Das internationale antiautoritäre Treffen hat am Mittwoch in Saint-Imier BE begonnen. Das Organisationsteam erwartete bis am Sonntag mehrere Tausend Anarchistinnen und Anarchisten aus der ganzen Welt. Die Gemeinde im Berner Jura galt als Wiege dieser Bewegung.
Hunderte von antiautoritären Personen reisten am Mittwochmorgen friedlich in die bernjurassische Gemeinde, die rund 5200 Einwohnerinnen und Einwohner zählt. Als Anlass für das Treffen diente der Jahrestag des Kongresses von Saint-Imier, auf dem 1872 die antiautoritäre Internationale gegründet wurde. Dieses Ereignis steht für die Geburtsstunde der anarchistischen Bewegung.
Während fünf Tagen konnten die Anarchistinnen und Anarchisten Workshops oder Vorträge besuchen. Zudem wurden eine Buchmesse und ein anarchistisches Radio eingerichtet. Ebenfalls Filme und Konzerte standen auf dem Programm.
Den Teilnehmenden ging es vor allem darum, Ideen auszutauschen, Kämpfe bekannt zu machen, Beziehungen zu festigen und andere davon zu überzeugen, sich der Bewegung anzuschliessen. «Die antiautoritäre Vision bringt uns zusammen», betonte das Organisationskomitee.
In Gruppen zogen Hunderte von jungen Personen, die sich zur anarchistischen Bewegung bekannten, durch Saint-Imier, oft mit einer Karte in der Hand. Meist schwarz gekleidet, waren diese etwas speziellen Reisende nicht zu übersehen.
Wanderinnen, Velofahrer und Anarchistinnen mit Gepäck waren im bernjurassischen Städtli anzutreffen. Dutzende von Zelten waren auf einem dafür eingerichteten Campingplatz aufgestellt, was der Veranstaltung einen Festivalcharakter verlieh.
Zwei Küchen und vier Bars mit alkoholfreien Getränken boten ihre Ware zu einem freien Preis, der von der Käuferschaft bestimmt wurde, in der ganzen Gemeinde an. Auch eine Kinderbetreuung stand zur Verfügung. Die Kosten für die Veranstaltung beliefen sich auf rund 200'000 Franken. Der Austausch fand hauptsächlich auf englisch statt, aber auch andere Sprachen wie Französisch, Deutsch, Italienisch oder Spanisch waren zu hören.
Das Treffen sollte der Ideologie, die sich gegen jede zentralistische und autoritäre Macht wendet, eine neue Sichtbarkeit verleihen. Anarchie bedeute nicht Chaos und fehlende Ordnung, betonten die Veranstalterinnen und Veranstalter. Die Bewegung befürworte eine «antiautoritäre persönliche und soziale Organisation».
«Wir erwarten zwischen 2500 und 4000 Personen», sagte ein Mitglied des Organisationskomitees einige Tage vor der Veranstaltung, «da wir keine Anmeldung verlangen, wissen wir nicht, wie viele es genau sein werden.» Das Kollektiv stellte eine Anforderung: Respekt und friedliches Verhalten.
Die Gemeinde bereitete sich seit Monaten auf eine Veranstaltung dieser Grössenordnung vor. Die städtischen Gebäude, die gemietet werden konnten, wie die Eisbahn oder die Mehrzweckhalle, wurden zur Verfügung gestellt. Die Veranstaltung sollte auch der Wirtschaft zugute kommen.
Mit dem Treffen in St-Imier erinnern die Anarchisten an ein Ereignis der Zeitgeschichte: Im bernjurassischen Städtchen wurde im September 1872 die Antiautoritäre Internationale ins Leben gerufen. Das 150-Jahr-Jubiläum sollte 2022 gefeiert werden, wurde aber wegen der Corona-Pandemie um ein Jahr verschoben.
Das Treffen von 1872 war eine Folge eines Richtungsstreits in der Arbeiterbewegung. Karl Marx und seine Anhänger strebten eine zentrale Führung an, anders als der russische Revolutionär Michail Bakunin. Mit 14 Gleichgesinnten aus Europa und den USA gründete Bakunin in St-Imier die Antiautoritäre Internationale.
Der Berner Jura mit seiner gebeutelten Uhrenindustrie war damals offen für die Theorien des Anarchismus. Das meiste geriet im Lauf der Zeit in Vergessenheit. Bis heute erhalten blieb immerhin das Gebäude, in dem einst der Kongress stattfand – und seit 2017 gibt es sogar eine «Rue Bakounine». (sda)
Wieso galt?
Ich denke sie gilt immer noch dafür, deshalb ist ja das Treffen dort.