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Atombombe: Die Waffe, die uns irre macht

Schreckliche Explosion einer Atombombe mit einem Pilz in der Wüste. Wasserstoffbombentest. Nukleare Katastrophe. Kernpilz. Dritter Weltkrieg *** Terrible Explosion a Atomic bomb with a Pilz in the Des ...
Bild: www.imago-images.de
Analyse

Die Waffe, die uns irre macht

Atombombe, Atombombe, Atombombe: Ob Israels Schlag gegen den Iran, die Attacken auf Russlands Flugzeuge oder das SPD-Manifest – wie Nuklearwaffen das Denken dominieren.
14.06.2025, 20:5614.06.2025, 20:56
Bernd Ulrich / Zeit Online
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Ein Artikel von
Zeit Online

Atombomben sind die tödlichsten Waffen der Welt, schon das Sprechen über sie ist brisant. Zugleich sind sie denkbar einfache Waffen: schwarz oder weiss, eins oder null, alles oder nichts. Und weil sie das sind, sind sie zugleich philosophische Waffen, existenziell und grundsätzlich, und haben dann doch wieder feine logische Verästelungen.

Nehmen wir zwei aktuelle Beispiele. Der Iran versucht seit vielen Jahren, atombombenfähig zu werden, vor allem, um einer möglichen Invasion etwa durch die USA zuvorzukommen, wie sie der Irak erleben musste. Seit einiger Zeit muss der diplomatische Grossversuch als gescheitert gelten, dieses Streben einzuhegen und den Iran in einem Sicherheitsabstand zur Nuklearfähigkeit zu halten. Darum war und ist es eine Frage der Zeit, bis Israel (zusammen mit den USA) versuchen wird, diesen Sicherheitsabstand militärisch wiederherzustellen: durch Zerstörung oder zumindest Beschädigung der iranischen Atomanlagen. So führt das Streben Teherans nach einer Atombombe zum Zwecke der Abschreckung amerikanischer oder israelischer Angriffe geradewegs zu israelischen und amerikanischen Angriffen. Hier wäre nun das erste Paradox der Atombomben-Logik: Solange man die Waffe nicht hat, sondern nur will, erreicht sie das Gegenteil dessen, was man beabsichtigt.

Doch auch wenn der Iran eine Atombombe schon besässe und damit Israel bedrohen würde, um eigene politische Ziele zu erreichen, so würde diese Logik nur dann funktionieren, wenn sie zugleich komplett irre wäre. Denn der Einsatz einer Atombombe gegen Israel würde selbst dann zu einem massiven nuklearen Gegenschlag führen, wenn es Israel anschliessend gar nicht mehr gäbe, weil Israel – unter anderem dank deutscher Hilfe – über Atom-U-Boote verfügt, die den Iran pulverisieren könnten. Und die der Iran nicht präventiv zu zerstören vermöchte.

Daraus ergibt sich ein weiteres Paradox und zugleich die Überleitung zum zweiten aktuellen Beispiel. In Wirklichkeit funktioniert die Logik nuklearer Abschreckung umso besser, je irrer eine Regierung ist, genug zumindest, um die völlige Zerstörung des eigenen Landes in Kauf zu nehmen. Beziehungsweise, und das ist wichtig: Wenn die Regierung von ihren Gegnern für irre genug gehalten wird.

Womit wir bei Wladimir Putin wären. Und bei der SPD. Das kürzlich veröffentlichte Manifest von etwa 100 linken SPD-Mitgliedern verlangt mehr diplomatische Bemühungen und weniger Aufrüstung im Konflikt mit Putin. Auf den ersten Blick ist das völlig absurd, weil allen voran der amerikanische Präsident unentwegt duz-diplomatische Gespräche mit Putin führt, nur eben: vergebens. Tatsächlich verdankt sich das «Manifest» keineswegs irgendwelcher von allen anderen als den SPD-Linken übersehenen diplomatischen Potenzialen, sondern: der Atombombe. Und einer Annahme über Putin.

Wie das funktioniert? So: Kürzlich hat der SPD-Fraktionsvorsitzende Matthias Miersch bei Markus Lanz laut geraunt, er denke nicht, dass Bundeskanzler Friedrich Merz Taurus-Raketen in die Ukraine liefern werde, wenn er erstmal alle geheimen Informationen studiert habe, die schon Olaf Scholz dazu bewegt habe, dem Land diese Marschflugkörper nicht zu geben. Was genau damit gemeint war, konnte Miersch nicht sagen, wegen geheim, musste es aber auch nicht, weil jeder sofort verstand: Putin droht Deutschland atomar, wenn Taurus geliefert werden.

Die Bombe schreibt Manifeste mit

Wenn man das aber denkt, wie es die Manifesteure offenbar tun, dann steht «verstärkte diplomatische Bemühungen» für: «Lieber eine Niederlage der Ukraine als ein erhöhtes nukleares Risiko für Deutschland und Europa» Man sieht: Die Atombombe ist nicht nur eine philosophische Waffe, sie schreibt auch Manifeste mit.

Allerdings setzt all das auch wieder voraus, dass Putin irre genug ist, um für die Eroberung oder Zerschlagung der Ukraine eine nukleare Eskalation zu riskieren, an dessen Ende – das bei einem Atomkrieg mit der Nato schon nach wenigen Stunden besiegelt wäre – es kein Russland mehr gäbe.

Das wiederum führt in weitere nukleare Paradoxien, diesmal auf dem Feld der Kommunikation über Atomwaffen. Das einzige Mittel des Westens gegen Putins Signal, er sei irre genug, für einen relativ kleinen imperialen Gewinn die Vernichtung Russlands (und der Welt) zu riskieren, besteht darin, darauf möglichst nicht zu reagieren und dadurch zu signalisieren: Wir glauben dir nicht, dass du so irre bist, Wladimir, sorry. Und das unabhängig von der Frage, für wie irre man Putin tatsächlich hält. Denn jede westliche Lebensäusserung, die sich ohne den heimlichen Glauben an Putins nukleares Irrsinnspotenzial nicht erklären lässt, verschafft seinem Atombombenarsenal politische Wirkung. Das gilt für verschwiemelte Manifeste ebenso wie für geraunte Bemerkungen in Talkshows. 

Die Regierung der Ukraine weiss das alles und versucht immer wieder den Gegenbeweis zu erbringen, etwa so: Seht her, wir greifen die Russen sogar auf ihrem eigenen Territorium an – und sie wagen doch nichts Nukleares. Schaut doch: Wir zerstören sogar einen Teil ihrer atomaren Bomberflotte – und sie riskieren wieder nichts Nukleares.

Es ist eine teuflische, atomare Dialektik. Jedes relevante Zurückweichen vor der atomaren Drohung setzt die Ukraine unter Druck, die Hohlheit dieser Drohung durch neue Provokationen zu beweisen. Was auch hier wiederum zum Gegenteil des Beabsichtigten führen könnte: Nämlich dazu, dass Putin sich irgendwann genötigt sehen könnte, das politische Potenzial seines Atomarsenals in Kombination mit seiner eigenen vernunftlogischen Verrücktheit neu zu beweisen.

Das könnte er beispielsweise tun, indem er eine taktische Nuklearwaffe über der Ostsee zündet und zugleich darauf setzt, dass der Westen nicht verrückt genug ist, mit strategischen Atomwaffen zu eskalieren und damit den nächsten Schritt zur Vernichtung der Menschheit zu gehen.

Verschmelzung von Irrsinn und Logik

Nukleare Waffen sind verheerende Waffen, die dazu da sind, ihren Einsatz zu verhindern, die aber, selbst wenn sie nicht eingesetzt werden, gewaltige Wirkung entfalten. Zum Beispiel die völlige Verschmelzung von Irrsinn und Logik. Oder dadurch, dass sie zu verdeckten Diskursen und unheimlichen Signalen führen, zu einer neurotisierten öffentlichen Debatte, was wiederum den Grossmeistern des politischen Irrsinns, den rechten und linken Populisten Nahrung gibt.

Jetzt auf

Zu diesen Auswirkungen zählt auch, dass atomare Bewaffnung die Menschheit unweigerlich an die logisch daherkommende Möglichkeit des Suizids der Menschheit gewöhnt. Wie sich das alles auf andere suizidale Tendenzen ebendieser Menschheit auswirkt, insbesondere auf die ökologische Selbstzerstörung, weiss man nicht genau. Aber irgendeine Wirkung wird es schon haben. Keine gute.

Irgendwo steht ein Klavier, das nur schwarze Tasten hat. Darauf wird gerade wieder wild und düster gespielt. Man möchte schreien. Sollte es vielleicht auch.

Dieser Artikel wurde zuerst auf Zeit Online veröffentlicht. Watson hat eventuell Überschriften und Zwischenüberschriften verändert. Hier geht’s zum Original.

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137 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Korrektorat
14.06.2025 21:31registriert Januar 2025
Der Kern der Sache wird in diesem Artikel sauber aufgezeigt.
All die selbsternannten Pazifisten, in Wahrheit eher naive Ängstlinge, müssten sich einmal fragen:
Warum hat die doch so gefürchtete Eskalation nach über 3 Jahren Krieg mit empfindlichen Schlägen der Ukraine, auch auf russischem Gebiet, mit vom Westen gelieferten Schweren Waffen und Langstreckenraketen, keine Eskalation Putins hervorgerufen?
Weil er es nicht kann!
Also fertig mit Kopf in den Sand stecken und endlich damit anfangen konsequent für den Frieden einzustehen! Wie damals beim Österreicher, den Putin heuer kopieren will.
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Psychohirngrütze
14.06.2025 21:32registriert Mai 2025
Seit die Amerikaner damals 2 A-Bomben, auf Japan geschossen haben, weiss man ganz genau, wohin das führt. Auch von Tschernobyl weiss man, wie lange danach, die Strahlung anhält. Also stellt man sich nur vor, was für A-Bomben es heute gibt. 1000 x stärker und das würde das Ende unserer schönen Welt bedeuten. Die Folge, ein nuklearer Winter kommt und kein Licht dringt mehr durch. Wollen diese Atom-Länder, das wirklich riskieren? Haben Sie schon einen Ersatz-Planeten gefunden, der die Crème da la Crème der Elite in einer Arche Noah überleben lässt? Ich gehe dann bestimmt nicht, in einen Bunker
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Erwin71
15.06.2025 00:40registriert Juni 2019
Warum soll ich mich irre machen. Entweder knallts oder nicht und solange geniesse ich das Leben, nützt nichts sich halb verrücht machen.
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