Long Covid, die Folgekrankheit von Sars-Cov-19, stellt Betroffene und Mediziner vor beängstigende Fragezeichen. Eine US-Klinik hat sich deshalb der Erforschung der Krankheit verschrieben. Ihr Programm liefert nun Erkenntnisse.
Die Symptome von Long Covid sind sehr unterschiedlich: Häufig sind Müdigkeit, Herzrasen, Kurzatmigkeit und chronische Erschöpfung. Die Schwierigkeit an der Krankheit nennt die Rehabilitationsspezialistin Dayna McCarthy: «Die Werte sind immer gut, weshalb die westliche Medizin keine Erklärung für die Erkrankung hat», so die Medizinerin gegenüber «The Atlantic».
Spezialistinnen und Spezialisten des Mount Sinai Krankenhaus in New York wollen nun das Rätsel knacken. Die Klinik eröffnete ein Zentrum für Post-Covid-Pflege und startete einen Aufruf an Freiwillige für ein Forschungsprogramm. Das berichtete die Zeitung «The Atlantic». Hier die sechs wichtigsten Erkenntnisse aus der US-Klinik.
Die Long Covid Symptome seien ähnlich wie die einer Krankheit, die oft falsch diagnostiziert werde: Dysautonomia. Das fiel einem Rehablitationsspezialist am Mount Sinai Spital auf.
Dysautonomie ist ein Sammelbegriff für Erkrankungen, die die Funktion des autonomen Nervensystems beeinträchtigen. Dieses Nervensystem steuert Körpervorgänge, die man nicht bewusst wahrnimmt. So etwa, wie stark das Herz schlägt, der Blutdruck oder die Atemfrequenz.
In der Folge stellten die Medizinerinnen und Mediziner der US-Klinik die Hypothese auf, dass das Coronavirus unser Nervensystem durcheinander bringt und so Long Covid verursacht.
Anhand dieser These hat man untersucht, wie die Patienten auf die Behandlungen reagieren. Bei Herz- und Lungenproblemen reagierten Patienten grundsätzlich auf eine Reha, die körperlich fordert. Bei Dysautonomie wie auch bei Long Covid verschlimmere das allerdings die Erschöpfung und das Herzrasen. Deshalb funktioniert die Standard-Reha meistens nicht.
Im Mount Sinai Spital hat man festgestellt, dass die Herzen der Long Covid Patienten kleiner sind als erwartet. Das zeigten Scans. Dadurch haben ihre Herzen eine geringere Blutvolumenkapazität.
Allerdings wisse niemand, ob das Herz wegen der Krankheit schrumpft oder ob Menschen mit kleineren Herzen anfälliger auf Long Covid seien. So würden etwa die Herzen von Ausdauersportlerinnen und -sportlern schrumpfen, die plötzlich mit dem Training aufhören.
Studien hätten gezeigt, dass eine gezielte Reha das Herz vergrössern und damit die Symptome von Dysautonomie verbessern kann, heisst es im Artikel. Ein Spezialist des Mount Sinai Spital vermutet, dass dies auch für viele Long Covid Patienten gelte.
Für die Therapie griff man in der US-Klinik auf Erfahrungen mit dem Postularen Tachykardiesyndrom (Pots) zurück. Das ist eine Dysautonomie-Erkrankung mit ähnlichen Symptomen wie Long Covid.
Bei Pots passt sich der Körper der Schwerkraft nicht an. Wenn Betroffene aus einer liegenden Position aufstehen, schnellt ihr Puls hoch, sie bekommen Kopfschmerzen, werden müde und benommen und es wird ihnen übel. Long Covid Patienten schildern oft ähnliche Beschwerden.
Medikamente, Umstellung der Ernährung und ein langsames Training könne die Situation verbessern. Dabei sei eine sehr sanfte Reha wichtig, die der Patient oder die Patientin tolerieren kann, sagt ein Spezialist.
Das Behandlungs-Programm beinhalte kurze Belastungsstösse im Liegen oder Sitzen, um das Nerven- und Herz-Kreislauf-System nicht zu belasten. Ausserdem tragen Patienten und Patientinnen Kompressionskleidung, damit sich die Blutansammlungen reduziert. Weiter sei Flüssigkeitszufuhr und die Einnahme von Salz wichtig, um das Blutvolumen zu erhöhen.
Einige Patienten hätten gut auf diese Therapie reagiert, andere ertrugen selbst die kleinsten Leistungssteigerungen nicht, berichtet die Ärzteschaft aus New York.
Die Spezialistinnen und Spezialisten der US-Klinik stellten fest, dass Personen mit Long Covid flach atmen. Meistens täten sie das durch den Mund in den oberen Brustkorb, anstatt durch die Nase und tief ins Zwerchfell. Die Corona-Erkrankung habe den Atmungsvorgang verändert, wie die Medizinerinnen und Mediziner herausfanden.
Deshalb baute man ein Atmungsprogramm auf. Das besteht etwa darin, Morgens und Abends während zehn Minuten Atemübungen zu machen. Durch die gezielte Atmung durch die Nase könne ausserdem der Puls kontrolliert werden.
Viele Teilnehmende des Atmungsprogramms hätten erstmals eine Verbesserung ihrer Situation erlebt. Das erzählen Betroffene im Beitrag von «The Atlantic».
Die Fachleute der US-Klinik raten, ähnliche Krankheiten wie Long Covid in der Medizin ernster zu nehmen. Mit deren Therapie-Formen könnte man etwa die chronische Müdigkeit und Erschöpfung bekämpfen.
Das löse zwar nicht alle diversen Symptome der Betroffenen. Jedoch brächte es sie an einen Punkt, von dem an der Weg zurück in ein normales Leben beginnen könne.
Noch ist Vieles an Long Covid ein Rätsel. Die Ärzteschaft aus New York kann etwa nicht erklären, weshalb Therapieansätze bei einigen Patientinnen funktionieren und bei anderen nicht. Dazu gäbe es auch keinen Algorithmus, sagt der Rehabilitationsspezialist David Putrino gegenüber «The Atlantic». «Man muss seinem Patienten zuhören, die Symptome identifizieren, einen Weg finden, um den Schweregrad zu messen, intervenieren und beobachten, ob die Symptome verschwinden. Das ist die Art, wie Medizin sein sollte.»
In der Schweiz forschen etwa die Universitätsspitäler Zürich und Genf sowie das Kantonsspital Graubünden zu Long Covid. Auch die Politik hat das Thema aufgegriffen: Diese Woche nahm der Ständerat eine entsprechende Vorlage an. Damit beauftragt die kleine Kammer den Bundesrat, einen Bericht über die Situation von Patientinnen und Patienten mit Long Covid auszuarbeiten. Insbesondere solle er Massnahmen für die Behandlung und Therapie darlegen.
Ist keine Suggestivfrage, sondern eine Frage, welche mir am Herzen liegt:
Ein Freund von mir (30 Jahre, gesund) benötigte über ein Jahr um von einer Influenza komplett zu genesen. Sein Krankheitsbild war identisch mit Longcovid. U.a. konnte er lange nicht mehr arbeiten, weil er so müde und Unkonzentriert war. An Sport war nicht mehr zu denken etc.
Danke im Voraus.
Antworten à la „Aber COVID ist viel schlimmer..“ könnt ihr stecken lassen. Ich weiss, dass COVID für eine Gesellschaft schlimmer ist als Influenza
Apnoe wird seit längerem Untersucht. Ein Bekannter ist letzten Herbst daran mit 54 gestorben. Macht es das glaubwürdiger oder anders?
POTS kennt man seit Anfang Jahrhundert.
Punkt 5 ist allerdings wichtig. Dürfte man auch andere möglich humane Krankheiten wieder oder endlich wahrnehmen?