Noch steht Markus Ritter etwas einsam da. Der Nationalrat und Bauernpräsident ist der vorerst einzige Bundesparlamentarier, der sich ernsthaft für das Bundesratsamt interessiert. Er dürfte seine Kandidatur am Dienstag offiziell bekannt geben. Seine grössten Konkurrenten haben alle schon wenige Tage nach Viola Amherds Rücktrittsankündigung abgesagt. Auch wenn noch der eine oder andere Kandidat dazukommt: Es bleibt eine vergleichsweise bescheidene Auswahl für einen der wichtigsten Jobs im Lande.
Höchste Zeit, das Rekrutierungsbecken zu erweitern – oder wenigstens darüber nachzudenken. Das jedenfalls fordert die Baselbieter Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter. «Wir sollten auch nach Kandidaturen aus der Wirtschaft Ausschau halten», sagt sie.
Schneider-Schneiter verweist dabei auf die zur Partei gehörende Arbeitsgemeinschaft Wirtschaft und Gesellschaft (AWG), einen Mitte-Verbund aus der Wirtschaft, sowie auf einzelne Manager, die Parteimitglied sind.
In der Tat finden sich unter den AWG- und Mitte-Mitgliedern ein paar Aushängeschilder der Schweizer Wirtschaftsszene. Zu ihnen gehört etwa Marco Gadola, der frühere Chef und heutige Vizepräsident beim Zahnimplantatespezialisten Straumann. Der Multiverwaltungsrat ist unter anderem Präsident des Handelskonzerns DKSH, Mitglied des obersten Strategiegremiums beim Technologieunternehmen Bühler sowie Vorstandsmitglied in der von Schneider-Schneiter präsidierten Handelskammer beider Basel. Ebenfalls Mitte-Mitglied ist Zeno Staub, der langjährige Chef bei der Bank Vontobel, der in Zürich bei den letzten eidgenössischen Wahlen erfolglos als Nationalrat kandidiert hat.
Schneider-Schneiter bringt auch den Namen von Philomena Colatrella ins Spiel. Die Chefin der CSS, gemessen an der Anzahl Grundversicherten die grösste Krankenkasse der Schweiz, ist eine der wenigen weiblichen CEOs im Lande. «Das wäre eine sehr gute Kandidatin», sagt die Mitte-Nationalrätin. Sie führe ein Unternehmen mit rund 3000 Mitarbeitenden in einem stark politisierten Umfeld.
Philomena Colatrella ist in der Tat «seit ein paar Jahren» Mitglied der Mitte, wie sie auf Anfrage festhält. Und sie hat gewisse Erfahrungen im politischen Nahkampf – etwa mit dem früheren Gesundheitsminister Alain Berset, den sie wiederholt für seinen «politisch befeuerten Reserveabbau» kritisiert hat, zuletzt etwa in einem Interview mit CH Media. Auf einen solchen Abbau folgten «brutale Nachholeffekte», sagte Colatrella. Sprich: wiederholt starke Prämienerhöhungen. Diese sind alles andere als populär – und damit eine gute Vorbereitung für die politische Arena, in der persönliche Kritik zum Alltag gehört.
Doch Colatrella will nicht: «Ich fühle mich natürlich geehrt, wenn es solche Stimmen gibt», sagt die CSS-Chefin. «Eine Bundesratskandidatur kommt für mich aber nicht infrage.» Und sie ergänzt:
Auch Zeno Staub winkt ab. «Ich habe mich aus Überzeugung verpflichtet, etwa zur Hälfte meiner Zeit Verantwortung in der Wirtschaft zu übernehmen», sagt der Ex-Banker. «So kann ich in meiner Miliztätigkeit in der Politik auch am meisten Wert stiften.» Zudem sei er als Präsident der AWG des Kantons Zürich «weiterhin motiviert».
Bundesrat zu sein, sei wohl die «interessanteste vorstellbare Tätigkeit», sagt Marco Gadola. Dennoch kommt für ihn eine Kandidatur nicht infrage. «Mir fehlt es zwar nicht am Interesse für Politik, und ich glaube, auch auf einem guten Wissensstand zu sein, was die grossen und wichtigen politischen Themen betrifft.» Aber: «Mir fehlt jegliche politische Erfahrung.»
Und Gadola ergänzt: Es wäre in etwa so, wie wenn ein talentierter und begabter Hochschulabgänger ohne «Zwischenschritt» die CEO-Rolle eines bedeutenden Unternehmens übernehmen würde. Das wäre weder im besten Interesse aller Beteiligten, noch würde es «genügend Respekt und Wertschätzung gegenüber dieser für unser Land so wichtigen Funktion zeigen».
Es ist eine indirekte Absage an Schneider-Schneiters Vorschlag, den Rekrutierungskreis für Quereinsteiger zu öffnen. Auch Politologe und Co-Leiter des Instituts GFS Bern, Lukas Golder, zeigt sich skeptisch:
Und dieses unterscheide sich in vielerlei Hinsicht von jenem, das in Unternehmen gefragt sei. Die grösste Differenz zeige sich wohl bei der Entscheidfindung: Während ein Unternehmer oder CEO einfach befehlen könne, müsse ein Bundesrat oder eine Bundesrätin «Mehrheiten zimmern».
Das Prestige ist zwar grösser beim Bundesratsamt, der Verdienst jedoch geringer. CSS-Chefin Colatrella zum Beispiel verdient heute immerhin rund 780'000 Franken, während das Bundesratssalär, das heute «nur» 477'688 Franken beträgt, deutlich tiefer liegt. Es wird zwar wie all die anderen Löhne des Bundespersonals der Teuerung angepasst, Reallohnerhöhungen gibt es jedoch keine. Zum Verdienst hinzu kommt eine Spesenpauschale von jährlich 30'000 Franken sowie nach dem Rücktritt eine lebenslange Rente, die 50 Prozent des Einkommens der amtierenden Bundesräte entspricht.
Gewählt werden die Bundesräte vom Parlament. Und dieses wählt am liebsten jemanden aus den eigenen Reihen. Kandidaturen von aussen hatten es in der Vergangenheit jedenfalls immer schwer. In den letzten fünfzig Jahren gab es nur vier Ausnahmen, wobei allesamt Frauen waren: 1993 wählte die Bundesversammlung die Stadtberner Parlamentarierin Ruth Dreifuss, um die wütenden Frauen nach der Christiane-Brunner-Nichtwahl zu besänftigen. 1999 und 2003 setzten sich die Regierungsrätinnen Ruth Metzler respektive Micheline Calmy-Rey durch – jeweils gegen eine andere Regierungsrätin. 2007 bugsierte das Parlament mit der Wahl der Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf den amtierenden Bundesrat Christoph Blocher aus der Regierung.
Auf Amherds Stuhl dürfte ein Mitglied des eidgenössischen Parlaments nachrutschen. Gut möglich, dass Schneider-Schneiter selbst Interesse anmeldet. Sie will die Frage «noch» nicht beantworten – und hält sich so weiter im Spiel. (aargauerzeitung.ch)
Behält man den jetzigen Mitte-Kurs bei oder geht der Schritt zurück in Richtung christlich-konservativ(CVP) oder hin zur Wirtschaftslobby(FDP2) oder nominiert man gar den (Subventions-)Ritter.