39'863 Stunden staute sich 2022 der Verkehr im Nationalstrassennetz – ein neuer Rekord. Nun sollen mehrere Autobahnprojekte die Situation entschärfen. So hiess der Bundesrat eine Motion von Erich Hess (SVP) gut, der die Autobahn A1 zwischen Genf und Lausanne sowie Zürich und Bern auf mindestens sechs Spuren ausbauen will.
Zudem bewilligte der Nationalrat in der Sommersession 5,3 Milliarden Franken für punktuelle Ausbauten der Autobahnen bei Bern, St.Gallen, Schaffhausen, Basel und am Genfersee. Das Geschäft muss noch in den Ständerat.
Der Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) hat bereits angekündigt, dass er ein Referendum gegen die Ausbaupläne ergreifen wird. Es ist daher gut möglich, dass am Ende das Stimmvolk über den Autobahnausbau entscheiden wird.
Gemeinsam mit dem Sozialforschungsinstitut DemoSCOPE wollte watson herausfinden, wie die Bevölkerung zu den geplanten Autobahnprojekten steht. Die für die Deutschschweiz repräsentative Umfrage wurde zwischen dem 1. und 7. Juni durchgeführt, wobei 8636 Menschen teilgenommen haben (mehr zur Methodik am Ende des Artikels).
Die Umfrage zeigt, dass eine Mehrheit für den Ausbau der A1 auf mindestens sechs Spuren auf den genannten Teilstrecken ist. So haben 54 Prozent der Befragten angegeben, dass sie das Vorhaben (eher) befürworten. 45 Prozent sind (eher) dagegen.
Es gibt allerdings signifikante Unterschiede zwischen den Geschlechtern. So findet der Ausbau vor allem bei Männern Anklang. Frauen sprechen sich mehrheitlich dagegen aus. 54 Prozent von ihnen sagen (eher) Nein.
Erich Hess, der die Motion zum Ausbau auf sechs Spuren eingereicht hat, freut sich über die Umfrageergebnisse. «Die Menschen sehen, dass die Verkehrsinfrastruktur immer mehr an ihre Grenzen stösst», sagt der SVP-Nationalrat im Gespräch mit watson. «Die Strassen wurden grösstenteils vor 30 bis 40 Jahren gebaut und kommen nun an den Anschlag. Damals lebten noch sechs Millionen Menschen in der Schweiz, heute sind es 50 Prozent mehr.»
Man müsse nun die Infrastruktur ausbauen, um den gleichen Komfort zu erhalten, führt Hess aus. «Autobahnen, Züge, Schulen – überall müssen wir nachlegen.» Noch wichtiger sei aber, dass die Schweiz die «unkontrollierte» Zuwanderung beschränke.
Hess ist zuversichtlich, dass nach dem Bundesrat auch das Parlament seiner Motion zustimmt. Durch den Ausbau der A1 erhofft er sich, dass sich «die Staustunden massiv verkürzen und der Volkswirtschaft nicht mehr so ein grosser Schaden entsteht».
Ähnlich fallen die Umfrageergebnisse beim geplanten Ausbau an neuralgischen Punkten (Karte siehe oben im Artikel) für 5,3 Milliarden Franken aus. 55 Prozent der Befragten sind (eher) dafür und 43 Prozent (eher) dagegen. Auch hier gibt es signifikante Unterschiede zwischen Mann und Frau.
Beim VCS, der gegen den Ausbau ist, ist man ob der Umfrageergebnisse nicht enttäuscht. «Zu diesem Zeitpunkt ist die Meinungsbildung alles andere als gefestigt, weil noch gar keine öffentliche Debatte zum Thema stattgefunden hat», sagt Stéphanie Penher, Leiterin Verkehrspolitik VCS Schweiz, gegenüber watson.
An den Plänen für ein Referendum hält der VCS fest. «Der Ständerat wird voraussichtlich im Herbst über den Ausbau entscheiden. Massgebend für das weitere Vorgehen des VCS Schweiz und dessen breit aufgestellte Referendumsallianz wird die Ausgestaltung der Vorlage nach den Schlussabstimmungen sein», so Penher.
Sie ist überzeugt, dass der Autobahnausbau an der Urne gekippt werden könnte. «Immer mehr Menschen erkennen, dass neue Strassen keine Verkehrsprobleme lösen, sondern diese langfristig verschärfen», sagt Penher.
Unterstützung erhält der VCS von den Grünen. Auf die Frage, ob sie ein allfälliges Referendum unterstützen würde, antwortet Nationalrätin Florence Brenzikofer: «Ja sicher. Nur wenn wir eine andere Verkehrspolitik machen, können wir die Klimaziele von Paris einhalten und den nächsten Generationen eine intakte Schweizer Natur hinterlassen.»
Brenzikofer gibt sich kämpferisch: «Die Umfrage fällt knapp aus und es zeigt sich, dass fast die Hälfte gegen einen Autobahnausbau ist – das finde ich beachtlich. Die Diskussion hat erst begonnen und wir werden aufzeigen müssen, dass dieser Ausbau den Stau nur verlagert und keine Lösungen bringt.» Die fünf Milliarden Franken Steuergelder könnten sinnvoller investiert werden, meint die Grüne-Nationalrätin.
Anders sieht dies das Bundesamt für Strassen (ASTRA). Gemäss Mediensprecher Jérôme Jacky bringt der Ausbau der Autobahnen sehr wohl Lösungen. «Ausbauprojekte haben nicht nur die Behebung eines verkehrlichen Engpasses zum Ziel», sagt er gegenüber watson. «Ausbauprojekte haben immer auch Entlastungswirkung, denn fliessender Verkehr auf der Autobahn ist die wirksamste Massnahme gegen die Entstehung von Ausweichverkehr. Dies wiederum verbessert die Verkehrssicherheit – sowohl auf den Autobahnen als auf dem nachgelagerten Verkehrsnetz.»
Nebst dem Autobahnausbau wurden in der Umfrage weitere Streitpunkte im Strassenverkehr abgefragt. So wurden in den vergangenen Monaten immer wieder Vorschläge zur Reduktion des Tempolimits gemacht. Die Grünen brachten Tempo 100 ins Spiel, während SVP-Vertreter mit einer Erhöhung auf 130 km/h liebäugelten. Wie die watson-Umfrage jetzt zeigt, findet Tempo 120 nach wie vor eine hohe Zustimmung. 36 Prozent sind mit dem aktuellen Regime zufrieden.
Immerhin 38 Prozent der Teilnehmenden sind aber für eine Erhöhung des Tempolimits. Das deutsche Modell, bei dem es auf Teilstrecken gar kein Limit gibt, findet jedoch wenig Anklang. Nur gerade 4 Prozent sind dafür, die Tempobeschränkung aufzuheben. Für eine Reduktion des Tempolimits sind 25 Prozent der Teilnehmenden.
Eine variable Temporeduktion mit elektronischen Schildern – etwa bei Staugefahr – findet bei einer grossen Mehrheit der Teilnehmenden Zustimmung. 83 Prozent sprechen sich (eher) für diese Art von Verkehrssteuerung aus.
Eine deutliche Mehrheit ist zudem für ein Überholverbot für Fahrzeuge, die nicht 120 km/h fahren können. 62 Prozent würden eine solche Massnahme (eher) befürworten.