Als Karin Keller-Sutter (FDP) am 19. Januar vor den Medien das Nein des Bundesrats zur Volksinitiative des Egerkinger Komitees begründete, trug sie einen Mundschutz. Farbe und Muster waren auf ihren Blazer abgestimmt. Es war wohl primär ein modisches Statement der St. Gallerin, aber eigentlich unterstrich sie damit einen wesentlichen Grund für ein Nein.
Die Abstimmung über das Verhüllungsverbot findet in einer Zeit statt, in der wir uns alle verhüllen. In öffentlich zugänglichen Innenräumen besteht Maskenpflicht, für den öffentlichen Verkehr gilt sie bereits seit dem letzten Sommer. Den Initianten ist dieser Widerspruch bewusst, sie verweisen auf die im Initiativtext festgehaltenen Ausnahmen.
«Wir wollen ein Verhüllungsverbot dauerhaft verankern – bei klar definierten Ausnahmen wie gesundheitlichen Gründen», sagte SVP-Nationalrat Walter Wobmann, der «Vorkämpfer» des Egerkinger Komitees. Was aber, wenn diese Ausnahmen durch Pandemien zur Regel werden? In der Debatte wird diese Frage angetippt, aber kaum ernsthaft thematisiert.
Intensiv damit beschäftigt hat sich der Tessiner Jurist Filippo Contarini. Mit seinem Kollegen Martino Colombo reichte er beim Bundesgericht eine Beschwerde gegen das 2016 in seinem Heimatkanton eingeführte Verhüllungsverbot ein. In seiner Begründung verwies er darauf, dass das Verbot mit medizinischen Schutzmasken umgangen werden könne.
Zur Illustration legte Contarini den Screenshot eines Videos bei, das im Juli 2016 vor dem Coop in Mendrisio aufgenommen wurde, kurz nach Inkrafttreten des Tessiner Verbots. Es zeigt eine verhüllte, offensichtlich muslimische Frau. Vor dem Gesicht aber trägt sie keinen Schleier, sondern eine jener hellblauen Masken, an die wir uns seither gewöhnt haben.
Damals vermied das Bundesgericht eine Stellungnahme zu diesem Thema. «Es ist nicht darauf eingetreten», sagt Filippo Contarini im Gespräch mit watson. Dabei waren solche Masken in der Schweiz schon damals nicht neu. In Luzern, wo Contarini lebt, gehören die nun schmerzlich vermissten asiatischen Touristinnen mit Mundschutz zum «Inventar».
Erfolg hatten die beiden Tessiner in zwei anderen Punkten: Das Verbot im Südkanton sei unverhältnissmässig hinsichtlich der Versammlungs- und Meinungsfreiheit sowie der Wirtschaftsfreiheit, so das Bundesgericht. Teilnehmer einer Demonstration können gemäss dem Verdikt eine Maske tragen, wenn die öffentliche Ordnung gewahrt bleibt.
Im aktuellen Initiativtext jedoch werden als Ausnahmen «ausschliesslich» Gründe der Gesundheit, der Sicherheit, der klimatischen Bedingungen und des einheimischen Brauchtums erwähnt. Für Filippo Contarini ist klar: «Das Tragen einer Berset- oder Blocher-Maske an einer Demo ist nach einer Annahme des Verhüllungsverbots künftig verboten, ein medizinischer Mundschutz erlaubt.»
Die «Egerkinger» verweisen auf das Ausführungsgesetz, doch ganz wohl ist ihnen nicht. Auf ihrer Website heisst es, mit Hygienemasken sei die Individualität weiterhin wahrnehmbar – «durch persönliche Kleidung oder die Frisur». Dies ermögliche eine «im Vergleich zur Ganzkörperverschleierung weitaus bessere soziale Interaktion unter Individuen».
Im Tessin hat man andere Erfahrungen gemacht, wie nicht nur das Video aus Mendrisio zeigt. In Lugano und anderen Orten tauchten in der Folge vermehrt von oben bis unten verhüllte Muslimas mit Hygienemasken auf. Weshalb Lega und SVP 2019 eine Rezeptpflicht für das Tragen eines Mundschutzes anregten – ausser bei Smog oder Epidemien.
Die Antwort der Tessiner Kantonsregierung vom Dezember 2020 war eindeutig: Ein medizinischer Mundschutz diene der Prävention, meinte sie nicht zuletzt mit Verweis auf Covid-19. Als Argument dienten ihr jene asiatischen Touristinnen, die sich das Tragen einer Maske gewohnt seien und mit denen es nie Probleme gegeben habe.
Nicht jede Muslima – oder ihr Mann – wird den Niqab gegen eine Maske eintauschen. Besonders nicht «Überzeugungstäterinnen», unter denen sich häufig Konvertitinnen befinden. Aber mit dem Mundschutz ist es wie mit dem Virus: Die Masken sind gekommen, um zu bleiben. Sie werden auch ohne behördliche Anordnung Teil unseres Alltags.
Auch aus diesem Grund wäre die Annahme des Verhüllungsverbots reine Symbolpolitik. Es würde kaum etwas bewirken und liesse sich leicht umgehen – mit dem Segen des Egerkinger Komitees. Auf diesen Punkt haben Filippo Contarini und Martino Colombo schon im Oktober 2019 – drei Monate vor Corona – in einem Artikel aufmerksam gemacht.
Geredet wird darüber trotzdem kaum und trotz dem «uniformen» Auftritt der Justizministerin nur am Rand. «Die Heuchelei muss weitergehen», sagt Contarini im Gespräch. Als Hauptproblem ortet er dabei nicht die Corona-Masken: «Alles dreht sich um die Burka, aber dazu steht nichts im Initiativtext.» Das aber ist wieder ein Thema für sich.
Die Initiative schiesst inhaltlich völlig am Ziel vorbei und löst keines der damit in Zusammenhang stehenden Probleme. Die Initiative wird wohl angenommen, der Skandal riesig sein und in 3 Monaten interessiert es niemanden mehr, denn die Initianten sehen sich als Sieger, die betroffenen Frauen tragen medizinische Masken und dem Rest ist es wohl einfach piep egal.