Er ist der Vater der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels, die zurzeit gebaut wird. Ulrich Giezendanner (SVP/AG), von 1999 bis 2019 Nationalrat und Mitglied der Verkehrskommission, forderte 2010 per Motion eine zweite Strassentunnelröhre am Gotthard. Sechs Jahre später sagten die Stimmberechtigten mit 57 Prozent Ja dazu.
Ulrich Giezendanner, 69, ist heute alt Nationalrat. Inzwischen hat sein Sohn Benjamin, 41, den Nationalratssitz übernommen - und auch er sitzt in der Verkehrskommission. Vater Giezendanner schaltet sich jetzt nochmals in die Politik ein, mit seinem Sohn. Die beiden wollen die zwei Gotthard-Strassentunnels in Zukunft zwanzigmal pro Jahr vierspurig befahrbar machen.
Immer wenn grosse Staus zu erwarten sind, sollen die Polizeikommandanten der Kantone Uri und Tessin die Tunnels vierspurig öffnen, sagt Giezendanner senior. Er denkt dabei an Ostern, Pfingsten und an die Sommermonate.
Das ist brisant: Bei der Volksabstimmung zur zweiten Gotthardröhre wurde versprochen, dass sie nicht für zusätzlichen Verkehr geöffnet wird. Giezendanners fordern aber genau das - noch bevor die Röhre fertig erstellt ist.
«Dafür braucht es einen Bedürfnisartikel in der Bundesverfassung», sagt Giezendanner senior. Ihm ist klar: Es braucht eine Verfassungsänderung - und dafür ist eine Volksabstimmung nötig. Artikel 84 der Bundesverfassung besagt, die Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet dürfe nicht erhöht werden. Benjamin Giezendanner sagt: «Wir wollen das Volk nicht austricksen.»
Mit seinem Vorschlag wolle er mithelfen, die Verkehrsüberlastung in den Kantonen Uri und Tessin zu reduzieren, sagt Transportunternehmer Giezendanner senior. «Es geht mir nicht darum, dass der Güterverkehr profitiert. Ich will den Bahnverkehr weiterhin fördern.»
Er hat schon «Teile der Tessiner Regierung» eingeweiht über die Pläne. «Wenn die Tessiner Regierung das will», sagt Benjamin Giezendanner, «würde ich nach den Wahlen 2023 mit den Ständeräten aus dem Tessin einen parlamentarischen Vorstoss einreichen mit der Forderung, es müsse eine Bedürfnisklausel für den Alpentransitverkehr eingeführt werden.» Das sei ein «guter Kompromiss», denkt er. «Damit bricht man die Verkehrsspitzen zugunsten der Tessiner und vor allem für die Urner.»
Es war der Tessiner Verkehrsminister Claudio Zali (Lega), der die Diskussion via Tessiner Fernsehen RSI lanciert hatte. Die Öffnung aller vier Spuren der Strassentunnels am Gotthard sei «die einzige Lösung» für das Verkehrsproblem, sagte er vor einer Woche.
Zali betonte, damit gebe es ein Problem mit Artikel 84 Absatz 3 der Bundesverfassung. Sie besagt, dass die Kapazität der Transitstrassen nicht erhöht werden darf. Anwalt Zali, der auch Richter war, sieht trotzdem eine Möglichkeit, die vier Spuren ohne Abstimmung einzuführen.
«In Artikel 84 gibt es auch Absatz 3», betonte er auf RSI. «Darin heisst es: ‹Der Bund schützt das Alpengebiet vor den negativen Auswirkungen des Transitverkehrs.›» Und das, sagt Zali, geschehe heute zu wenig. «Dieser Absatz 1 könnte die Lösung des Problems sein.»
Bei der Alpeninitiative hat man keine Freude an diesen Ideen. «Wir sagen klar Nein dazu», betont Präsident Jon Pult. Erhöhungen von Verkehrskapazitäten seien nicht erlaubt, und jede Idee, die dem widerspreche, sei «inakzeptabel und ein massiver Bruch aller Versprechen».
Die Alpeninitiative werde alles dafür tun, «dass es nie zu einer solchen Mehrheit an der Urne kommt», sagt Pult. Er kritisiert Zali und die Giezendanners: «Es ärgert mich, dass die Befürworter des zweiten Gotthardstrassentunnels nun die vier Spuren öffnen wollen, obwohl sie versprochen hatten, es gehe nur um die Sicherheit und nicht um eine Erhöhung der Kapazität. Das sind schlechte Demokraten.»
Vorbehalte hat interessanterweise auch SVP-Präsident Marco Chiesa, selbst Tessiner. Er halte eine vierspurige Öffnung am Gotthard für «nicht plausibel», sagt er. Erstens könnte sie einen «intensiveren Verkehrsfluss» in Richtung Süden und damit Probleme am Zoll Chiasso zur Folge haben.
Zweitens würden Versprechen - keine Kapazitätserhöhung - nicht eingehalten. Auch eine Teilöffnung lasse ihn «ratlos» zurück, sagt Chiesa. Sie wäre eine Erhöhung der Verkehrskapazität und müsste vom Volk genehmigt werden. «Ich jedenfalls bleibe bei meinem Wort.»
Die vier Spuren liegen sowieso in ferner Zukunft. Sie könnten frühestens 2032 geöffnet werden. 2029 soll der zweite Tunnel fertig erstellt sein - und 2032 der alte Tunnel totalsaniert. (aargauerzeitung.ch)
Oder geht es Giezendanner gar nicht um den Stau, sondern um den eigenen Profit?