Schweiz
Interview

Lehrstellensuche: Schweizer Lehrer im Interview

Madlen Huber, Coiffeur Lernende im 3. Lehrjahr, schneidet das Haar an einem Modell-Kopf mit Echthaar, am Dienstag, 31. Maerz 2015 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Eine Coiffeur-Lernende im dritten Lehrjahr. Jugendliche gehen zwar souverän mit sozialen Medien um, Telefonieren mit möglichen Lehrbetrieben bleibt aber eine Mutprobe.Bild: KEYSTONE
Interview

Das bereitet Schülern bei der Lehrstellensuche Probleme

Jugendliche leben stark in der digitalisierten Welt. Das schafft neue Herausforderungen bei der Lehrstellensuche, wie der Aargauer Lehrer Hans Hauenstein aus Erfahrung weiss.
12.05.2018, 16:2012.05.2018, 20:41
Manuela Moser / Schweiz am Wochenende
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Herr Hauenstein, Sie sind Klassenlehrer einer 3. Sekundarschule B in Weiningen. Wie geht es Ihren Schülerinnen und Schülern bei der Lehrstellensuche?
Hans Hauenstein: In unseren beiden B-Klassen sieht die Situation zurzeit so aus: Von den 40 Schülern haben 22 eine Lehr- oder Praktikumsstelle. Die restlichen suchen zum Teil noch und haben mit einer Ausnahme einen Plan B als Anschlusslösung. In den meisten Fällen werden sie die BWS (10. Schuljahr) besuchen. Es gibt auch einige wenige, bei denen die Berufswahl immer noch nicht klar ist.

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Hans Hauenstein, Sekundarlehrer aus Weiningen.
Hans Hauenstein, Sekundarlehrer aus Weiningen.bild: zvg

Das sind ernüchternde Zahlen.
Ja, das kann man so sehen. Allerdings hat es in einer der beiden Klassen dieses Jahr überdurchschnittlich viele, die den Schritt in die Berufswelt noch nicht geschafft haben.

Sind denn die Anforderungen und Erwartungen der Wirtschaft grösser geworden?
Das kann man so nicht sagen. Sicher ist, dass es heute weniger Lehrstellen für Berufe mit eher moderaten Anforderungen gibt. Für Schüler mit eher bescheidenen schulischen Leistungen wird es tatsächlich enger. Und nur wenige interessieren sich für die handwerklich-gewerblichen Berufe. Das ist ausserordentlich schade, denn dort hätten sie gute Chancen für eine Lehrstelle, eine gute und fundierte Ausbildung und nach der Lehre viele Aufstiegsmöglichkeiten.

Was steht den Jungen noch im Weg?
Eine grosse Hürde für unsere B-Schüler sind die Bewerbungen. Viele sind dabei überfordert, da sie sprachlich wenig gewandt sind und das Prozedere stark verschriftlicht ist. Die Rückmeldung meiner Klasse ist klar: Das Schwierigste sind die Bewerbungsschreiben. Die Schüler wissen oft nicht, was schreiben. Da helfen offensichtlich alle Vorlagen und Übungen nicht viel. Zudem sind die Erwartungen der Lehrbetriebe oft widersprüchlich: Die Bewerbungen sollen herausstechen, etwas Besonderes zeigen und gleichzeitig formal korrekt und im Rahmen sein.

Ist es nicht vielmehr so, dass immer mehr Online-Bewerbungen gefragt sind und die «Digital Natives» darin eigentlich sehr gut sein sollten?
Die elektronischen Bewerbungen sind tatsächlich im Kommen. Sie sind aber eher noch schwieriger für unsere Schüler. Sie nehmen den Jugendlichen keine sprachlichen Hürden ab, aber sie bringen noch zusätzliche technische Hürden wie das Einscannen und Formatieren von Dokumenten und Unterlagen und haben einen hohen Grad an Formalisierung.

Was sind die weiteren Schwierigkeiten beim Bewerben?
Die Jugendlichen leben stark in der digitalen Welt, aber so souverän sie mit diesen Medien umgehen, so unbeholfen sind sie oft im direkten Kontakt. Das Handy in die Hand zu nehmen und einen Lehrbetrieb anzurufen, um nach einer Schnupperlehrstelle zu fragen, ist für viele eine grössere Mutprobe als der erste Sprung vom 5-Meter-Turm. Zudem sind sie mitten in der Pubertät mit all ihren Veränderungen, Unsicherheiten und Spannungen – sie haben es nicht leicht!

Sind die Eignungstests wie Multi oder Basic Check gefragt?
Multi Check und Basic Check sind eher berufsspezifische Tests, die in bestimmten Branchen für eine Bewerbung verlangt werden. In der Oberstufe absolvieren alle Klassen Mitte des achten Schuljahres den Stellwerk Check, der aber Wissen und Kompetenzen in verschiedenen Schulfächern erfasst. Was man sicher sagen kann, ist, dass die Bedeutung des Stellwerk Checks zugenommen hat. Eigentlich gedacht als Standortbestimmung für Schüler und Eltern, wird er heute oft auch von Lehrbetrieben verlangt. Ein guter Stellwerk Check kann auch zur Folge haben, dass auf das Absolvieren eines Multi oder Basic Checks verzichtet wird.

«Ich kann mir nicht vorstellen, was Jugendliche, die keine Anschlusslösung haben, sonst machen würden.»

Was kann die Schule tun, um die Schüler bei der Lehrstellensuche zu unterstützen?
Wir helfen den Jugendlichen, sich selbst, ihre Stärken und Schwächen kennen zu lernen, sich über alle Arten von Berufen zu informieren. Die Berufsberatung biz organisiert Besichtigungen, bietet kostenlose Beratungen an, erstellt Listen mit offenen Lehrstellen. Die Lehrpersonen üben das Schreiben von Lebenslauf und Bewerbung, geben Tipps für Telefonanrufe und Bewerbungsgespräche. An unserer Schule ist alle drei Wochen der Berufsberater im Haus für kurze Gespräche. Im März organisieren Schule und Elternrat jeweils eine grosse Berufsmesse für die 2.-Sek-Klassen. Unser Jahrgangsteam hat zusätzlich im letzten Januar mit allen Klassen eine Berufswahlwoche mit Informationen, Vorträgen, Besichtigungen und Coachings durchgeführt.

Ein reiches Angebot. Genügt es oder müsste noch mehr getan werden?
Ich glaube, wir als Schule haben gemacht, was möglich ist. Sicher ist, dass die Hilfe und Unterstützung der Eltern ganz wichtig sind. Tatsache ist aber auch, dass viele fremdsprachige und noch wenig assimilierte Eltern hier ganz einfach überfordert sind.

Und was passiert, wenn alle Stricke reissen und ein Sekschüler, eine Sekschülerin bis zum Sommer 2018 dann doch keine Lösung findet?
Gott sei Dank gibt es unsere BWS Limmattal, das 10. Schuljahr. Immer wieder gibt es Stimmen aus der Politik, welche bei diesem schulischen Angebot sparen wollen. Ich kann mir nicht vorstellen, was Jugendliche, die keine Anschlusslösung haben, sonst machen würden.

(aargauerzeitung.ch)

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