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Nagra publiziert Pläne für Schweizer Atommüll-Lager – Gegner warnen

Pläne für Schweizer Atommüll-Lager publiziert – darum schlagen die Gegner Alarm

Der Bund hat diese Woche die Nagra-Gesuche für ein «Endlager» im Zürcher Unterland veröffentlicht. Diese hatten zuvor nachgebessert werden müssen. Und nun werden erneut kritische Stimmen laut.
21.06.2025, 15:4121.06.2025, 19:30
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Seit September 2022 ist bekannt, dass die Nagra das sogenannte «Endlager» für hochradioaktive Abfälle aus den Schweizer AKWs in Stadel ZH bauen will. In ländlichem Gebiet, direkt in der Anflugschneise des Zürcher Flughafens, sollen die während mehr als 100'000 Jahren stark strahlenden Stoffe tief vergraben werden.

Nun haben die Verantwortlichen das überarbeitete Gesuch beim Bund eingereicht und diese Woche auf einer eigenen Plattform (siehe Quellen) veröffentlicht.

Nachliefern musste die Nagra, die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, unter anderem Angaben darüber, wie sich das geplante Endlager verhalten würde, wenn die maximale Lagerkapazität ausgeschöpft ist. Dies teilte das zuständige Bundesamt für Energie (BFE) am Donnerstag mit.

Die Frage, wie gross die Platzreserven im geplanten Atommüll-Tiefenlager sind, ist brisant: Die grösste Schweizer Partei, die SVP, hat sich für den Bau neuer Atomkraftwerke ausgesprochen. Doch wohin mit dem zusätzlichen Atommüll, der anfallen würde? Der Nagra-Chef selbst hat bereits öffentlich erklärt, dass es im geplanten Endlager nicht genug Platz dafür gebe.

Wie geht es weiter?

Bis 2027 werden Gesuche überprüft

Der Bund verlangte von der Nagra zudem klarere Verweise auf Fachberichte und Daten. Zusätzliche Angaben musste die von der Atomindustrie finanzierte Organisation auch beim Umweltverträglichkeitsbericht liefern, etwa bezüglich der abgeblichen Nicht-Gefährdung der Thermalwasser-Vorkommen in der Region. Wenige Kilometer vom geplanten Standort für das Atommüll-Endlager entfernt liegt das Thermalbad Zurzach.

Die Nagra habe diese Nachbesserungen inzwischen vorgelegt, hält der Bund fest. Nun beginnt die inhaltliche Prüfung der Gesuche. Dies ist Aufgabe des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI). Danach wird die Kommission für nukleare Sicherheit (KNS) Stellung beziehen. Diese Überprüfungen sollten 2027 fertig sein.

Aktivisten demonstrieren im September 2022 gegen das Atomendlager in der Standortregion Nördlich Lägern – auch gegen das Gesuch für das Projekt melden sie Bedenken an.
Aktivisten demonstrierten schon 2022 gegen das geplante Endlager in der Region Nördlich Lägern – und auch gegen das Baugesuch melden sie Bedenken an.Bild: Keystone

Insgesamt legte die Nagra dem Bund 13 Gesuchsunterlagen vor, die auf gut 200 wissenschaftlichen Berichten basieren. Diese umfassen zusammen rund 30'000 Seiten.

Die Verpackungsanlage für die alten AKW-Brennelemente soll in der Aargauer Gemeinde Würenlingen erstellt werden, direkt neben der Aare gelegen.

Auf dem rot markierten Bereich des Zwischenlagers Würenlingen soll die Verpackungsanlage für Atommüll entstehen (drei blaue Gebäude). Die meisten Bauten im Bild gehören zum Paul Scherrer Institut (PSI ...
Auf dem rot markierten Bereich des Zwischenlagers Würenlingen (Zwilag) soll die Verpackungsanlage für Atommüll entstehen (drei blaue Gebäude). Die meisten Bauten im Bild gehören zum Paul Scherrer Institut (PSI).Bild: Nagra

Volksabstimmung so gut wie sicher

Nach der Prüfung durch das BFE sind die Fachstellen des Bundes, die Kantone und die betroffenen Regionen an der Reihe. Sie alle werden eine Stellungnahme abgeben. Auch Deutschland wird sich äussern.

Dann wird die Runde geöffnet: Die Gesuche und Stellungnahmen werden öffentlich aufgelegt, so dass sich alle Interessierten äussern können. Gegen Ende des Jahrzehnts wird das Endlager dann zum Geschäft für Bundesrat und Parlament. Schon jetzt ist so gut wie sicher, dass das Thema auch noch vors Volk kommt.

«Diese Risiken werden die Bewohnerinnen und Bewohner der Region über 30‘000 Generationen oder während einer Million Jahre begleiten.»
Verein LoTi

Was kritisieren die Gegner?

Das Unabhängige Schweizer Begleitgremium Tiefenlager (USBT) beschäftigt sich seit Jahren mit den Schweizer Atommüll-Entsorgungsplänen. In einer aktuellen Stellungnahme kritisieren die Verantwortlichen die Kommunikationsstrategie der Nagra. Sie schreiben:

«Ob ein Tiefenlager im Inland tatsächlich der richtige Weg ist, muss die Schweiz noch entscheiden – politisch, gesellschaftlich, wissenschaftlich. Dabei wird es nicht genügen, aufwendige 3D-Animationen zu präsentieren. Es braucht ehrliche Kommunikation, die Optionen benennt, Unsicherheiten nicht verschweigt – und der Öffentlichkeit zutraut, mit komplexen Wahrheiten umzugehen.»

Der USBT-Mitgründer und Physiker Harald Jenny weist auf eine fragwürdige, wenn nicht gar falsche Formulierung auf der neuen Nagra-Website hin.

Nagra-Website zum geplanten Atommüll-Tiefenlager in Stadel ZH.
Laut Kritikern ein irreführender Satz: «Die Schweiz hat beschlossen, ihre atomaren Abfälle in einem Tiefenlager im Inland zu entsorgen.»Screenshot: drbg.ch

Auf der neuen Webseite www.drbg.ch stehe gleich am Anfang ein Satz, der für Klarheit sorgen solle – und genau das Gegenteil bewirke, so Jenny. Denn: Die Schweiz – «im Sinne ihrer Stimmbürgerinnen und Stimmbürger» – habe zur Entsorgung des hochradioaktiven AKW-Mülls «gar nichts beschlossen». Ein allfälliges fakultatives Referendum stehe erst noch bevor. Die demokratische Debatte sei also definitiv nicht abgeschlossen.

Die Entscheidung der Nagra-Verantwortlichen, einen so eindeutigen Satz an den Anfang ihrer Website zu stellen, sei kein Zufall. Es sei ein klassisches Beispiel für sogenannte «Framing-Kommunikation»: Die Ausgangslage werde so dargestellt, als sei sie längst geklärt.

«Solche Strategien sind legitim – aber nicht neutral. Und sie passen schlecht zu einem Projekt, das auf breite gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen ist.»

Die USBT-Stellungnahme weist aber auch auf eine inhaltlich falsche Argumentation hin. Das vom eidgenössischen Parlament verabschiedete Kernenergiegesetz sage etwas anderes, als es der oben erwähnte Nagra-Slogan tue. Im besagten Gesetz stehe nämlich:

«Die Entsorgungspflicht ist erfüllt, wenn: a) die Abfälle in ein geologisches Tiefenlager verbracht worden sind; oder b) die Abfälle in eine ausländische Entsorgungsanlage verbracht worden sind.»

Eine Entsorgung im Ausland sei also gesetzlich vorgesehen. «Und zwar nicht als Notlösung, sondern ausdrücklich als gleichwertige Option», so Jenny.

Hier gilt es in Erinnerung zu rufen, dass bereis mehrere Unternehmen im In- und Ausland an einer effizienten Verarbeitung und Entschärfung des AKW-Mülls forschen und entsprechende Testanlagen entwickeln.

«Sicher ist nur das Risiko!»

Der Verein LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager) verschickte am Donnerstag eine Mitteilung mit dem Titel «Sicher ist nur das Risiko!» Darin heisst es:

«In 10’000 Jahren sind die Lagerbehälter leck und die radioaktiven Nuklide wandern durch das Gestein an die Oberfläche und in die Umwelt unserer zukünftigen Generationen.»

Niemand könne sicher voraussagen, ob diese Zersetzung nicht bereits früher eintrete, wird argumentiert.

Schon während des Betriebs des Atommüll-Tiefenlagers bedrohe die Anflugschneise des Flughafens Zürich die Einlagerung. «Ein Flugzeugabsturz auf die Oberflächenanlage kann Lagerbehälter aufbrechen und hochaktive Brennstäbe freilegen», warnt der Verein.

Dem widersprach Bruno Ulrich, Geschäftsführer des Zwischenlagers, bei einem Medientermin Ende März. «Eine Besonderheit der Behälter sind ihre Deckel. Sie halten einem Flugzeugabsturz stand», versicherte er.

Die Kritiker beruhigt das nicht. Sie schreiben:

«Ein Flugzeugabsturz auf die Oberflächenanlage kann Lagerbehälter aufbrechen und hochaktive Brennstäbe freilegen. Eine Löschaktion mit Wasser würde radioaktiven Staub in den Boden schwemmen und das Grundwasser verseuchen. Dieses wiederum fliesst in den Rhein, der für Millionen Menschen in der Schweiz und Europa als Trinkwasserlieferant dient.»

Der Verein schreibt weiter, es sei ungenügend abgeklärt, wo das Thermalwasser von Zurzach, Baden und weiteren Bäderstädten im Gestein fliesse. «Es könnte sein, dass die wasserführenden Schichten über und unter dem Opalinuston mit den Thermalwässern verbunden sind.»

Die Nagra hat nach Aufforderung des Bundesamts für Umwelt (Bafu) zusätzliche Angaben publiziert. Sie verweist auf «die Nichtgefährdung der Thermalwasservorkommen» gemäss Umweltverträglichkeitsbericht.

Quellen

(dsc)

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Christian Mueller (1)
21.06.2025 17:03registriert Januar 2016
Funfact: Die nagra wurde vor 51 Jahren gegründet und noch immer wissen wir weder wie genau wir die Abfälle lagern, noch wie teuer das wird. Also wissen wir bis heute nicht wie teuer genau Atomstrom ist.
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Terraner
21.06.2025 16:00registriert April 2020
Niemand will den Atommüll bei sich in der Nähe vergraben / gelagert haben. Trotzdem wollen einige unverbesserliche wieder neue AKWs bauen.
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Thomas Bürgi
21.06.2025 16:39registriert Februar 2023
wir wissen nicht wohin mit dem müll, die entsorgung ist unklar. und die svp will gleich noch ein bisschen mehr müll produzieren. und das natürlich alles im namen des volkes.
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