Er ist knapp 50 Jahre alt und trägt nach wie vor Maske in allen Innenräumen, die nicht seine eigene Wohnung sind – und zwar die Version FFP2. Der Zürcher sagt: «Man geht ja auch nicht bei Rot über die Strasse, nur weil es mühsam ist, auf Grün zu warten.»
Na ja. Wer ist nicht schon bei Rot über die Strasse, wenn man sich in Sicherheit wähnte? Und wer kennt nicht den Effekt, dass viele hinterherlaufen, wenn erst mal jemand losgelaufen ist?
Zweieinhalb Jahre nach Pandemiebeginn verebbt die Diskussion um unser Risikoverhalten nicht. Aufgehobene Massnahmen hin oder her. Denn einige Personen erinnern die Allgemeinheit immer noch daran, dass da eine Gefahr lauern könnte – weil sie Masken tragen.
Auch der Mann ist mit seiner FFP2-Maske im Büro eine wandelnde Mahnsäule. «Natürlich ist es nicht lustig, im Büro der einzige Clown mit Maske zu sein, aber vorderhand halte ich daran fest.» Er findet, dass die Folgen der Virusinfektion noch viel zu schlecht erforscht seien, als dass er sich dem Risiko aussetzen würde. «Steigt das Krankheitsrisiko mit jeder Infektion an? Kann ich beim ersten Mal Diabetes bekommen und nach dem zweiten Mal einen Gehirnschaden?», fragt er.
Und so trinkt er das Bier strikte draussen auch bei Regen, mit jenen Kollegen, die das mitmachen. Er kauft seltener ein und eher in kleinen Läden, diese dünken ihn sicherer. «Mit Freunden spazieren gehen kann ich nach wie vor ohne Maske. Der Rest fehlt mir nicht gross.»
Doch wie lange? «Das ist von vielem abhängig», sagt er, «von den Fallzahlen, von wirksameren Medikamenten gegen Long Covid und von noch besseren Impfstoffen. Jedenfalls will ich die Gefahr nicht einfach verdrängen und Russisch Roulette spielen. Die meisten tun jetzt genau das – oder sie wissen nicht, was Corona alles anrichten kann.»
Wer wie er an den Schutzmassnahmen festhält, muss ein dickes Fell haben. «Höhlenmenschen» wurden Leute wie er schon im Sommer vor einem Jahr genannt und ein neuer Artikel über das Cave-Syndrom, der in der «Zeit» erschienen ist, sorgte kürzlich wieder für Wirbel. Der Begriff geht auf den US-Psychiater Alan Teo zurück, der letztes Jahr sagte, solche Leute würden ihr Leben ganz auf das Infektionsrisiko ausrichten und dabei in Kauf nehmen, «alleine und vereinsamt zu sterben». Das von ihnen wahrgenommene Risiko sei nicht das tatsächliche.
Niemand weiß, wie der nächste Herbst/Winter wird, ich bin aber davon überzeugt, dass wir wieder nicht gut darauf vorbereitet sind & "überrascht" werden. Wenn #LongCovid & andere Infektionskomplikationen die sich abzeichnenden Ausmaße haben, ist das garkeine gute Nachricht
— Isabella Eckerle (@EckerleIsabella) April 24, 2022
Diese Aussage ist selbst ein Jahr später, da fast alle geimpft oder genesen sind, noch gewagt: Welches Risiko ist das tatsächliche? Denn eine Impfung reduziert das Risiko von Long Covid zwar, aber nur zu maximal 70 Prozent und mit vermindertem Schutz nach einigen Wochen.
Die Sterblichkeit ist massiv gesunken und mittlerweile bei Geimpften mit der Grippe vergleichbar. Doch viele sind von Langzeitfolgen betroffen. Die neusten Studien gehen davon aus, dass 70 Prozent der ehemals hospitalisierten Covid-19-Patienten ein Jahr später noch mindestens ein Symptom wie Müdigkeit, Atemnot oder Konzentrationsschwierigkeiten haben – und rund die Hälfte all jener, die nicht ins Spital mussten.
Das ergab zum Beispiel eine neue Covid-Studie aus Luxemburg um Aurelie Fischer mit 289 ehemaligen Covid-19-Patienten. Zwar werden die Anzahl der Symptome meist deutlich weniger im Laufe eines Jahres, wie eine andere Studie, die in «Nature Communications» erschien, zeigte, doch Wortfindungsprobleme oder Atemnot sind meist hartnäckige, andauernde Beschwerden.
Allerdings sind Studien, die untersuchen, wer «noch mindestens ein Symptom» hat, mit Vorsicht zu geniessen. Das schreiben die Forschenden selbst: «Auch in der allgemeinen Bevölkerung ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass mindestens eines dieser Symptome vorhanden ist.»
Nicht von der Hand zu weisen ist, dass sich viele nach Covid-19 noch einige Wochen nicht fit fühlen – und ebenso gesichert ist, dass wenige eine derart schwere Form von Long Covid entwickeln, dass sie nicht mehr oder nur noch reduziert arbeiten können.
Diese Form entspricht dem bekannten Chronischen Fatigue-Syndrom, mit der Abkürzung ME/CFS, das ebenfalls nach Virusinfektionen auftritt in seltenen Fällen und als unheilbar gilt. Die Betroffenen erleiden nach kleinster Überanstrengung Zusammenbrüche und sind oft bettlägerig. Es ist bekannt, dass das Epstein-Barr-Virus (Pfeiffersches Drüsenfieber) dies auslösen kann, aber auch nach der ersten SARS-CoV-Epidemie 2005 beobachtete man, dass von den beobachteten Patienten vier Jahre später noch 27 Prozent die Kriterien für ME/CFS erfüllten.
Der Schweizer Epidemiologe Milo Puhan geht aufgrund einer Studie aus dem Kanton Zürich davon aus, dass bei SARS-CoV-2 nach einem Jahr noch 20 Prozent der Erkrankten noch chronisch erschöpft sind und 10 bis 15 Prozent an Konzentrationsschwäche und Geschmacksstörungen leiden. Der Prozentsatz für die schwerste Langzeiterkrankung mit Zusammenbrüchen und Arbeitsausfall schätzten Forscher der Berliner Charité auf ein Prozent. Doch selbst dies bedeutet extrem viele Betroffene in der Schweiz.
Auf Twitter reagierten jene, die noch immer Masken tragen, genervt auf die Bezeichnung «Höhlenmensch». Eine Frau mit Diabetes Typ1 schrieb: «Ich bin offenbar ein Höhlenmensch. Die Pandemie ist nicht vorbei. Der Wegfall aller Schutzmassnahmen nimmt mir Freiheit.» Und jemand protestierte: «Alle reden von Eigenverantwortung – wenn Menschen sie dann wahrnehmen, erfindet man Diagnosen dafür!»
Manche schildern, wie sie oft aufgefordert würden, die Maske doch abzuziehen. Chantal Britt, Präsidentin von Long Covid Schweiz sagt: «An die Blicke von fremden Menschen, die mich als paranoid belächeln oder sogar anpöbeln, habe ich mich unterdessen gewöhnt.» Aber sie verstehe nicht, warum sie sich erklären müsse, wenn sie sich vor einem Virus schütze, das Millionen von Menschen getötet und chronisch behindert habe.
Chantal Britt steckte sich im März 2020 an. Seit eineinhalb Jahren trägt sie konsequent FFP2-Maske in fremden Innenräumen. «Die Kinder schämen sich vielleicht ab und zu, wenn sie mit mir unterwegs sind und ich als einzige Person eine Maske trage, aber sie verstehen auch, warum ich das tue.» Das Virus habe ein Wrack aus ihr gemacht, Herz, Gehirn und Lunge geschädigt und sie um 15 Jahre altern lassen. Sie kann keinen Sport mehr treiben, hat kognitive Defizite und ihren Job verloren. «Ich kann das Rad nicht zurückdrehen. Aber ich werde alles tun, dass ich mir nicht mehrmals im Jahr Covid-19 einfange.»
Auch jetzt, mit tiefen Fallzahlen, trägt sie weiter Maske in Innenräumen, denn sie hat sich auch bei relativ tiefen Zahlen angesteckt. Das Risiko, dass sie sich via ihre drei Kinder, die aufs Gymnasium gehen, erneut ansteckt, geht sie ein. Sie zwingt ihr Umfeld nicht zum Masketragen, wenn niemand Symptome hat.
Chantal Britt glaubt nicht, dass eine Infektion das Immunsystem stärkt. Sie sagt: «Wir gehen im Moment eher davon aus, dass jede zusätzliche Infektion das Immunsystem schwächen kann.» Ohnehin führe bei vielen Long-Covid-Betroffenen eine Reinfektion zu einer Verschlechterung oder einem Wiederaufflammen der Symptome. Über andere Langzeitfolgen in Lunge, Herz, Gehirn, aber auch in Blutgefässen, im Verdauungstrakt und den Muskeln wisse man im Moment nur, dass das Virus dort Schaden anrichten kann – aber nicht wie lange diese andauern oder wie man sie behandeln kann.
Dass sich die Schäden durch Entzündungen im Gehirn erst später zeigen oder im Alter verschlimmern könnten, fürchten auch manche Neurologen. Denn die Gehirnleistungen von ehemaligen Covid-Patienten wurden schon in verschiedenen Studien untersucht – und sie schnitten meist schlechter ab als die nicht erkrankten Kontrollpersonen.
Man sah auch eine Abnahme der grauen Hirnmasse. Allerdings sind die Abweichungen meist sehr klein und eine dänische Studie, welche im März in Fachjournal «Jama Psychiatry» erschien, ergab: Verschlechterungen in den kognitiven Funktionen zeigten auch Patienten, die wegen anderer schwerer Krankheiten wie eines Herzinfarkts im Spital gewesen waren.
Britt sagt: «In ein paar Jahren werden wir wissen, wer recht hat.»
(aargauerzeitung.ch)
Auf dem Velo kriegt man die volle Ladung Pollen ab.
Wenn der Pollenflug schlimmer werden sollte, ziehe ich die Maske im Aussenbereich dem Schnudder und Niesen whs. vor 🤷♂️