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Interview

«Wir brauchen die Gentechnologie, um nachhaltiger zu werden»

Interview

«Wir brauchen die Gentechnologie, um nachhaltiger zu werden»

Heute Donnerstag entscheidet der Nationalrat, ob das Gentech-Moratorium um weitere vier Jahre verlängert werden soll. Eva Reinhard, Leiterin des landwirtschaftlichen Forschungsinstituts Agroscope, plädiert dezidiert für eine Aufhebung – und warnt vor einem wissenschaftlichen Rückschritt.
24.09.2021, 14:12
Chiara Stäheli / ch media
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Eva Reinhard leitet seit April 2018 das landwirtschaftliche Forschungsinstitut Agroscope. Im Gespräch erklärt die 60-Jährige, weshalb die Politik die Wichtigkeit der Gentechnologie für eine nachhaltigere Landwirtschaft noch immer verkennt und wie die Forschenden dagegen anzukämpfen versuchen.

Eva Reinhard, Leiterin der Forschungsanstalt Agroscope.
Eva Reinhard, Leiterin der Forschungsanstalt Agroscope.Bild: pd

Frau Reinhard, wann haben Sie zuletzt etwas gegessen, das aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt wurde?
Eva Reinhard:
Ich weiss es nicht. Neuste gentechnisch veränderte Produkte aus dem Ausland sind in der Schweiz nicht immer deklariert. Neue Züchtungsmethoden fallen bei uns und in Europa unter das Gentechnikgesetz, nicht aber in Amerika, Australien, Kanada oder Japan. Entsprechend werden solche Produkte auch nicht deklariert. Wenn wir in den Supermarkt gehen, wissen wir bei ausländischer Ware also nicht, ob diese mit einer neuen Züchtungsmethode produziert wurde oder nicht.

Das Parlament will das Moratorium für genetisch veränderte Organismen verlängern. Eine gute Idee?
Nein. Die Aufhebung des Moratoriums wäre eine Chance in vielerlei Hinsicht: Einerseits für die Landwirtschaft, die unter grossem Druck ist und nachhaltiger werden will. Neue Sorten könnten die Nachhaltigkeit stark verbessern. Andererseits würde die Züchtung einen Boost erhalten – und die Schweiz könnte als Forschungsstandort international gewinnen. Und das Wichtigste: Mensch und Umwelt könnten profitieren.

Inwiefern?
Mit den neuen Züchtungsmethoden gelingt es uns, nachhaltigere Sorten zu produzieren. Und im Ausland werden bereits jetzt Sorten entwickelt, die sich positiv auf die Gesundheit der Menschen auswirken können.

Haben Sie ein Beispiel dafür?
Da gibt es beispielsweise ganz neu in Japan die GABA-Tomaten. Diese enthalten besonders viel GABA, einen natürlichen Neurotransmitter. In der Pflanze steigert dieser die Abwehr gegen Schädlinge. Im Menschen wirkt er beruhigend und kann nach dem Essen der Tomate den Blutdruck senken.

Muss sich der Konsument Sorgen machen, wenn er einen gentechnisch veränderten Apfel isst?
Nein. Zwischen einem konventionell angebauten Apfel und einem, der gentechnisch verändert, geprüft und offiziell zugelassen wurde, konnten bisher keine toxikologisch relevanten Unterschiede gefunden werden. Wenn der Apfel in der Schweiz im Supermarkt angeboten wird, muss man sich also ganz sicher keine Sorgen machen.

Woher rührt dann die Skepsis?
Die Ängste der Bevölkerung beziehen sich meist auf die erste Generation gentechnisch veränderter Pflanzen – obschon auch diese viel weniger risikobehaftet waren, als dargestellt wurde. Die Methoden, die damals angewendet wurden, sind aber nicht mehr vergleichbar mit dem, was heute – 30 Jahre später – in der Züchtung passiert. Die Technologien sind heute noch sehr viel präziser und spezifischer.

Der Bundesrat argumentiert, die Forschung sei noch nicht so weit, um das Moratorium aufzuheben ...
Das sehe ich anders. Obwohl: Eine Wissenschafterin würde aufgrund ihrer Berufsethik kaum je sagen, dass etwas zu 100 Prozent sicher ist. Bereits das Nationale Forschungsprogramm NFP59 hat gezeigt, dass eine gentechnisch veränderte Pflanze nicht risikoreicher ist als eine herkömmlich gezüchtete Pflanze. Und das war vor fast zehn Jahren! Seither sind Tausende weiterer Studien und Publikationen veröffentlicht worden. Alle stellen fest, dass gentechnisch veränderte Pflanzen, die geprüft und zugelassen sind, keine negativen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben.

Seit der Volksabstimmung 2005 wurde das Moratorium bereits drei Mal vom Parlament verlängert. Weshalb?
Die Wissenschaft stand den mehrfachen Verlängerungen immer kritisch gegenüber. Lange herrschte in der Öffentlichkeit die Meinung, dass man diese Technologie gar nicht brauche. Nun ändert sich jedoch das Bewusstsein. Wir brauchen die Gentechnologie, wenn wir zeitnah nachhaltiger werden wollen. Einzelne Bauern, Branchenverbände oder auch IP Suisse äussern sich öffentlich bereits positiv gegenüber den neuen Züchtungsmethoden.

Und die Bevölkerung?
Gerade diesen Sommer zeigte eine Studie der ETH Zürich, dass die Bevölkerung bei der Auswahl zwischen Pflanzenschutzmitteln, herkömmlicher Gentechnologie mit dem Einsetzen eines Fremdgens oder der Veränderung des Genoms mit neuen Züchtungsmethoden eindeutig der Gentechnologie den Vorzug gibt, um den Ertrag zu sichern. Die Deutlichkeit hat mich überrascht. Das sind positive Zeichen. Es wäre schön, wenn diese auch von der Politik aufgenommen würden. Denn es ist doch erstaunlich, dass das Parlament eine Methode wie die Genschere CRISPR/Cas, für den die Erfinder einen Nobelpreis erhielten, der Schweizer Züchtung und der Schweizer Landwirtschaft vorenthalten will.

Wo können gentechnisch veränderte Pflanzen in der Schweiz eingesetzt werden?
Ein Beispiel ist die Zuckerrübe: Diese hat seit einigen Jahren so stark mit Virus- und Pilzerkrankungen zu kämpfen, dass der gesamte Anbau in der Schweiz in Gefahr ist. Da hätte man mit der Gentechnologie relativ schnell eine resistente oder robuste Pflanze entwickelt, die massiv weniger gespritzt werden müsste. Eine andere Möglichkeit sehe ich bei den Kartoffeln. Wir haben bereits Versuche gemacht mit Kartoffeln, die resistent sind gegen die Krautfäule.

Diese hätten riesiges Potenzial in der Schweiz. Man muss sie kaum mehr mit Pflanzenschutzmitteln behandeln, was ein grosser Nachhaltigkeitsvorteil ist. Heute spritzt ein Kartoffelbauer seine Felder sieben, acht Mal oder noch mehr pro Saison und muss zudem mit Ertragsverlusten rechnen. All das kann verhindert werden, wenn die Politik das Moratorium aufhebt. Und wenn man weiterdenkt:

Auch wir werden in der Schweizer Landwirtschaft künftig Probleme haben mit Hitze und Trockenheit. Mit den neuen Züchtungstechnologien kann man besser Sorten züchten, die auch unter solchen Bedingungen wachsen und gedeihen.

Sollen wir in der Landwirtschaft nur noch auf Gentechnologie setzen?
Nein, auch klassische Züchtung, andere Techniken und neue Anbaumethoden sind wichtig. Aber es ist eine Möglichkeit, um zeitnah nachhaltigere Pflanzen zu entwickeln. In der Kombination mit anderen Methoden – zum Beispiel der biologischen Produktion – wäre das optimal.

Die Linken wollen das Moratorium ebenfalls verlängern. Gleichzeitig aber auch den Pestizideinsatz verringern. Wie geht das zusammen?
Das kann ich nicht erklären. Vielleicht ist es vielen Politikerinnen und Politikern nicht bewusst, welche enormen Entwicklungen es in den letzten dreissig Jahren im Bereich der Gentechnologie gegeben hat.

Welche Auswirkungen hat die Verlängerung des Moratoriums auf Ihre Forschung?
Wichtig ist zu verstehen, dass die Vorlage, über die das Parlament entscheidet, nicht einfach eine Weiterführung des Bisherigen ist. Bei einer Annahme wird die geltende Praxis sogar verschärft und das Rad zurückgedreht. Diese Änderungen würden nicht nur die neuen Züchtungstechnologien betreffen, sondern auch die Weiterentwicklung der bisher vom Gentechnikgesetz ausgenommenen Mutationszüchtung.

Die Methoden, welche uns dann noch zur Verfügung stünden, sind definitiv ein Rückschritt in die Vergangenheit.

Unsere Züchtungsforschung wird damit eingefroren. Das ist schwer verständlich. Besonders jetzt, wo der Nutzen der neuen Züchtungsmethoden international immer deutlicher wird. Heute schon werden uns für Versuche, welche vor zwei Jahren noch nicht in Frage standen, grosse administrative Hürden in den Weg gelegt. Da hat das Bundesamt für Umwelt seine Vorgehensweise geändert. Das ist schade! Und noch was.

Bitte.
Seit das Moratorium 2018 verlängert worden ist, ist nichts geschehen. Die Bundesämter müssen das Thema nun endlich anpacken, damit wir in vier Jahren nicht immer noch am gleichen Ort stehen.

Sie rechnen also nicht mit der Aufhebung des Moratoriums?
Nein, leider sieht es nicht danach aus. Aber ich hoffe, dass das Parlament die Situation nicht noch verschlimmert. Am wichtigsten wäre, keine neuen Einschränkungen hinsichtlich der Züchtungsmethoden zu beschliessen, die ausserhalb des Gentechnikgesetzes anwendbar sind.

Wir müssen jetzt alles daransetzen, die kommenden vier Jahre positiv zu nutzen.

In dieser Zeit können wir Prüf- und Bewilligungskriterien für mit neuen Züchtungsmethoden hergestellte Pflanzen erarbeiten. Auch könnten mit neuen Bestimmungen während der Moratoriumsperiode bereits neue Sorten zugelassen und vermehrt werden, die dann ab 2026 nutzbar wären. Da hoffe ich auf das Parlament.

Sie hoffen?
Ich verzweifle schon ein bisschen. Die Schweiz hat keine Edelsteine, kein Erdöl. Aber wir haben seit Jahrzehnten die besten Universitäten der Welt. Und die Wissenschaft ist sich einig, dass die Gentechnologie enorme Chancen hat. Die Schweiz ist auf Innovation, Wissen und Know-how angewiesen, wir wurden wohlhabend damit. Warum verzichten wir nun auf eine solche Chance? Warum vertraut man der Wissenschaft nicht mehr? Ich hoffe nun auf die Bauern, die Konsumenten und die Gesellschaft. Vielleicht können sie die Verbände und die Politik überzeugen.

Ist Gentechnologie teurer als herkömmliche Züchtungsmethoden wie das Kreuzen?
Kurzfristig betrachtet ist die Gentechnologie sicher teurer, da man zuerst viel Grundlagenwissen zu Genaktivitäten erarbeiten muss. Hat man dieses, können die Zuchtziele viel schneller erreicht werden und die Entwicklung einer neuen Sorte wird günstiger. Auch für die Bauern gibt es ökonomische Vorteile. Pflanzen mit Resistenzen gegen Pilze, Schädlinge oder Stress brauchen weniger Pflanzenschutzmittel und sind weniger aufwendig im Anbau. Ausserdem steigt die Ertragssicherheit.

Dennoch äussert sich der Bauernverband gegen die Aufhebung des Moratoriums.
Ja, er argumentiert damit, dass die Konsumenten keine gentechnisch veränderten Produkte kaufen würden. Neue Studien stellen diese Aussage in Frage. Erwähnen möchte ich hier aber auch die Landwirte, die zu uns kommen und sagen, dass sie schon heute bereit wären, gentechnisch veränderte Pflanzen anzubauen, weil sie stark unter sinkenden Erträgen leiden. Das macht Mut, obwohl es halt leider hierzulande noch nicht erlaubt ist.

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48 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Zweiundvierzig
23.09.2021 09:23registriert April 2016
Früher hat man genetisch veränderte Pflanzen hergestellt, indem man Pflanzen oder Saatgut radioaktiver Strahlung ausgesetzt oder mit mutagenen Chemikalien behandelt hat. Das gab dann tausende Veränderungen irgendwo in deren DNA, das hat man dann ausgepflanzt und geschaut welche Pflanzen besseren Ertrag und Resistenz bieten. Das essen wir seit Jahrzehnten, und niemanden kümmerts. Ist nicht als Gentech deklariert und sogar Bio. Wenn aber die Biologen kommen und ein einziges Gen in eine Nutzpflanze einsetzen, von dem man ganz genau weiss was es tut, dann flippen alle aus. 🤷🏻‍♂️ Bireweich.
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Matrixx
23.09.2021 08:56registriert März 2015
Seit Tausenden von Jahren verändern wir Tiere und Pflanzen genetisch.
Mit der Gentechologie macht man nichts anderes, einfach viel schneller.
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Turrdy
23.09.2021 08:28registriert März 2018
GVOs sind ein Potential, welches die Schweizer Politik anscheinend einfach nicht sehen will...
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