Wieder neigt sich ein Jahr dem Ende entgegen. Es war keines, auf das man mit freudigem Gefühl zurückblickt. Einmal mehr bin ich im Homeoffice, während ich diese Zeilen schreibe. Dabei hofften wir zu Jahresbeginn, dass wir die Corona-Pandemie dank den Impfstoffen endlich hinter uns lassen könnten. Dann zeigte sich, dass der Optimismus voreilig war.
Mit Alpha und Delta entwickelten sich neue, ansteckendere Varianten des Coronavirus. Sie setzten die Spitalsysteme erneut unter Stress. Und nun ist Omikron aufgetaucht. Noch weiss man wenig über die «Super-Mutante». Es gibt gewisse Anzeichen, dass die Omikron-Welle heftig, aber auch kurz verlaufen und zum Übergang in die Endemie verhelfen könnte.
Aber wie gesagt, man sollte sich nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre vor zu grossem Optimismus hüten. Gerade die Schweiz mit ihrer tiefen Impfquote und dem bedenklich lahmen Booster-Tempo bleibt in einem höheren Masse gefährdet. Und einmal mehr muss man sich eingestehen: Am Ende ist die Natur immer stärker als der Mensch.
Was brachte 2021 sonst noch, ausser der Endlos-Pandemie? Nicht viel Gutes.
Das Jahr begann mit Szenen, die man sich zuvor nicht einmal in einem B-Movie vorstellen konnte. Am Dreikönigstag stürmte ein enthemmter Mob von Trump-Anhängern das Kapitol in Washington. Er wollte die endgültige Bestätigung des Wahlsiegs von Joe Biden im Kongress verhindern, mit dem stillschweigenden Plazet von Noch-Präsident Donald Trump.
Der «Staatsstreich» scheiterte und Biden konnte als rechtmässiger Präsident vereidigt werden. Bis heute aber hält Trump eisern an der Lüge fest, der Wahlsieg sei ihm gestohlen worden, mit freundlicher Unterstützung seiner Hofschranzen bei Fox News. Noch schlimmer ist, dass die Republikaner ihm dabei folgen, obwohl sie es eigentlich besser wissen.
Wirklich schlimm aber ist, dass sie das Fundament der amerikanischen Demokratie zunehmend aushöhlen und das Wahlrecht mit diversen Machenschaften so zurechtbiegen, dass sie an der Macht bleiben können, wenn sie nur von einer Minderheit gewählt werden. Wenn aber die Fackel der Freiheitsstatue erlischt, wird es finster auf dem Planeten.
Dabei war es um die liberale Demokratie, die sich vor 30 Jahren auf einem unaufhaltsamen Siegeszug zu befinden schien, in diesem Jahr ohnehin schlecht bestellt. Laut einer viel beachteten Studie der NGO Freedom House ist das «Demokratie-Saldo» seit 2005 negativ. Das heisst, dass die Freiheitsrechte in mehr Ländern ab- statt ausgebaut werden.
Ein besonders übles Beispiel von 2021 ist Myanmar, wo das Militär das Ergebnis einer demokratischen Wahl nicht akzeptieren wollte und sich an die Macht (zurück) geputscht hat. In Sudan geschah Ähnliches, dort ist die Lage seither fragil. Äthiopien, vor wenigen Jahren noch ein Hoffnungsträger in Afrika, versackt in einem mörderischen Bürgerkrieg.
Wenn die Demokratien schwächeln, trumpfen autokratische Regime auf. Das trifft besonders auf China zu, das nach aussen immer aggressiver agiert und mit der «Rückeroberung» von Taiwan droht. In Hongkong, nach der Rückgabe an China lange eine Insel der (relativen) Freiheit, hat Peking das vertraglich garantierte Konzept «Ein Land, zwei Systeme» ausradiert.
Wladimir Putin kann da nicht zurückstehen. Er unterdrückt rigoros, was von der russischen Opposition übrig geblieben ist. Zum Jahresende zog er Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen und schürte die Angst vor einer Invasion. Sein «Vasall», der belarussische Diktator Alexander Lukaschenko, verwendet Migranten als «Waffe» gegen die Europäische Union.
Die westlichen Demokratien wirken in solchen Fällen häufig überfordert. Nirgends zeigte sich dies 2021 so deutlich wie in Afghanistan. Dort geschah, was niemals wieder hätte geschehen sollen: Die Taliban übernahmen 20 Jahre nach ihrer Vertreibung weitgehend kampflos die Macht in Kabul und machten eine jahrelange, mühsame Aufbauarbeit zunichte.
Das ist nicht nur eine Tragödie vor allem für die Frauen und Mädchen, deren hart errungenen Rechte nichts mehr wert sind. Afghanistan zeigte auch schonungslos die Grenzen einer «Demokratisierung von oben». Die mit viel Geld und Aufwand trainierte und ausgerüstete afghanische Armee rannte einfach davon und überliess ihre Waffen den Taliban.
Einigen westlichen «Falken» fiel nichts besseres ein, als eine Art Dolchstosslegende zu konstruieren. Demnach hätten ein paar Tausend westliche Soldaten genügt, um die Taliban zu stoppen. Mit der Realität vor Ort hatte das nichts zu tun. Jetzt wird das durch Dürre und Hunger bedrohte Land von einer Bande inkompetenter Koranschüler «regiert».
Die afghanische Tragödie war der Tiefpunkt dieses Jahres. Gibt es auch Lichtblicke? Es sind nicht viele, aber es gibt sie. Beeindruckend etwa war, wie reibungslos Deutschland den Übergang von der Ära Merkel zur neuen Ampel-Regierung vollzogen hat. Das zeigt die demokratische Reife eines Landes, das im 20. Jahrhundert so viel Leid verursacht hatte.
Erwähnen könnte man auch die Präsidentenwahl in Chile vor einigen Tagen oder den Besuch eines israelischen Ministerpräsidenten in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Israel ist überhaupt ein interessanter Fall: Dort gelang es einer eigentlich «inkompatiblen» Koalition, den Langzeit-Regierungschef Benjamin Netanjahu aus dem Amt zu kegeln.
Dieses «Experiment» könnte der bedrängten Demokratie neue Impulse verleihen. In Ungarn wird die Opposition im nächsten Frühjahr mit dem gleichen Rezept versuchen, den Quasi-Autokraten Viktor Orban zu besiegen. Positiv ist der Trend auch in Italien, das mit Regierungschef Mario Draghi aus seiner langen Stagnation zu erwachen scheint.
Und die «Musterdemokratie» Schweiz? Sie hat sich von ihrer negativen und ihrer positiven Seite gezeigt. Ein Tiefschlag war das Nein zum CO2-Gesetz im Juni. Ausgerechnet die reiche Schweiz hat die Botschaft vermittelt, dass Klimaschutz möglichst nichts kosten soll. Es hilft wenig, dass dies zum durchzogenen Ergebnis des Glasgower Klimagipfels passt.
Ein erfreuliches Signal war hingegen das zweifache Ja zum Covid-19-Gesetz. Vor allem der Abstimmungskampf im November war von den Impf- und Massnahmengegnern zu einer «Schicksalsfrage» hochstilisiert und mit enormem Aufwand betrieben worden. Die Mehrheit der Geimpften aber erteilte ihnen eine klare Antwort mit sehr hoher Stimmbeteiligung.
Seither wirkt das Nein-Lager wie von der Rolle. Die «Freunde der Verfassung» sind in einen Machtkampf verstrickt, dem Verein «Mass-voll» laufen die Mitglieder davon. An einer Demo in Bern am 18. Dezember gegen die 2G-Regel, einen faktischen Lockdown für Ungeimpfte, nahmen vielleicht 300 Personen teil. Von den «Freiheitstrychlern» war nichts zu sehen.
Während sich «Querdenker» und Konsorten in Deutschland oder Österreich immer radikaler gebärden und von Mordkomplotten die Rede ist, hat eine Volksabstimmung in der Schweiz dem gleichen Lager den Stecker gezogen. Das kann sich ändern, aber es zeigt die Kraft der Demokratie. Und sorgt für das versöhnliche Ende eines trüben Jahres.
Prost! 🥂🍻