen sich unterdessen mit der «Firma» und wanderten aus.
Am 7. März 2021 wurde das Interview von Oprah mit Meghan und Harry ausgestrahlt und Meghan bezeichnete Kate – in etwas anderen Worten – als kalte Zicke. Das Interview wurde zu einer Sternstunde in Sachen Selbstmitleid.
Am 13. März besuchte Kate eine trotz Covid-Verbots stattfindende Mahnwache für die ermordete Sarah Everard. Ohne erkennbare Bodyguards. Für die Briten eine Sternstunde in Sachen Mitgefühl. Und dann hatte Kate für den Moment ihres Besuchs auch noch gewagt, das Gesetz zu brechen. Das hätte ihr niemand zugetraut. Symbolpolitisch ein kleiner Geniestreich. «The commoner» verbündete sich mit Menschen aus dem Volk. Diana hätte genau das auch getan.
Spätestens seit da scheint sie ihren Job zu geniessen. Die Konkurrenz hat sich diskreditiert, sie selbst hat sich qualifiziert. Sie ist jetzt von allem viel mehr als früher: Die Glitzrigste (an der Bond-Premiere), die Gütigste (immer im Kontakt mit Kindern), die Sportlichste (etwa beim Tennismatch mit Emma Raducanu), die Bewussteste (sie trägt jetzt vermehrt alte Kleider), die Bewegteste (William und sie nehmen Klimaschutz sehr ernst und sind auch mit dem Zug zum Klimagipfel nach Glasgow gereist), die Familienfreundlichste (niemand versteht sich so gut mit Camilla und der Queen wie sie).
Ihr Lächeln wirkt natürlicher, ihre Absätze sind höher als früher, sie gilt jetzt als Stilikone, und Bond-Bösewicht Rami Malek bescheinigt ihr im Direktkontakt das angenehmste aller königlichen Verhalten.
Meghan-Fans behaupten, sie und William hätten sich von Meghan und Harry abgeschaut, wie man auf Fotos am besten die öffentlich gezeigte Zuneigung füreinander am einnehmendsten, frischesten, authentischsten inszeniert. Das mag sehr wohl so sein. Es gibt gar minimal unheimliche Fotos, darauf sieht sie aus, als wäre sie ein Hybrid aus Kate und Meghan.
Kate kann brauchen, was sie gelernt hat. Und die marode dahinserbelnde britische Monarchie braucht ihre fröhliche Gelassenheit, ihr aufrichtig scheinendes Engagement und ihre Zugänglichkeit, die so gar nichts mehr mit den Stepford Wives von einst gemein hat, gerade ganz dringend.