«Schockierend»: So hat SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi am Mittwoch auf den Bundesratsplan reagiert, die neuen EU-Verträge nur dem Volksmehr und nicht auch dem Ständemehr zu unterstellen.
Zudem listete er auf, dass die Bundesräte Elisabeth Baume-Schneider (SP) Ignazio Cassis (FDP), Beat Jans (SP) und Martin Pfister (Mitte) für das alleinige Volksmehr gestimmt hätten. Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (FDP) sowie die SVP-Bundesräte Guy Parmelin und Albert Rösti hätten sich dem widersetzt. Abstimmungen im Bundesrat sind eigentlich geheim.
Mit 4:3 Stimmen (Cassis, Jans, Pfister, Baume-Schneider gegen Keller-Sutter, Rösti, Parmelin) will der Bundesrat den Unterwerfungsvertrag, der über der Bundesverfassung stehen soll, nicht dem Ständemehr unterstellen. Schockierend, wie man unsere direkte Demokratie aushebeln will! pic.twitter.com/HNiiSB6wZ7
— Thomas Aeschi (@thomas_aeschi) April 30, 2025
Dazu stellte er einen Kommentar in der «Neuen Zürcher Zeitung». In diesem vertritt die Kommentatorin die Ansicht, das Ständemehr sei nicht nur staatspolitisch richtig und juristisch vertretbar, sondern für den Zusammenhalt des Landes nötig.
In der offiziellen Medienmitteilung spricht die SVP von einem «EU-Unterwerfungsvertrag», welcher dem Volk das Stimmrecht entziehen würde.
Mit seinem Vorgehen stelle sich der Bundesrat gegen die Schweizer Demokratie, so die SVP. Die Schweizerische Volkspartei wäre die einzige, welche den «entscheidenden Widerstand» gegen das Vorgehen des Bundesrates vorgehen würde.
Die Basler Nationalrätin Sibel Arslan begrüsst die Ankündigung des Bundesrats, die Bilateralen Verträge dem fakultativen Referendum zu unterstellen. In der Medienmitteilung der Grünen argumentiert sie, dass die Verfassung eindeutig wäre und deshalb ein obligatorisches Referendum in jenem Fall sowieso nicht vorgesehen wäre. Im gleichen Zuge kritisiert sie die SVP:
Mitte Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter (BL) hielt auf X fest, die Landesregierung setze auf Kontinuität und Kohärenz. Zudem bleibe der Spielraum für Parlament und Kantone erhalten.
Paket Schweiz-EU: Bundesrat spricht sich für fakultatives Referendum aus.
— Elisabeth Schneider-Schneiter (@Elisabeth_S_S) April 30, 2025
Damit setzt der Bundesrat ein Zeichen der politischen Kontinuität und Kohärenz und wahrt den Handlungsspielraum für Parlament und Kantone. https://t.co/Wi4rS5t1jq
Alle bisherigen Verträge mit der EU waren in der Schweiz bei der eidgenössischen Abstimmung lediglich dem Volksmehr unterstellt: Das hält SP-Aussenpolitiker und Nationalrat Eric Nussbaumer fest. Die Behauptung, ein Ständemehr sei nötig, sei eine «Erfindung der Gegner.»
Im Luftverkehrsabkommen und im Schengen/Dublin-Assoziierungsvertrag habe sich das Volk bereits zweimal für die dynamische Rechtsentwicklung mit den EU-Gesetzen entschieden, schrieb der Baselbieter am Mittwoch auf dem Kurznachrichtenportal X.
Beide Entscheide hätten dem fakultativen Referendum unterstanden. Das geforderte Ständemehr sei lediglich ein Manöver der Gegnerschaft, um die Vetragsanpassungen demokratisch zu erschweren. Die von den Gegnern beschworene vermeintliche Wichtigkeit der neuen EU-Verträge sei kein Kriterium, das jenseits der Kampagnenlogik greifen würde.
Wäre es verfassungsmässig klar, dass die Verträge dem obligatorischen Referendum unterstehen würden, wäre zudem die Kompass-Initiative für ein solches Referendum mit Volks- und Ständemehr überflüssig.
Sehr logisch. 👏
— Eric Nussbaumer (@enussbi) April 30, 2025
Wenn das fakultative Referendum bei der Annahme der dynamischen Rechtsentwicklung des Luftverkehrsabkommen und beim Assoziierungsvertrag Schengen Dublin galt, dann gilt es auch jetzt! 🇨🇭🇪🇺 braucht Stabilität. #ZukunftSchweiz https://t.co/K4uod1XEa5
Für die grünliberale Partei schrieb Fraktionspräsidentin und Nationalrätin Corina Gredig (ZH) auf X, der Bundesrat halte Kurs, und das sei richtig. Das fakultative Referendum wahre die Linie der bisherigen Europapolitik. Ein sachlicher Entscheid im Interesse von Sicherheit, Wohlstand und Verlässlichkeit sei gefragt.
Der Bundesrat hält Kurs – das ist richtig so. Die Unterstellung des EU-Pakets unter das fakultative Referendum wahrt die Linie der bisherigen Europapolitik. Ein sachlicher Entscheid im Interesse von Sicherheit, Wohlstand und Verlässlichkeit. #Bilaterale
— Corina Gredig (@corinagredig) April 30, 2025
Mit einem Volks- und Ständemehr zu den EU-Verträgen vorausschauend Rechtssicherheit schaffen: Das fordert das Komitee, das vor gut einem halben Jahr die Kompass-Initiative lanciert hat. Die Initiative könnte noch im Sommer eingereicht werden.
Durch die Initiative soll eine Klausel sicherstellen, dass Volk und Stände über die neuen EU-Verträge, über die möglicherweise vor der Initiative abgestimmt wird, entscheiden können. Für völkerrechtliche Verträge und Gesetze, die in Kraft sind, wenn die Initiative an der Urne angenommen wird, soll dagegen eine Bestandesgarantie gelten.
Vor den Medien machten die Initiantinnen und Initianten schon am gestrigen Dienstag in Bern Druck für das Ständemehr: Unter der Voraussetzung, dass sich Bundesrat und Parlament für das doppelte Ja zu den EU-Verträgen einsetzen und Volk und Stände dieses annehmen, sind sie zum Rückzug ihres Begehrens bereit.
Getragen wird die Initiative von Vertreterinnen und Vertretern von Schweizer Unternehmen. Auch Parlamentsmitglieder aus FDP und SVP sowie Ski-Legende Bernhard Russi, der vom Deutschschweizer Fernsehen SRF bekannte Kurt Aeschbacher und «Nebelspalter»-Chefredaktor und -Verleger Markus Somm sind mit dabei.
Das Bundesamt für Justiz (BJ) war 2024 in einer Analyse zum Schluss gekommen, dass gemäss Verfassung die EU-Verträge nicht dem obligatorischen Referendum und damit dem Volks- und Ständemehr unterstellt werden können, auch nicht ausnahmsweise. Es handle sich um eine juristische, nicht um eine politische Einschätzung, hielt das BJ damals fest. Die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates (APK-N) hält ein obligatorisches Referendum aufgrund der Verfassung für nicht möglich. (les)