Schafft Mitte-Nationalrat Markus Ritter die Wahl, wird der Bundesrat am 1. April zum perfekten Klischee der Schweiz: In der Landesregierung sitzen dann vier Männer mit landwirtschaftlicher Ausbildung. Doppelt so viele wie Frauen. Woher kommt diese Dominanz der ländlichen Schweiz bis hinauf in die höchsten Ämter? Die wichtigsten 8 Faktoren im Überblick:
Mehr als 20 Bäuerinnen und Bauern sitzen in National- und Ständerat. Doch es gibt auch Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die keinen Hof haben und dennoch Mitglied eines kantonalen Bauernverbandes sind. Oder solche, die Mandate in Organisationen haben, die der Landwirtschaft nahestehen. So ist etwa FDP-Ständerätin Petra Gössi Präsidentin der Föderation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien (fial), ihr Parteikollege Damian Müller präsidiert den Fleisch-Fachverband.
Die Organisation Lobbywatch zählt 52 Bundesparlamentarier mit einem Bezug zur Landwirtschaft. Kein anderer Sektor ist im Bundeshaus derart stark vertreten.
Der Bauernverband gilt heute als sehr mächtig. Doch als Markus Ritter 2012 das Präsidium übernahm, steckte der Bauernverband in einer Krise. Die Bauern waren zerstritten, Flügelkämpfe wurden sichtbar: Zwischen jenen, die einen ökologischeren Kurs stützten und jenen, welche die Produktion von Nahrungsmitteln stärken wollten.
Ritters erster Geniestreich war die Lancierung einer Initiative zur Verankerung der Ernährungssicherheit in der Verfassung. Das Parlament stellte sich hinter einen Gegenvorschlag, der an der Urne mit knapp 80 Prozent Zustimmung durchkam. Ein Erfolg für Ritter, der die Flügelkämpfe im Verband unterbinden und seine Macht intern festigen konnte.
«Mit dem Aufstieg der SVP zur stärksten Partei und ihrer Erzählung von der ländlichen Schweiz als Wiege der Eidgenossenschaft ist das Selbstbewusstsein der bäuerlichen Schweiz insgesamt gestiegen, über die SVP hinaus», sagt Lukas Golder vom Meinungsforschungsinstitut GfS Bern. Aus dem Mund von SVP-Präsident Marcel Dettling tönt das so: «Im Gegensatz zu den Juristen arbeiten die Bauern tagtäglich hart auf dem Feld und sorgen für das Essen auf unseren Tellern», sagte er am Wochenende.
Es ist ein Eigenlob, auf das die Landwirte gar nicht angewiesen wären: «Die Bauern geniessen in fast allen Bevölkerungsschichten ein hohes Ansehen. Sie gelten als fleissige und zuverlässige Chrampfer», sagt Golder. Keine Frage, dieses Image ist im Wahlkampf fast unbezahlbar.
Und selbstverständlich wird daran fleissig weitergearbeitet. Etwa, indem Präsident Ritter und seine Mitstreiter stets von den «Bauernfamilien» reden: Jeder agrarpolitische Entscheid betrifft nicht nur den landwirtschaftlichen Betrieb, sondern immer die ganze Familie, bis zum Kleinkind. Die Botschaft ist klar: Wer gegen die Bauernfamilien Härte an den Tag legt, ist ein Unmensch.
«Viele Bauern und Bäuerinnen engagieren sich in ihren Gemeinden, sei es in Vereinen, Kommissionen oder Exekutiven», sagt Golder, «das ist im Schweizer Milizsystem ein riesiges Reservoir an politischem Personal». Kommt hinzu, dass Bäuerinnen und Bauern im Alltag stark mit den Entscheiden aus Bern konfrontiert sind. Wegen der Direktzahlungen, aber auch wegen Vorschriften zu Tierhaltung und Umweltschutz. Wer einen Hof führt, steht bis zum Rand der Gummistiefel in der Politik.
Eine wichtige Rolle spielen auch Agrarkonzerne wie die Fenaco mit ihren Landi-Filialen oder der Milchverarbeiter Emmi. Einerseits haben sie finanzielle Möglichkeiten, auf die Politik einzuwirken. Zudem bieten sie Politikerinnen und Politikern Posten in Verwaltungsräten oder auf Managementstufe – und werden so zur landwirtschaftlichen Kaderschmiede. Sowohl Ueli Maurer als auch Guy Parmelin sassen im Verwaltungsrat der Fenaco. Und Albert Rösti war in seinem Berufsleben nicht nur Direktor des Milchverbands, sondern auch Lehrer an der Bergbauernschule Hondrich.
Was die Gewerkschaften auf der politischen Linken, ist der Bauernverband im bürgerlichen Lager: der am besten organisierte Interessenverband. Und oftmals der schnellste. Bei der Nachfolge von Simonetta Sommaruga führte der Bauernverband das erste Hearing der Kandidatinnen durch und setzte gleich den Ton: Gegen die Baslerin Eva Herzog und für die gmögige Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider mit ihren Schwarznasenschafen.
Der Verband ist auch eine gut geölte Kampagnenmaschine und in der Lage, das Land mit tausenden Plakaten auf Weiden und an Scheunentoren zu überziehen. Damit gelingt auf dem Land, was Linke in den Städten anstreben: aus einem Abstimmungskampf eine Bewegung zu formen.
Die Bauern ticken in der Finanz-, Gesellschafts- und Wirtschaftspolitik mehrheitlich bürgerlich, konservativ. Auf dieser Grundlage ist Ritter eine Allianz mit der Wirtschaft eingegangen, die «Geld-und-Gülle-Allianz», wie sie von Links verspottet wird. Ritter selbst umschrieb seine Rolle im Parlament einmal wie folgt: «Ich versuche, wie die Nummer 10 im Fussball zu sein: Ich verteile die Bälle, damit alle ein Goal machen können. Jeder, der ein Tor schiessen kann, ist für uns ein anderes Mal ein treuer Verbündeter.»
Das ist die freundliche Umschreibung dessen, was Ritters Gegner als Kuhhändel bezeichnen. So halfen die Bürgerlichen den Bauern, die letzte, ungeliebte Agrarreform des Bundes zu verzögern. Im Gegenzug leistete der Bauernverband Hilfe im Kampf gegen die Konzernverantwortungsinitiative.
Diese Konstellation allein würde den Bäuerinnen und Bauern schon viel Macht verschaffen. Doch auch SP und Grüne sind mitunter auf Goodwill der ländlichen Bevölkerung angewiesen. Umweltpolitik gegen die Bauern lässt sich kaum durchsetzen – das zeigte sich deutlich im Kampf um die Trinkwasser- und Pestizidinitiative.
Und ohne die Stimmen vom Land tendieren die Chancen linker Initiativen auf ein Volks- und ein Ständemehr gegen Null. So kamen wichtige linke Erfolge wie Alpeninitiative oder die 13. AHV-Initiative nur mit Stimmen vom Land zustande.
Bei den Parlamentswahlen 2019 ging das ökologische Lager als Sieger hervor. Die grüne Welle schwappte über ins Bundeshaus. Bauernpräsident Ritter zeigte sich durchaus wendig: Er näherte sich dem links-grünen Lager an. In einer «Palmölkoalition» erzwang man gemeinsam Umweltstandards für Palmölimporte aus Indonesien. In einem programmatischen Interview Anfang 2020 machte er sich für eine Agrar-Allianz mit den Grünen stark.
Doch die linke Kampagne «Agrarlobby stoppen!», die den Cüpli trinkenden Bauernpräsidenten in einer Reihe mit sterbenden Bienen und toten Fischen zeigte, führte zum Bruch. Ritter näherte den Bauernverband wieder den Bürgerlichen an. Es folgte der strategische Schulterschluss mit Economiesuisse und Gewerbeverband.
Gut möglich, dass diese ihm nun in den Bundesrat verhelfen wird.
Zuviel St. Gallen.
Zu konservativ.
Nur weil es bislang der einzige Kandidat ist, ist es nicht automatisch der Favorit, sondern Lückenbüsser.
Abgesehen davon:
Unglaublich, wie realitätsfremd der Bundesrat zusammengesetzt ist. Drei Bauern und kein Städter. Obwohl nur ca. 2% der Bevölkerung in der Landwirtschaft tätig ist, während fast 85% in städtischen Gebieten wohnen. So kann es nicht weitergehen, der politische Einfluss der Landbevölkerung ist massiv zu hoch.
Und sobald ein Jurist seinen Schreibtisch auf einem Feld aufstellt, jammert der Bauer weil er nicht mehr durchkommt und fordert Subventionen.