Seit September 2022 ist bekannt, dass die Nagra das sogenannte «Endlager» für hochradioaktive Abfälle aus den Schweizer AKWs in Stadel ZH bauen will. In ländlichem Gebiet, direkt in der Anflugschneise des Zürcher Flughafens, sollen die während mehr als 100'000 Jahren stark strahlenden Stoffe tief vergraben werden.
Nun haben die Verantwortlichen das überarbeitete Gesuch beim Bund eingereicht und diese Woche auf einer eigenen Plattform (siehe Quellen) veröffentlicht.
Nachliefern musste die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, unter anderem Angaben darüber, wie sich das geplante Endlager verhalten würde, wenn die maximale Lagerkapazität ausgeschöpft ist. Dies teilte das zuständige Bundesamt für Energie (BFE) am Donnerstag mit.
Die Frage, wie gross die Platzreserven im geplanten Atommüll-Tiefenlager sind, ist brisant: Die grösste Schweizer Partei, die SVP, hat sich für den Bau neuer Atomkraftwerke ausgesprochen. Doch wohin mit dem zusätzlichen Atommüll, der anfallen würde? Der Nagra-Chef selbst hat bereits öffentlich erklärt, dass es im geplanten Endlager nicht genug Platz dafür gebe.
Der Bund verlangte von der Nagra zudem klarere Verweise auf Fachberichte und Daten. Zusätzliche Angaben musste die von der Atomindustrie finanzierte Organisation auch beim Umweltverträglichkeitsbericht liefern, etwa bezüglich der abgeblichen Nicht-Gefährdung der Thermalwasser-Vorkommen in der Region. Wenige Kilometer vom geplanten Standort für das Atommüll-Endlager entfernt liegt das Thermalbad Zurzach.
Die Nagra habe diese Nachbesserungen inzwischen vorgelegt, hält der Bund fest. Nun beginnt die inhaltliche Prüfung der Gesuche. Dies ist Aufgabe des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI). Danach wird die Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) Stellung beziehen. Diese Überprüfungen sollten 2027 fertig sein.
Insgesamt legte die Nagra dem Bund 13 Gesuchsunterlagen vor, die auf gut 200 wissenschaftlichen Berichten basieren. Diese umfassen zusammen rund 30'000 Seiten.
Die Verpackungsanlage für die alten AKW-Brennelemente soll in der Aargauer Gemeinde Würenlingen erstellt werden, direkt neben der Aare gelegen.
Nach der Prüfung durch das BFE sind die Fachstellen des Bundes, die Kantone und die betroffenen Regionen an der Reihe. Sie alle werden eine Stellungnahme abgeben. Auch Deutschland wird sich äussern.
Dann wird die Runde geöffnet: Die Gesuche und Stellungnahmen werden öffentlich aufgelegt, so dass sich alle Interessierten äussern können. Gegen Ende des Jahrzehnts wird das Endlager dann zum Geschäft für Bundesrat und Parlament. Schon jetzt ist so gut wie sicher, dass das Thema auch noch vors Volk kommt.
Das Unabhängige Schweizer Begleitgremium Tiefenlager (USBT) beschäftigt sich seit Jahren mit den Schweizer Atommüll-Entsorgungsplänen. In einer aktuellen Stellungnahme kritisieren die Verantwortlichen die Kommunikationsstrategie der Nagra. Sie schreiben:
Der USBT-Mitgründer und Physiker Harald Jenny weist auf eine fragwürdige, wenn nicht gar falsche Formulierung auf der neuen Nagra-Website hin.
Auf der neuen Webseite www.drbg.ch stehe gleich am Anfang ein Satz, der für Klarheit sorgen solle – und genau das Gegenteil bewirke, so Jenny. Denn: Die Schweiz – «im Sinne ihrer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger» – habe zur Entsorgung des hochradioaktiven AKW-Mülls «gar nichts beschlossen». Ein allfälliges fakultatives Referendum stehe erst noch bevor. Die demokratische Debatte sei also definitiv nicht abgeschlossen.
Die Entscheidung der Nagra-Verantwortlichen, einen so eindeutigen Satz an den Anfang ihrer Website zu stellen, sei kein Zufall. Es sei ein klassisches Beispiel für sogenannte «Framing-Kommunikation»: Die Ausgangslage werde so dargestellt, als sei sie längst geklärt.
Die USBT-Stellungnahme weist aber auch auf eine inhaltlich falsche Argumentation hin. Das vom eidgenössischen Parlament verabschiedete Kernenergiegesetz sage etwas anderes, als es der oben erwähnte Nagra-Slogan tue. Im besagten Gesetz stehe nämlich:
Eine Entsorgung im Ausland sei also gesetzlich vorgesehen. «Und zwar nicht als Notlösung, sondern ausdrücklich als gleichwertige Option», so Jenny.
Hier gilt es in Erinnerung zu rufen, dass bereis mehrere Unternehmen im In- und Ausland an einer effizienten Verarbeitung und Entschärfung des AKW-Mülls forschen und entsprechende Testanlagen entwickeln.
Der Verein LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager) verschickte am Donnerstag eine Mitteilung mit dem Titel «Sicher ist nur das Risiko!» Darin heisst es:
Niemand könne sicher voraussagen, ob diese Zersetzung nicht bereits früher eintrete, wird argumentiert.
Schon während des Betriebs des Atommüll-Tiefenlagers bedrohe die Anflugschneise des Flughafens Zürich die Einlagerung. «Ein Flugzeugabsturz auf die Oberflächenanlage kann Lagerbehälter aufbrechen und hochaktive Brennstäbe freilegen», warnt der Verein.
Dem widersprach Bruno Ulrich, Geschäftsführer des Zwischenlagers, bei einem Medientermin Ende März. «Eine Besonderheit der Behälter sind ihre Deckel. Sie halten einem Flugzeugabsturz stand», versicherte er.
Die Kritiker beruhigt das nicht. Sie schreiben:
Der Verein schreibt weiter, es sei ungenügend abgeklärt, wo das Thermalwasser von Zurzach, Baden und weiteren Bäderstädten im Gestein fliesse. «Es könnte sein, dass die wasserführenden Schichten über und unter dem Opalinuston mit den Thermalwässern verbunden sind.»
Die Nagra hat nach Aufforderung des Bundesamts für Umwelt (Bafu) zusätzliche Angaben publiziert. Sie verweist auf «die Nichtgefährdung der Thermalwasservorkommen» gemäss Umweltverträglichkeitsbericht.
(dsc)