Schweiz
Digital

Facebook verbietet Zürcher Schwulen-Werbung und krebst dann zurück

Bild

Facebook verbietet Zürcher Schwulen-Werbung und krebst dann zurück

Das Zürcher Gesundheitszentrum für queere Menschen Checkpoint Zürich wollte zum Welt-AIDS-Tag ein Video auf Facebook bewerben, in dem sich unter anderen zwei Männer küssen. Facebook sagte nein. Zweimal. Bis sich watson einschaltete.
03.12.2019, 15:5104.12.2019, 08:07
Dennis Frasch
Folge mir
Mehr «Schweiz»

Nahaufnahme. Ein männliches Gesicht mit Bart. Der Mann schminkt sich. Schnitt. Eine blonde Frau, die ernst in die Kamera blickt. Schnitt. Zwei Männer, die sich küssen. Schnitt.

Das Video geht noch weiter, aber für die Verantwortlichen bei Facebook war an diesem Punkt wohl schon klar: Dieses Video ist nicht tragbar.

Und so verweigerte Facebook dem Checkpoint Zürich, einem Gesundheitszentrum für queere Menschen, dieses Filmchen als Werbung zu schalten. Begründung: «Das Video beinhaltet sexuelle oder anzügliche Bilder, Nacktheit und Menschen in anzüglichen Posen oder bei sexuell provokanten Handlungen».

«Wir haben leider immer wieder Probleme, Werbung bei Facebook oder Instagram zu schalten.»

Doch dann wendete sich das Blatt. watson hat bei Facebook angefragt, was die genauen Gründe für den negativen Entscheid gewesen seien. Am Abend desselben Tages war das Video freigeschaltet.

Doppelt abgelehnt

Bei dem Video handelt es sich ursprünglich um eine Promotion für eine LGBT-Gesprächsreihe, die das Zürcher Gesundheitszentrum organisiert. Es sollte anlässlich des Welt-AIDS-Tages, der am 1. Dezember stattfand, beworben werden.

«Wir haben leider immer wieder Probleme, Werbung bei Facebook oder Instagram zu schalten», sagt Bastian Baumann, Leiter von Checkpoint Zürich. Bei diesem Clip sei sich Baumann jedoch sicher gewesen, dass er angenommen werde. Weil: «Sie küssen sich nur».

Hier das Werbevideo, das für Facebook zu heikel ist:

Wären es ein Mann und eine Frau gewesen, die sich geküsst hätten, wäre die Anzeige zugelassen worden, ist sich Baumann sicher. Nach der ersten Absage wurde sogar nochmals eine Überprüfung eingeleitet. Die Antwort blieb dieselbe.

Für Baumann unverständlich: «Die Amerikaner und auch Facebook brüsten sich mit ihrer freien Meinungsäusserung, lassen politische Kampagnen mit offensichtlichen Fake-News ungeahndet und zeigen auch Videos mit expliziten Gewaltinhalten. Aber ein schwules Paar, das sich küsst, scheint die Algorithmen zu triggern».

Facebook widerspricht dieser Ansicht. Ein Sprecher sagte gegenüber watson:

«Wir haben die besagte Werbeanzeige inzwischen freigegeben. Selbstverständlich unterstützen wir diese wichtige Initiative. Wir stehen mit dem Gesundheitszentrum im Austausch, um es hinsichtlich Kampagnen auf unseren Plattformen zu beraten.»

Gemäss den Werberichtlinien von Facebook besteht eine gewisse Zeitlimite bei Kussszenen (unabhängig davon, wer sich küsst), die nicht überschritten werden darf, ansonsten verweigert das System automatisch dessen Freischaltung.

Schutz für Homo-Gegner?

Die Liste der nicht freigeschalteten Inhalte bleibt jedoch lang: Selbst ein Post, der an HIV-Positive gerichtet war, durfte nicht beworben werden. Facebooks Begründung:

«Werbeanzeigen dürfen weder direkt behaupten noch indirekt suggerieren, dass du persönliche Eigenschaften einer Person kennst. Dazu zählen: Name der Person, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung, körperliche oder geistige Behinderung, finanzieller Status und Ähnliches. Anzeigen dürfen nicht auf vermeintliche Unzulänglichkeiten hinweisen.»

Facebook würde offenbar beim Thema HIV automatisch auf sexuelle Orientierung oder körperliche beziehungsweise geistige Behinderung schliessen, meint Baumann. «Das ist natürlich Quatsch».

Baumann sieht hinter der strikten Werbe-Regelung keine Verschwörung gegenüber der LGBTIQ-Bewegung. Vielmehr glaubt er, dass es sich die weltweit agierenden sozialen Netzwerke nicht mit Menschen, Kulturen und religiösen Gruppen verscherzen wollen, bei denen Homosexualität noch ein Tabu ist.

Diese These stützt ein Video auf Twitter, das im November viral ging. Es zeigt zwei homosexuelle Männer, die gemeinsam tanzen. Weder küssen sie sich dabei noch sind sie spärlich bekleidet oder tanzen übermässig lasziv. Trotzdem bekamen User diese Meldung:

Bild
bild: zvg

Twitter stufte das Video als «sensibel» ein. User mussten bestätigen, dass sie sich dessen bewusst sind, bevor sie es schauen konnten.

Diskurs statt Anpassen

Der Checkpoint Zürich will seine Werbung weiter so produzieren, wie sie es sich gewohnt sind. «Natürlich lassen uns solche Erfahrungen frustriert zurück. Aber wir wollen uns nicht einer falschen Moralvorstellung anpassen», sagt Bastian Baumann.

Im Jahr 2019 brauche es eine klare Haltung in Sachen Homosexualität. Man würde lieber auf Diskurs setzen, statt sich den grossen Unternehmen aus dem Silicon Valley zu beugen.

Die klare Haltung könnte auch Facebook gut gebrauchen, denn obwohl das Video mittlerweile freigeschaltet wurde, bleibt ein fader Beigeschmack ob der Art und Weise, wie es dazu kam.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Sie sind schwul und das ist auch gut so
1 / 13
Sie sind homosexuell und das ist auch gut so
Jim Parsons (46), Schauspieler
quelle: ap winnk / katy winn
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Reformierte sagen Ja zur «Ehe für alle»
Video: srf
Das könnte dich auch noch interessieren:
25 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Kiro Striked
03.12.2019 16:13registriert August 2019
Homosexialität Ja bitte, aber nicht hier. Das ist so mein Lebensstandard in den letzten Paar Jahren gewesen.

Zeigt sich hier auch wieder, Kurz vor einem Skandal stehend, lenkt Facebook dann trotzdem ein, obwohl es vorher gegen Ihre Richtlinien verstossnen hatte. Komisch oder?

Wenn es gegen Richtlinien verstösst, kann man das doch angeben "Szene X verstösst gegen unsere Richtlinien weil die Darsteller Sex haben" dann kann man Szene X rausnehmen. Da es hier aber nichts so gibt, wird erstmal rumgedruckst, und dann bei Öffentlichem Interesse doch Erlaubt.

Peinlich, einfachnur peinlich.
15127
Melden
Zum Kommentar
avatar
L.G.
03.12.2019 16:46registriert Juni 2016
Immer so pseudo offen und liberal geben weil es ja im Moment so mode ist aber wenn es ernst wird kneifen, finde es zum kotzten!
Da gibt es mehr "anzüglichere" katzenvideo als die zwei von der Gesundheitzentrum.
10026
Melden
Zum Kommentar
avatar
Chris Olive
03.12.2019 16:25registriert September 2017
Es ist leider nichts neues, das sich Facebook und Instagram mit solchem Content schwer tun. Aber natürlich unterstützen sie eine solch wichtige Initiative, vorallem wenn die Medien sich bei ihnen melden.

Und das Video von FlirtyDancing ist einfach nur sowas von Zucker.
9332
Melden
Zum Kommentar
25
«Erster wirklicher Stresstest für die Schuldenbremse»: Ökonom ordnet drohendes Defizit ein
Beim Bund drohen Defizite von bis zu vier Milliarden Franken. Wie schlimm ist das? Und wie hat man in der Vergangenheit darauf reagiert? Ökonom Thomas M. Studer, der zur Geschichte der Bundesfinanzen seine Dissertation verfasst hat, gibt Auskunft.

Jahrelang schrieb der Bund Überschüsse. Jetzt drohen Defizite in Milliardenhöhe. Verglichen mit früher: Wie schlecht steht es um die Bundesfinanzen?
Thomas M. Studer:
Um das vergleichen zu können, stellt man das Defizit ins Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt (BIP). Bei jährlichen strukturellen Defiziten von 2 bis 4 Milliarden Franken, wie sie der Bund erwartet, sind das gemessen am aktuellen BIP rund 0,25 bis 0,5 Prozent. In der Schuldenkrise der 1970er-Jahre waren es bis zu 0,9 Prozent, in den 1990er-Jahren sogar bis 2 Prozent. So schlimm ist es heute noch nicht. Was die Geschichte aber zeigt: Es ist schwierig, aus einer Defizitphase herauszukommen, wenn man mal drin ist.​

Zur Story