Mai 2023. Mona Vetsch und Tom Gisler stehen auf der Bühne «Heimat» im Aargauischen Ehrendingen. In einem intimen Zuschauerkreis tauscht man sich aus – über die Nöte und Sorgen der eigenen Generation: Es geht um Männer, die das Haus nur noch in Sportfunktionskleidung verlassen, und um Frauen in den Wechseljahrslaunen. Das Publikum fühlt sich sofort abgeholt, denn Mona Vetsch, 48, die seit über einem Vierteljahrhundert eine der beliebtesten Schweizer Radio- und Fernsehmoderatorinnen ist, gehört zu ihrem Leben dazu. Mit ihrem Auftritt wagen Gisler und Vetsch, die 1997 mit der Jugendsendung «Oops!» ihre Karriere startete und heute das Gesicht von SRF-Reportagesendungen wie «Mona mittendrin», «Auf und davon» oder «Hin und weg» ist, den Sprung auf die Bühne. Am 16. September feiert ihr erstes Bühnenprogramm «Im mittleren Alter» in Unterwasser Premiere.
Ab Herbst touren Sie mit Ihrer ersten eigenen Bühnenshow durch die Schweiz. Thematisiert wird die Lebenssituation Ihrer Generation, der 40- bis 65-Jährigen. War der Auslöser dafür eine Midlife-Crisis?
Mona Vetsch: Nein, aber mit 48 Jahren stellt man sich auch ohne akute Lebenskrise einmal die Frage, was einem wirklich wichtig ist im Leben. Ich verbringe gern und ungeheuer viel Zeit mit Arbeiten. Wirklich entscheidend ist für mich dabei aber, mit Menschen zu arbeiten, die ich schätze und mag. Mit meinem Bühnenpartner, SRF-3-Moderator Tom Gisler, mit dem ich vor meinem Weggang vom Radio viel und gern gearbeitet habe, wollte ich unbedingt wieder ein neues Projekt starten.
Beobachten Sie diesen Wunsch nach Erneuerung auch in Ihrem näheren Umfeld?
Ja, man stellt sich in diesem Alter plötzlich die Sinnfrage. Viele Bekannte von mir haben ein dringendes Bedürfnis, etwas komplett Neues auf die Beine zu stellen oder etwas zu wagen, bei dem sie auch richtig auf die Nase fallen könnten. Dahinter steckt wahrscheinlich die Sehnsucht, in der zweiten Lebenshälfte nochmals ein zweites erstes Mal zu erleben. Diese Kombination zwischen extrem belastet und jung genug, um noch etwas Neues anzufangen, das kann im besten Fall zu einem Feuerwerk führen, im schlimmsten Fall in eine Krise. Bei mir war ausserdem die Lust gross, auch ausserhalb der üblichen SRF-Kanäle einmal etwas auszuprobieren. Am Geburtstag von Bliss-Comedian Tom Baumann haben Tom und ich uns dann bei einem Glas Wein gesagt: «Jetzt ziehen wir's durch!»
Was tut Mona Vetsch, wenn sie in einer Krise steckt?
Ich hatte in meinem Leben bislang nur eine Strategie für den Umgang mit schwierigen Situationen: arbeiten. Ich arbeite so viel, dass ich gar keine Zeit mehr habe, um genauer hinzuschauen. Das ist natürlich ein Paradeweg, um sich selbst irgendwann an die Wand zu fahren. Aber ich bin mir dessen bewusst, vor allem, seit ich durch die Erarbeitung der Bühnenshow gezwungen war, mich mehr mit meinen eigenen Verhaltensmustern zu beschäftigen. Das liegt auch an Tom.
Inwiefern?
Weil er ganz anders funktioniert als ich, was mir trotz unserer langen Zusammenarbeit beim Radio gar nie bewusst war. Wir kommen am Ende zwar zu denselben Resultaten, aber der Weg dorthin ist ein komplett anderer. Tom braucht viel Zeit für sich, und er steht auch dazu. Ich habe am liebsten ganz viele Projekte parallel am Laufen und bin schon glücklich, wenn ich hundert schöne Ideen habe oder mich an ein paar schönen Wortspielen erfreuen kann. Tom hat mich gezwungen, die Dinge auch mal zu Ende zu denken, einen Punkt zu machen. Und ich war zum ersten Mal in meinem Leben gezwungen, zu proben (lacht). In meinen DOK-Reportagen passiert ja fast alles spontan.
Werden Sie künftig mehr Ruhepausen einlegen?
Ich glaube nicht, dass der Wellness-Urlaub oder das Sabbatical immer für alle der richtige Weg sind. Solange ich auf der Arbeit neue Dinge lernen kann und gefordert bin, geht es mir gut. Das bedeutet nicht, dass ich keine Krisen hätte.
Tom Gisler war für sein Radioformat «Gizzle Shizzle» auf SRF3 mal für einen Swiss Comedy Award nominiert. Sie gelten in der öffentlichen Wahrnehmung als lustige Person. Aber ist das wirklich Comedy, was Sie da machen?
Nein, das zu betonen, ist uns wichtig. Ich kann überhaupt kein Stand-up. Wir verstehen uns in der Bühnenshow als Hosts, die viel von sich erzählen, aber auch mit Gästen, die aus unserem Freundeskreis kommen, und dem Publikum ins Gespräch kommen. Wir werden oft gefragt: Mittleres Alter, ist daran überhaupt etwas zum Lachen? Wir finden: ja, aber nicht nur.
Was gefällt Ihnen an der 48-jährigen Mona Vetsch besonders gut?
Ich bin sehr begeisterungsfähig, und ich habe ein grosses Interesse für Neues und Unbekanntes.
Gemäss wissenschaftlichen Studien befinden wir uns mit Mitte 40 am Tiefpunkt unserer Lebenszufriedenheit. Erst danach gehts wieder bergauf. Warum ist das so?
Es ist eine krisenanfällige Zeit. Die Kinder werden älter, ziehen aus, und plötzlich stellt man sich als Paar die Frage: Haben wir noch Gemeinsamkeiten? Viele karriereorientierte Menschen realisieren, dass sie nicht mehr dort hinkommen, wo sie ursprünglich mal hinwollten. Für Mütter, die sich ausschliesslich der Kindererziehung gewidmet haben, ist der schwierige Wiedereinstieg in den Beruf ein Thema. Und plötzlich sind da junge Menschen, die mit einem um Jobs konkurrieren und die Erkenntnis, dass das eigene, über Jahre angesammelte Fachwissen nicht mehr gefragt ist.
Und dann ist da der Befund: Die Lebensuhr ist zur Hälfte abgelaufen.
Genau. Die Eltern werden älter und eventuell pflegebedürftig. Da bahnt sich eine Rollenumkehr und ein erster grosser Abschied an. Und auch der eigene Körper ist plötzlich eine Grossbaustelle. Ich vergleiche den Körper eines Ü-40-Menschen mit einem Jenga-Turm: Du weisst nie, wann er als Nächstes ins Schwanken gerät, welche Baustelle als Nächstes auftaucht. Dieses Gefühl, nie zu wissen, wo die nächste Bedrohung um die Ecke kommt, haben viele in jener Lebensphase. Habe ich alles noch unter Kontrolle?
Was beim Älterwerden bereitet Ihnen am meisten Angst?
Dass das Leben langweilig werden könnte, der Horizont zu klein und dass ich meine Begeisterungsfähigkeit verlieren könnte.
Sie meinen diese Angst davor, dass der Weg mit dem Rollator in die Migros das grösste Abenteuer ist, das Ihnen noch bleibt?
Man kann sich dieses Bild mit dem Rollator in sehr tristen Beigetönen ausmalen. Aber ich erlebe in meiner Siedlung Menschen, die selbst auf diesem Weg noch viel erleben. Es ist eine Frage der Haltung. Sagt man Grüezi? Geht man auf andere Menschen zu? Hat man einen offenen Blick? Nimmt man noch wahr, was sich verändert? Ich bin überzeugt, dass es letztendlich überhaupt nicht um einen physischen Horizont geht, sondern dass man im Kopf berührbar und durchlässig bleibt. Das bis ins hohe Alter zu schaffen, ist mein Ziel.
Im Programm sagen Sie: «Für mich sind mit 48 Jahren alle Kindheitsträume in Erfüllung gegangen.»
Ja, ziemlich schlimm, wenn man das mit 48 Jahren von sich behaupten muss, finden Sie nicht? In einer wissenschaftlichen Studie wurden die begünstigenden Faktoren für eine Lebenskrise eruiert. Die einen fühlen sich in der Lebensmitte als Versager, weil sie vieles von dem, was sie einst wollten, nicht erreicht haben. Andere kommen in eine Krise, weil sie ihre Ziele schon viel zu früh erreicht haben und sich fragen: Was mache ich jetzt mit der Lebenszeit, die mir noch bleibt?
Ihre Karriere beim SRF startete früh. Mit der Moderation des «Club» haben Sie vor Jahren schon den Thron des Schweizer Diskussionsformats erklommen. Diese Frage muss Sie beschäftigen ...
Natürlich. Ich bin sehr dankbar für alles, was ich machen durfte. In meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht damit gerechnet. Auf der anderen Seite ist da schon diese Frage in mir, ob ich darauf vertrauen kann, dass mir auch im höheren Alter noch genauso viele Möglichkeiten offenstehen werden wie bisher. Dass ich gern in Bewegung bin und mich gerne verändere, wird mir dabei sicher helfen. Auch dass es nach wie vor Tausende Dinge gibt, die mich interessieren. Und dass mir prestigereiche Posten nicht so wichtig sind.
Schauen Sie lieber nach vorn oder zurück?
Am liebsten seitwärts. Auf die anderen. Mich interessieren Menschen und ihre Geschichten. Und noch viel mehr, welchen Blick diese Menschen auf ihre eigene Geschichte haben. Das ist ein grosser Unterschied. Man kann die genau gleichen biografischen Eckdaten besitzen und dennoch eine komplett andere Lebensgeschichte haben. Wie schaut jemand zurück? Wie bewertet jemand sein Leben? Was lernt er daraus? Wem gibt er die Schuld? Solche Fragen interessieren mich. Und tatsächlich auch der gesellschaftliche Kontext: In was für einer Welt haben wir uns damals bewegt, in was für einer Welt leben wir heute? Was hat sich verändert?
Ihre eigene Generation, die Generation X, gilt als unpolitisch, gar hedonistisch. Ein Klischee?
Ich glaube nicht an diese Generationeneinteilung. Generation X, Y, Z, dass das alles Mumpitz ist, sagt inzwischen sogar die Wissenschaft. Tom Gisler und mir ging es mehr darum, die Welt zu skizzieren, in der wir aufgewachsen sind. Und es gibt sie durchaus, diese kollektiven Erfahrungen, die eine Generation prägen. Nehmen wir das Thema Rollenvorbilder: Es ist doch bemerkenswert, dass man vielen Frauen meiner Generation gesagt hat, uns ständen alle Möglichkeiten offen, wir sollen sie doch bitte auch nutzen! Aber nur wenige von uns hatten tatsächlich weibliche Rollenvorbilder. Das, was du siehst, und die Möglichkeiten, die du vorgelebt bekommst, prägt aber die Entscheidungen, die du triffst.
Hat Ihnen ein berufliches Rollenvorbild gefehlt?
Ich bin auf einem Bauernhof in der Ostschweiz aufgewachsen. In diesem Umfeld war es üblich, dass man eine Lehre macht, und danach wusste man, wer man ist und wofür man steht. Ich war umgeben von Menschen, die genau diesen Weg gingen. Als ich mit meinem Wirtschaftsstudium begann, konnte ich mir gar nicht vorstellen, was genau aus mir werden würde. Mir fehlten schlicht die Vorbilder. Ich hätte mich deshalb nie getraut, Germanistik zu studieren. Solche Erfahrungen, die über uns selbst hinausweisen, wollen wir in unserem Programm skizzieren. Angefangen mit unseren Namen Monika und Thomas, die in der Altersgruppe der Mittelalten weit verbreitet sind, bis zu den Familienmodellen, in denen wir aufgewachsen sind.
Sie selbst kennen das Patchwork-Modell aus Ihrer eigenen Paarbeziehung. Haben es Menschen mit so einem Familienmodell heute einfacher als früher?
In unserer Generation stand das Wort «Patchwork» noch für eine Näharbeit. Es gab dieses Modell schlicht und ergreifend nicht. Wenn du ein Scheidungskind warst oder eine alleinerziehende Mutter hattest, warst du ein Problem. Heute sieht man die unterschiedlichsten Nestmodelle. Und das ist auch eine Herausforderung, wenn du dich im mittleren Alter nochmals neu erfinden willst. Ich habe viele Kolleginnen, deren Beziehungen auseinandergegangen sind und die sich fragen, welche andere Formen des Zusammenlebens es noch gibt.
Darin liegt viel Freiheit.
Ja, es hat ja auch viel mit einer Pubertät gemein, dieses mittlere Alter. Selbst das hormonelle Durcheinander kommt zurück, bei manchen sogar die Pickel! (Lacht.) So eine zweite Pubertät ist im besten Fall tatsächlich ein Aufbruch und ein Neuanfang. Ich kenne viele Frauen, die sagen, dieses mittlere Alter sei für sie eine grosse Befreiung gewesen, weil sie plötzlich nicht mehr so viel für andere da sein mussten, sondern sich nochmals selbst anders und neu kennen lernen durften.
Haben Sie sich für das Programm im eigenen Bekanntenkreis umgehört?
Ja, und das Beste ist: Plötzlich hat man nur noch interessante Gespräche. Sobald ich nur das Stichwort mittleres Alter gebe, beginnen die Menschen, zu erzählen. Ich habe von Freunden Dinge erfahren, die ich sonst nie erfahren würde. Nach unseren Shows setzen sich unsere Zuschauer zusammen und unterhalten sich an der Bar über Fragen wie: offene Beziehungen, ja oder nein? Oder: Willst du wissen, ob dein Partner dich betrügt? Bei diesen Themen geht es fast immer ans Eingemachte.
Haben Sie Tipps, wie man diese Lebensphase gut übersteht?
Generell: Humor hilft. Es gibt zwei Hebel, die man im mittleren Alter unbedingt betätigen sollte: Bewegung und Beziehungen. Man muss keinen Sport betreiben. Spazieren reicht völlig aus. Und man sollte seine Beziehungen pflegen. Beide Faktoren korrelieren signifikant mit der Lebenserwartung und der eigenen Lebenszufriedenheit. Das merke ich auch an mir selbst: Wenn ich mich allein fühle mit meinen Problemen und mich mit niemandem darüber austauschen kann, geht es mir schlecht.
Das Publikum darf in Ihrer Show Fragen zur Lebensmitte auf anonymen Zetteln an Sie weiterreichen. Ich war überrascht, wie viele schwere Lebensthemen bei den Tryouts an Sie herangetragen wurden.
Mich hat das extrem glücklich gemacht, als ich merkte, dass diese Show tatsächlich wie ein Abend unter Freunden funktioniert. Viele Menschen schreiben mir: «Mona, ich bin quasi mit dir aufgewachsen.» Man ist gemeinsam älter geworden, hat vieles zusammen erlebt, und jetzt gibt es in diesem Programm diese gefühlte Nähe zwischen uns. Der Abend ist sehr intim. Auch ich zeige mich sehr viel persönlicher als sonst. Ich finde das richtig. Wenn Menschen mir auf meine Fragen hin persönliche Geschichten erzählen, dann will ich ebenso offen, nahbar und persönlich sein. Das ist mein Anspruch. (aargauerzeitung.ch)