Was spätestens jetzt allen klar sein muss: Ohne Alain Berset wäre die Krise noch viel schlimmer gewesen. Auch weil Berset, anders als wir alle, immer mit der Krise rechnete. Born ready, wie die Jungen sagen. Das verrät der alt Bundesrat im Buch «Der Berset-Code», das am Mittwoch erschienen ist.
«Als Politiker habe ich nie erwartet, dass ich dauernd auf dem roten Teppich gehe, schöne Anlässe besuche und entspannt den Courant normal bewältige», sagt er da im Gespräch mit Prof. Dr. med. Gregor Hasler. Stets habe er mit der ganz grossen Herausforderung, eben der Krise, gerechnet. «Deshalb war ich mental gut vorbereitet, als die Pandemie kam», schlussfolgert Berset gleich selbst.
Weiter hinten im Buch bezeichnet sich der Ex-Bundesrat und Neo-Europarat-Generalsekretär dann als «optimistische Natur». Wir lernen also, dass man auch zuversichtlich in die Zukunft blicken kann, wenn man stets mit dem Schlimmsten rechnet. Aber eigentlich seien Optimismus und Pessimismus sowieso «Luxus», den man sich «nur in guten Zeiten leisten kann». Für den «puren Überlebenskampf ist beides nicht notwendig», teilt uns Alain Berset mit.
Und wir sollen am Beispiel Berset lernen, wie wir mit Krisen umzugehen haben. Wie wir in Fällen von purem Überlebenskampf messerscharfe Entscheidungen fällen, resilient bleiben und auch in stressigsten Situationen einen kühlen Kopf bewahren. Berset, so der Neurowissenschaftler Hasler in seinem Fazit, könne das, da er über eine extreme Leistungsbereitschaft, grosse Freude an der Verantwortung und Entscheidungsfreude verfüge. Das sei der «Berset Code». Ob es für diese bahnbrechende Erkenntnis nun tatsächlich über 220 Buchseiten gebraucht hätte, sei jetzt einfach mal dahingestellt.
Es ist auch sonst ein eher überraschungsfreies Gespräch zwischen zwei Männern, die sich gegenseitig ziemlich gut finden. Am Ende des Gesprächs klopfen sie sich gegenseitig so fest auf die Schultern, dass es der Leser beinahe donnern hört. Eine «lehrreiche und herausfordernde Aufgabe» sei es gewesen, eigenlobt sich Hasler, der auch schon während der Pandemie mit dem Bundesrat und seinem Team gearbeitet hat. Und Berset spricht von einer «sehr interessanten Auseinandersetzung», bei der er «viel gelernt» habe.
Eindrücklich ist die Unterhaltung vor allem dann, wenn Berset den gigantischen Druck beschreibt, der in der Pandemie auf dem Bundesrat lastete. Wenn er von Morddrohungen spricht. Oder davon, wie er monatelang nicht ohne Leibwächter aus dem Haus konnte. Und der öffentliche und mediale Druck so gross wurden, dass es eigentlich fast nur noch falsche Entscheidungen gab. Jeder seiner Gedanken sei nur noch um die Pandemie gekreist.
«Die Wellen der Fallzahlen haben bei mir direkt Druck im Körper erzeugt», sagt der ehemalige Gesundheitsminister und klingt dabei nicht peinlich. An diesem Stress nicht zu zerbrechen, ist tatsächlich eine Kunst. Aber ob wir durchschnittsgestressten Menschen wirklich ein Learning daraus ziehen können, ist eher fraglich. Es wirkt ein bisschen wie Jogging-Tipps für Anfänger von der fünffachen Ultramarathon-Siegerin.
Und zuweilen klingt Berset wie einer jener nur schwer ertragbaren Fitness-Influencer: «Ob man alles gegeben hat, erkennt man daran, ob man am Ende wirklich ausgebrannt ist.» Das ist mindestens leicht problematisch, aber passt halt gut ins Bild des selbstlosen Magistraten, der sich selbst für uns aufgibt. Ein Bundesratsjob sei mehr als ein 9-to-5-Job. Er müsse verkörpert werden, und zwar «in jeder Minute seines Daseins», so Berset. Da «in jeder Minute» ein Problem auftauchen könne, das «unbedingte Präsenz» erfordert.
Das ist etwas machoid und ziemlich eitel. Aber Eitelkeit streitet der Freiburger SPler auch gar nicht ab. Sie helfe sogar, sagt er. «Ich bin sicher, eine gewisse Eitelkeit hilft, extremen Stress auszuhalten», sagt er seinem Gegenüber. Mit seinem gesteigerten Selbstwertgefühl sei er unter der Bundeshauskuppel auch gar nicht alleine. In der Politik hätten alle ein «problematisches» Ego. «Die Frage ist nur, wie man damit arbeiten kann, um einen Nutzen für die Allgemeinheit zu erbringen.»
Sein Umgang mit der Pandemie sei immer transparent gewesen, urteilt Berset selbst. Er habe zugeben können, wenn er etwas nicht wusste oder seine Meinung nach wenigen Wochen habe korrigieren müssen. Das sei auch keine Form der Schwäche, sondern sogar der Stärke – und habe für viel Verständnis gesorgt. «Ja, es gab auch Momente, wo ich nicht gespürt habe, was das Richtige ist, und trotzdem entscheiden musste», sagt Berset rückblickend.
Was das für unser Stress-Management bringen soll, erschliesst sich uns nicht. Am Ende senkt es unser eigenes Stress-Level allenfalls schon alleine darum, weil wir lesen, dass andere noch viel gestresster sind.
«Wenn man entschieden hat, dass die Pandemie vorüber ist, dann muss man loslassen», sagt Berset im Buch über die Coronazeit. Womit immerhin auch gleich klar ist, dass er seine eigenen Tipps auch nicht immer berücksichtigt. Wer stets auf die Ratschläge von anderen hört und es allen recht machen will, der ist am Ende vor allem eines: gestresst. (aargauerzeitung.ch)
Gregor Hasler: Der Berset-Code (Wörterseh Verlag), rund 27 Franken