Der Nationalrat will für den Ausbau der Autobahnen 5,3 Milliarden Franken zur Verfügung stellen. Was halten Sie davon?
Das ist unkreativ. Wir betonieren damit das aktuelle Verkehrssystem auf Jahrzehnte hinaus, obschon dieses sehr ineffizient ist.
Weshalb ineffizient?
Wenn die Kapazitätsengpässe in der Rushhour besonders gross sind, sitzen im Schnitt 1,1 Personen im Auto. Dabei werden die Fahrzeuge immer grösser und schwerer. Und diese Verkehrskultur soll jetzt weiterhin praktiziert werden. Langfristig wird das einfach nicht aufgehen. Ich will hier jedoch gleich zu Beginn etwas loswerden.
Bitte sehr!
Ich verstehe die Pendler, die sich Sorgen machen, weil ihr Arbeitsweg wegen des Staus länger dauert. Mir ist klar, dass diese Personen so schnell wie möglich eine Lösung haben wollen. Da ist ein Ausbau des Strassennetzes natürlich naheliegend. Ich kann auch die Perspektive der Politiker verstehen.
Inwiefern?
Die möchten wiedergewählt werden und wollen deshalb, dass schnell Strassen gebaut werden. Sie können der Bevölkerung damit zeigen, dass sie konkret etwas unternommen haben, um die Verkehrssituation zu entschärfen. Aus deren Perspektive ist das vollständig nachvollziehbar. Wir müssen die Gräben in der Verkehrsdiskussion überwinden und mit Verständnis aufeinander zugehen. Wir müssen die Symptome kurzfristig behandeln, aber gleichzeitig auch die Ursache angehen.
Können Sie etwas konkreter werden?
Nehmen wir zum Beispiel Parkhäuser. Wenn in einer Stadt ein Parkhaus neu gebaut wird, sollte darüber nachgedacht werden, wie man dieses in kurzer Frist wieder abbauen oder umfunktionieren könnte. Denn langfristig werden wir aufgrund des Klimawandels bedeutend weniger Autos in den Städten haben können.
Sie sprechen den Klimawandel an. Bundesrat Albert Rösti hat im Nationalrat gesagt, dass die Strassen in absehbarer Zukunft klimafreundlich betrieben werden könnten, da die europäischen Hersteller nur noch auf E-Autos setzen würden. Was sagen Sie dazu?
Das ist nicht zu Ende gedacht. Es wird nicht reichen, die Autos einfach auf elektrisch umzustellen. Schon die Herstellung ist nicht CO₂-neutral. Gehen wir mal von einem E-Auto aus, das eine Batterie mit der Kapazität von 60 Kilowattstunden besitzt. Bei der Batterieherstellung werden pro Kilowattstunde etwa 75 Kilogramm CO₂ produziert. Also werden in diesem Fall 4,5 Tonnen CO₂ alleine für die Batterieherstellung emittiert. Eigentlich können wir uns pro Person aber nur noch einen ökologischen Fussabdruck von 0,6 Tonnen pro Jahr leisten. Und die CO₂-Problematik ist ja nur das Eine ...
... und das Andere?
Es geht auch darum, wie wir in Zukunft in den Städten leben wollen. Wollen wir Städte für durchfahrende Autos oder hier lebende Menschen planen? In den kommenden Jahren werden sich aufgrund des Klimawandels immer mehr Hitzeinseln bilden. Deshalb wird es mehr Grünflächen in den Städten benötigen. Doch wo soll diese Fläche herkommen?
Sagen Sie es mir.
Primär aus dem Strassenverkehr. Wir müssen den Platz in den Städten intelligenter nutzen, um den zukünftigen Herausforderungen zu begegnen. Wir können nicht einfach den Autos einen E-Motor einsetzen und dann weitermachen wie bisher.
Wieso schafft man es nicht, dass sich während der Stosszeiten mehr Leute in ein Auto setzen? Würden sich im Schnitt 2 statt nur 1,1 Personen in einen Wagen setzen, wäre doch schon viel gelöst ...
Das grosse Versprechen des Automobils ist, dass ich flexibel bin und meinen Eigenraum habe. Sobald ich es mit anderen teile, sind diese Vorteile weg. Deshalb bezweifle ich, ob das sogenannte «Ridesharing» ein Konzept ist, das uns weiterbringt.
Was wird uns sonst weiterbringen?
Wir müssen die Alternativen zum Auto wesentlich attraktiver machen. Zentraler Baustein ist dabei der ÖV, denn dieser ist dank des dort funktionierenden Sharings enorm flächen- und energieeffizient.
Könnten auch E-Bikes und Velos Abhilfe schaffen?
Fast 50 Prozent aller Autofahrten in Schweizer Städten erfolgen im Entfernungssegment bis fünf Kilometer. Daher wären E-Bikes und Velos sicher eine interessante Option. Aber hier stellt sich die Frage, ob sich jemand überhaupt überlegt, eine Alternative zu nutzen, wenn er bereits ein Auto besitzt. Ein Auto ist bequem, man ist dem Wetter nicht ausgesetzt und man ist sicher. Man befindet sich im Auto in einem geschützten Kokon, in dem man sich mit niemandem austauschen muss. Und die Automobilindustrie baut diesen Kokon immer weiter aus. Die heutigen Autos sind rollende Entertainmentmaschinen und sie werden immer grösser. Solange wir noch mehr Strassen und Parkplätze bauen, werden sich die Leute nicht vom Automobil verabschieden.
Die linken Parteien haben sich im Nationalrat gegen den Ausbau der Autobahnen gestellt. Sie haben sich auf den Standpunkt gestellt: «Wer Strassen sät, wird Verkehr ernten.» Stimmt diese Gleichung?
Ja, das kann die Wissenschaft bestätigen. Mit dem Zubau von Infrastruktur haben wir es bisher nicht geschafft, dass wir das Verkehrsproblem reduziert haben, weil wir damit immer wieder viel Neuverkehr induziert haben. Indem wir die Schweiz mit Strassen zupflastern, machen wir die Schweizer Wirtschaft und Gesellschaft weiterhin vom Automobil abhängig. Wir hängen wie ein Junkie an diesem Fahrzeug und kommen davon nicht los. Wie beim Junkie hat unser Verhalten langfristig ernste Konsequenzen. Was sind denn unsere Ziele? Wir müssen uns Gedanken machen, wie eine menschenfreundliche und enkeltaugliche Mobilitätskultur aussehen soll, doch das machen wir viel zu wenig. Stattdessen behandeln wir die Symptome, damit wir kurzfristig keine Überlastung mehr haben.
Kann man die Leute überhaupt vom Auto wegbringen?
Das ist schwierig. Dafür muss es sehr starke Anreize geben. Entweder man macht den öffentlichen Verkehr viel günstiger im Vergleich zum Auto oder man macht das Autofahren viel teurer. Das sind harte Impulse, die entweder in der Kasse der Finanzministerin wehtun oder im Portemonnaie der Autofahrerin.
Es gibt das Konzept des Mobility Pricings, das den Benutzer der Infrastruktur zur Kasse bittet.
Das ist ein interessanter Mechanismus. Man könnte ihn langsam einführen, damit sich die Leute daran gewöhnen, und die Kosten dann kontinuierlich erhöhen. Oder man wartet weiter ab. Aber irgendwann können wir nicht mehr «Transformation by Design» machen, dann müssen wir «Transformation by Desaster» machen. Irgendwann werden wir zum Punkt kommen, an dem wir ganz schnell CO₂ einsparen müssen. Und dann bekommen wir ein Problem, weil wir plötzlich ganz harte Massnahmen durchdrücken müssen.
Sie als Vertreter der Wissenschaft widersprechen einer Mehrheit des Nationalrats also vehement, was die Verkehrsplanung betrifft. Das lässt wenig zuversichtlich in die Zukunft blicken.
Wie gesagt, ich verstehe, warum die Politiker so handeln. Ich verstehe auch die Zwänge, in denen die Autofahrer stecken. Ich will nicht, dass wir aus den verschiedenen Blasen aufeinander schiessen, sondern dass wir aufeinander zukommen. Wir müssen zusammen schauen, wie wir ein System hinkriegen, das tatsächlich zukunftsfähig ist. Ich verteufle das Auto auch nicht. Im ländlichen Raum ist es häufig sinnvoll, Auto zu fahren. Aber müssen die Leute, die in Zürich oder Bern leben, tatsächlich mit dem Auto zur Arbeit fahren und das noch zu Hauptverkehrszeiten?
Die Leute sind schlicht zu wenig gut informiert, was es bedeutet, wenn der CO2 Verbrauch steigt und der wird a) durch den Bau dieser Autobahnen b) mehr Verkehr c) grösserer Kauf von Fahrzeugen und dem damit verbundenen Unterhalt, steigen.
Machen wir so weiter wie bisher, sind 2100 mit 3.2 Grad heisseren Temperaturen zu rechnen und was das bedeutet, das kann jeder selber recherchieren.
Est ist Wahnsinn, was wir machen!