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Tabubruch: SVP-Politiker wollen alle vier Spuren am Gotthard öffnen

Ulrich Giezendanner, rechts, gratuliert seinem Sohn Benjamin Giezendanner im Wahlzentrum des Kanton Aargau am Sonntag, 20. Oktober 2019, in Aarau. (KEYSTONE/Patrick B. Kraemer)
Ulrich Giezendanner (rechts) gratuliert seinem Sohn Benjamin Giezendanner 2019 zur Wahl in den Nationalrat. Jetzt wollen die beiden das Stauproblem am Gotthard lösen.Bild: KEYSTONE

Tabubruch: SVP-Politiker wollen 20 Mal pro Jahr alle vier Spuren am Gotthard öffnen

Die Urner Bevölkerung wehrt sich gegen die Staubelastungen am Gotthard. Und ein Vorschlag für eine Maut hat es schwer. Nun wagt ein Vater-Sohn-Gespann den Befreiungsschlag. Kritik ist programmiert, sogar aus den eigenen Reihen.
17.06.2023, 08:30
Othmar von Matt / ch media
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Er ist der Vater der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels, die zurzeit gebaut wird. Ulrich Giezendanner (SVP/AG), von 1999 bis 2019 Nationalrat und Mitglied der Verkehrskommission, forderte 2010 per Motion eine zweite Strassentunnelröhre am Gotthard. Sechs Jahre später sagten die Stimmberechtigten mit 57 Prozent Ja dazu.

Ulrich Giezendanner, 69, ist heute alt Nationalrat. Inzwischen hat sein Sohn Benjamin, 41, den Nationalratssitz übernommen - und auch er sitzt in der Verkehrskommission. Vater Giezendanner schaltet sich jetzt nochmals in die Politik ein, mit seinem Sohn. Die beiden wollen die zwei Gotthard-Strassentunnels in Zukunft zwanzigmal pro Jahr vierspurig befahrbar machen.

Immer wenn grosse Staus zu erwarten sind, sollen die Polizeikommandanten der Kantone Uri und Tessin die Tunnels vierspurig öffnen, sagt Giezendanner senior. Er denkt dabei an Ostern, Pfingsten und an die Sommermonate.

Das ist brisant: Bei der Volksabstimmung zur zweiten Gotthardröhre wurde versprochen, dass sie nicht für zusätzlichen Verkehr geöffnet wird. Giezendanners fordern aber genau das - noch bevor die Röhre fertig erstellt ist.

«Wir wollen das Volk nicht austricksen»

«Dafür braucht es einen Bedürfnisartikel in der Bundesverfassung», sagt Giezendanner senior. Ihm ist klar: Es braucht eine Verfassungsänderung - und dafür ist eine Volksabstimmung nötig. Artikel 84 der Bundesverfassung besagt, die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet dürfe nicht erhöht werden. Benjamin Giezendanner sagt: «Wir wollen das Volk nicht austricksen.»

Mit seinem Vorschlag wolle er mithelfen, die Verkehrsüberlastung in den Kantonen Uri und Tessin zu reduzieren, sagt Transportunternehmer Giezendanner senior. «Es geht mir nicht darum, dass der Güterverkehr profitiert. Ich will den Bahnverkehr weiterhin fördern.»

Er hat schon «Teile der Tessiner Regierung» eingeweiht über die Pläne. «Wenn die Tessiner Regierung das will», sagt Benjamin Giezendanner, «würde ich nach den Wahlen 2023 mit den Ständeräten aus dem Tessin einen parlamentarischen Vorstoss einreichen mit der Forderung, es müsse eine Bedürfnisklausel für den Alpentransitverkehr eingeführt werden.» Das sei ein «guter Kompromiss», denkt er. «Damit bricht man die Verkehrsspitzen zugunsten der Tessiner und vor allem für die Urner.»

Der Reiseverkehr staut sich bei Erstfeld im Kanton Uri in Richtung Sueden vor dem Gotthard- Tunnel zwischen Gueschenen und Amsteg auf mehrere Kilometer, am Freitag, 7. April 2023 in Wassen. Die Kanton ...
Stau vor dem Gotthard in Richtung Süden.Bild: keystone

Tessiner Verkehrsminister brach das Tabu als Erster

Es war der Tessiner Verkehrsminister Claudio Zali (Lega), der die Diskussion via Tessiner Fernsehen RSI lanciert hatte. Die Öffnung aller vier Spuren der Strassentunnels am Gotthard sei «die einzige Lösung» für das Verkehrsproblem, sagte er vor einer Woche.

Zali betonte, damit gebe es ein Problem mit Artikel 84 Absatz 3 der Bundesverfassung. Sie besagt, dass die Kapazität der Transitstrassen nicht erhöht werden darf. Anwalt Zali, der auch Richter war, sieht trotzdem eine Möglichkeit, die vier Spuren ohne Abstimmung einzuführen.

«In Artikel 84 gibt es auch Absatz 3», betonte er auf RSI. «Darin heisst es: ‹Der Bund schützt das Alpengebiet vor den negativen Auswirkungen des Transitverkehrs.›» Und das, sagt Zali, geschehe heute zu wenig. «Dieser Absatz 1 könnte die Lösung des Problems sein.»

Die Alpeninitiative will die Vorschläge bekämpfen

Bei der Alpeninitiative hat man keine Freude an diesen Ideen. «Wir sagen klar Nein dazu», betont Präsident Jon Pult. Erhöhungen von Verkehrskapazitäten seien nicht erlaubt, und jede Idee, die dem widerspreche, sei «inakzeptabel und ein massiver Bruch aller Versprechen».

Die Alpeninitiative werde alles dafür tun, «dass es nie zu einer solchen Mehrheit an der Urne kommt», sagt Pult. Er kritisiert Zali und die Giezendanners: «Es ärgert mich, dass die Befürworter des zweiten Gotthardstrassentunnels nun die vier Spuren öffnen wollen, obwohl sie versprochen hatten, es gehe nur um die Sicherheit und nicht um eine Erhöhung der Kapazität. Das sind schlechte Demokraten.»

SVP Praesident Marco Chiesa, SVP-TI, spricht an der Sommersession der Eidgenoessischen Raete, am Dienstag, 30. Mai 2023 im Staenderat in Bern. (KEYSTONE/Alessandro della Valle)
SVP-Präsident sieht das Vorhaben der Giezendanners kritisch.Bild: keystone

Vorbehalte hat interessanterweise auch SVP-Präsident Marco Chiesa, selbst Tessiner. Er halte eine vierspurige Öffnung am Gotthard für «nicht plausibel», sagt er. Erstens könnte sie einen «intensiveren Verkehrsfluss» in Richtung Süden und damit Probleme am Zoll Chiasso zur Folge haben.

Zweitens würden Versprechen - keine Kapazitätserhöhung - nicht eingehalten. Auch eine Teilöffnung lasse ihn «ratlos» zurück, sagt Chiesa. Sie wäre eine Erhöhung der Verkehrskapazität und müsste vom Volk genehmigt werden. «Ich jedenfalls bleibe bei meinem Wort.»

Die vier Spuren liegen sowieso in ferner Zukunft. Sie könnten frühestens 2032 geöffnet werden. 2029 soll der zweite Tunnel fertig erstellt sein - und 2032 der alte Tunnel totalsaniert. (aargauerzeitung.ch)

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Spatenstich für die zweite Röhre beim Gotthard
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Spatenstich für die zweite Röhre beim Gotthard
Zwei Arbeiter betrachten das Tunnel-Portal beim offiziellen Spatenstich in Göschenen.
quelle: keystone / urs flueeler
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200 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Medical Device
17.06.2023 08:34registriert Januar 2021
Sorry, das ist ja nun wirklich absehbar. Man baut keine 4 Spuren und meint dann man betreibe nur 2. Der Druck wird so oder so zunehmen zu dem Thema
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ingmarbergman
17.06.2023 10:12registriert August 2017
Wie wärs mit 20 Tagen keine Lastwagen auf der Nord-Süd-Route, dafür gibts Rabatt beim NEAT-Verlad?
Oder geht es Giezendanner gar nicht um den Stau, sondern um den eigenen Profit?
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Yunnan
17.06.2023 09:34registriert Oktober 2019
Giezendanner persönlich versprach damals in der Arena, die zweite Röhre werde nicht geöffnet. Habe es ihm damals schön nicht geglaubt.
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