Maja Hoffmann aus dem Clan der Basler Pharma-Dynastie Hoffmann-La Roche ist reich. Superreich. 6 Milliarden Franken reich, um genau zu sein. Sie ist jetzt die Präsidentin des Filmfestivals Locarno, das jährlich 18 Millionen Franken kostet, und sie ist sehr zufrieden an der Pressekonferenz im Zürcher Ausstellungsraum der LUMA-Stiftung, die selbstverständlich keine andere als sie gegründet hat. Es sei gelungen, die wichtigsten privaten Festivalpartner an Bord zu behalten, und mit neuen sei man auch im konstruktiven Gespräch. Das ist wichtig, denn von der öffentlichen Hand ist in Zukunft sicher nicht mehr Geld zu erwarten.
Ebenfalls sehr glücklich ist sie mit dem Festivalplakat für 2024. Es zeigt – wie immer – den Locarneser Leoparden. Logisch, ist ja auch heimisch in den Wäldern um den Lago Maggiore. Nein, natürlich nicht, aber er ist einfach ein markiges, wildes, unabhängiges Festival-Maskottchen wie der Löwe von Cannes oder der Berlinale-Bär. Ein Raubtier dazu – wer den Goldenen Leoparden gewinnt, hat den anderen den Sieg geraubt. Oder so. Für Maja Hoffmann ist der Leopard vor allem eines: weiblich. «La panthère», denn Maja Hoffmanns erste Sprache ist Französisch.
Sie habe sich «als Frau attackiert» gefühlt, «la panthère» sei ihr auf den bisherigen Plakaten immer «aufgetischt» worden «wie auf einem Teller». Da muss eine erst einmal darauf kommen. Und deshalb hat sie ihre gute Freundin angerufen, nämlich Annie Leibovitz, die Fotografin von Superstars wie der Queen, die selbst mal ein Superstar war, dann jedoch durch so einiges, etwa Steuerschulden in Millionenhöhe, in Ungnade fiel.
«Annie» arbeitete netterweise gratis beziehungsweise legte sich am Lago Maggiore so lange auf die Lauer, bis sie einen Leoparden vor die Linse kriegte oder beauftragte auch einfach einen ihrer Assistenten damit, einen Leoparden in ein Stück Tessiner Landschaft zu photoshoppen. Und siehe da, Maja Hoffmann war glücklich, denn «la panthère» befand sich nun in Freiheit, in der Natur und erst noch unter einem Himmel, der nicht «schön» ist, sondern bewölkt und damit das bewölkte Klima der Welt, in der wir uns befinden, wiedergibt. Etwa so muss man die Worte der Festivalpräsidentin deuten. Item, irgendwie eine hübsche Geschichte. Im Tessin wurde das Plakat sofort zum Meme mit einem ganzen Zoo an tierischen Möglichkeiten.
Glasklar sind dagegen die Ansagen des künstlerischen Direktors Giona Nazzaro und des kaufmännischen Direktors Raphael Brunschwig. Dank flankierender Massnahmen ausserhalb der Leinwände für die Filmschaffenden selbst – etwa das sogenannte Basecamp in Muralto für gut 200 Nachwuchstalente – vermag sich das Festival tatsächlich zu verjüngen beziehungsweise «das Publikumsalter zu regenerieren», jeweils ein Fünftel Festival-Neulinge seien seit ein paar Jahren zu beobachten. Und es stimmt, die Menschen, die in Locarno aus den Lokalen mit den Think Thanks und Seminaren quellen, sehen immer nach einer global zusammengewürfelten Kunsthochschule aus.
Das Programm ist wie immer: international und indipendent. Filme aus Asien, Osteuropa, dem Globalen Süden, von überall her, nur nicht aus Hollywood. Hollywood und Mainstreamkino findet in Locarno anders statt. Heuer etwa in Gestalt von Ben Burtt, dem Soundtüftler, der das Röcheln von Darth Vader und die Stimme von E.T. erfand. Oder in der Retrospektive zu 100 Jahren Columbia Pictures (mit über 40 Filmen). Oder durch die Produzentin Stacey Sher, die Filme wie «Gattaca» und vieles von Tarantino produzierte.
Bollywood-Fans erwarten bereits jetzt mit äusserstem Herzflattern Indiens grössten aktuellen Leinwandhelden, Shah Rukh Khan (oder auch einfach SRK oder King Khan). Und andere (wie die Autorin dieses Artikels) sehnen die Begegnung mit Jane Campion, der australischen Regisseurin von «An Angel at My Table», «The Piano», «The Power of the Dog» oder der Thriller-Serie «Top of the Lake» herbei.
225 Filme laufen heuer in Locarno, 5679 haben sich für einen Start auf der Piazza Grande oder in einem der vielen Kinosäle beworben, gut 35 Prozent davon sind von Regisseurinnen gedreht worden, und die längste Zahl im Katalog dürfte ein Film mit dem Titel «Cent Mille Milliards» werden, denn der soll in Ziffern dargestellt werden: «10'000'000'000'000».
Die Filme, die für Locarno ausgewählt werden, bleiben meist in Locarno, jedenfalls ist dies ihre Karriere in der Schweiz. International laufen sie nach Locarno noch an vielen weiteren Festivals. Doch für viele Besucherinnen und Besucher (und Locarno ist noch immer das mit Abstand grösste Filmfestival der Schweiz) ist genau dies der Reiz: Dass sie im Ambiente einer südlichen Urlaubsregion ganz exklusiv Filme sehen können und sich dabei auf Entdeckungsreisen durch möglicherweise wenig vertraute Welten machen. Die Locarno-Filme, sagt Nazzaro, seien wie Postkarten aus einem anderen Teil der Welt, die sagen: Hier bin ich und so geht es mir.
Hier geht es zur Auswahl der Filme.