«Wer weiss, vielleicht sind wir eines Tages sogar selbstbewusst genug, um für einen Sitz im Sicherheitsrat zu kandidieren»: Diesen Satz sagt die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (SP) am 21. August 2006 während einer Rede im Grossen Saal des Casino Bern. Dies würde der Schweiz ein «ambitiöseres» politisches Engagement ermöglichen. Ohne Einfluss im Sicherheitsrat hingegen zähle die Stimme der Schweiz in internationalen Krisen «nur wenig», stellte Calmy-Rey fest.
Ihr Publikum war das aus Anlass der alljährlichen Botschafterkonferenz in der Bundesstadt versammelte Diplomatische Korps der Eidgenossenschaft. Doch die im Umgang mit den Medien virtuose Vorsteherin des Aussendepartementes EDA zählte darauf, dass ihre Worte bei den eigentlichen Adressaten ankommen würden: Ihren bürgerlichen Bundesratskollegen und ihren Kritikern von rechts in National- und Ständerat.
Calmy-Reys Aussage verfehlte die beabsichtigte Wirkung nicht. Der damalige FDP-Nationalrat Gerold Bührer (SH) beklagte die «konfuse Strategie» des EDA und nannte die Äusserungen der Aussenministerin «absolut schädlich». Am Folgetag stimmte die Aussenpolitische Kommission (APK) einem Antrag Bührers zu, der vom Bundesrat einen ausführlichen Grundlagenbericht zur Schweizerischen Neutralität verlangte.
Damit sollten Calmy-Rey «Leitplanken gesetzt werden», sagte Bührer der «Berner Zeitung». SVP-Vertreter forderten gar einen Maulkorb für Calmy-Rey - womit sie aber unterlagen. Die SVP-Nationalräte Christoph Mörgeli und Ulrich Schlüer (ZH) klagten, Calmy-Rey führe die Schweiz «aufs Glatteis». Eine Kandidatur für den Sicherheitsrat habe letztlich zum Ziel, die Neutralität der Schweiz aufzuheben.
Der «Sonntagsblick» wusste zu berichten, dass die Bundesräte von FDP und SVP - darunter der damalige Justizminister Christoph Blocher - bei einer Aussprache der Landesregierung zwei Tage nach der umstrittenen Äusserung «fast eine geschlagene Stunde auf Calmy-Rey herumhackten» und dabei «vor Wut schäumten». An seinem 2003 getroffenen Grundsatzentscheid, mittelfristig einen Sitz «ins Auge zu fassen», hielt der Bundesrat dennoch fest.
Gut ein Jahr später, bei der Präsentation des aussenpolitischen Berichts im Juni 2007, schoss Calmy-Rey - Erfinderin des Konzepts der «aktiven Neutralität» - einen weiteren Pfeil in Richtung ihrer Kritiker. Die Schweiz habe eine Aussenpolitik, hielt sie fest, die im Übrigen nicht von ihrem Departement, sondern vom Gesamtbundesrat festgelegt und getragen werde. Dies sei allerdings nicht ganz einfach. Denn, so fügte sie an:
In den Folgejahren sicherte sich Calmy-Rey die Unterstützung der Aussenpolitischen Kommissionen des Parlaments für eine Kandidatur. 2011 fällte der Bundesrat unter der Präsidentschaft Calmy-Reys den formellen Entscheid, eine Kandidatur anzumelden. Zahlreiche Versuche, vornehmlich aus SVP-Kreisen, das Projekt im Parlament noch zu stoppen, scheiterten seither - zuletzt im März dieses Jahres.