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Interview

Valérie Dittli: So geht sie nach Entmachtung im Regierungsrat damit um

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«Viele ermuntern mich, durchzuhalten»: So geht es Dittli mit dem Sturm um ihre Person

Seit Wochen steht Valérie Dittli unter Beschuss. Der Regierungsrat hat ihre Kollegin entmachtet und ihr die Finanzen entzogen. Jetzt verrät die 32-jährige Mitte-Politikerin, wo sie Kraft tankt und wie sie ihre künftige Rolle in der Waadtländer Politik sieht.
11.04.2025, 06:2911.04.2025, 11:53
Julian Spörri und Kari Kälin / ch media
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Der Himmel blau, der See friedlich, die französischen Alpen schneebedeckt: Der Blick aus dem Büro von Valérie Dittli in der Lausanner Innenstadt ist prächtig. Der Kontrast zu den Turbulenzen der letzten Wochen könnte grösser nicht sein.

Valerie Dittli, conseillere d'Etat vaudoise, lors d'une conference de presse au sujet des mesures prises suite a l'analyse au sein du DFA ce vendredi, 21 mars 2025 a Lausanne. le Consei ...
Valérie Dittli ist in Oberägeri ZG geboren – aber sitzt in der Waadtländer Regierung.Bild: keystone

Der Waadtländer Staatsrat hat der Mitte-Politikerin öffentlichkeitswirksam das Finanzdepartement entzogen – nachdem der Konflikt mit der Chefin der Steuerabteilung eskaliert war und es zu krankheitsbedingten Ausfällen gekommen war. Ein Bericht des früheren SP-Ständerats Jean Studer wirft Dittli vor, eine Amtsgeheimnisverletzung begangen und die Annullierung ausgestellter Steuerveranlagungen von vermögenden Einwohnenden verlangt zu haben, die nach einer Reform unerwartet hohe Abgaben leisten mussten.

Unterdessen haben Dittli und ihre Regierungskollegen einen Schritt aufeinander zugemacht und sich auf die neue Departementsverteilung geeinigt. Vor dem Interview macht die gebürtige Zugerin klar: Sie will ihren Blick nach vorne richten.

Ihre Schwester Laura Dittli ist Regierungsrätin im Kanton Zug. Haben Sie in den letzten Wochen oft gedacht: «Am liebsten würde ich mit ihr tauschen»?
Valérie Dittli:
Gar nie. Aber ich tausche mich häufig mit ihr aus. Laura war in den letzten Wochen eine meiner wichtigsten Stützen. Gerade in der vergangenen Zeit, die nicht einfach war, rief sie mich jeweils an und sagte: «Kopf hoch, das kommt schon gut.» Sie versteht sehr gut, was sich abspielt und was ich brauche.

Die Geschwister Laura (links) und Valerie Dittli, Mitte-Regierungsrätinnen in Zug und in der Waadt.
Jung, Mitte-Mitglied und in einer Kantonsregierung: die Dittli-Schwestern.Bild: keystone

Fühlen Sie sich wohl im Kanton Waadt?
Ja, er ist mir zur Heimat geworden. Hier habe ich meine Freunde. Hier lebe ich mit meinem Partner, mit dem ich seit sieben Jahren zusammen bin. In Zug bin ich mittlerweile die Auswärtige. Meine Mutter sagt sogar, auf Schweizerdeutsch hätte ich einen Akzent.

Wie begegnen Ihnen die Menschen im Alltag?
Ich spüre sehr viel Solidarität. Als ich in einem Restaurant war, stand eine Person auf, schaute mich an, umarmte mich und weinte. Ähnliches ist mir mehrmals passiert.

Wer hat Sie umarmt und geweint?
Personen aus dem erweiterten Bekanntenkreis, aber auch Angestellte aus meinen Ämtern. Wenn ich in eine Bar gehe, werde ich sofort umlagert. Die Geschichte um meine Person geht den Menschen nahe. Auf der Strasse spricht man mich an. Viele Leute ermuntern mich, ich solle nicht aufgeben und durchhalten. Man schickt mir Blumensträusse nach Hause. Via E-Mail, Whatsapp, SMS und soziale Medien sowie in Briefen und Karten habe ich rund 1000 Nachrichten aus der ganzen Schweiz erhalten. Zu 99 Prozent positiv.

Sie waren kurz vor der Präsentation des Studer-Berichts einige Tage krankgeschrieben. Wie geht es Ihnen heute?
Mein Blutdruck sank stark, ich fiel um. Ich habe meinem Arzt erzählt, was in meinem Leben momentan passiert. Er wollte mich zwei Wochen krankschreiben. Ich habe mich schliesslich zwei Tage lang ausgeruht. Mir geht es gut. Ich achte auf meine Gesundheit, gehe zum Beispiel regelmässig joggen.

Wo tanken Sie Kraft?
Bei meiner Familie, meinem Umfeld, meinen Mitarbeitenden. Und bei meiner Arbeit, wenn wir über konkrete Projekte sprechen können und Sachpolitik betreiben.

Haben Sie über einen Rücktritt nachgedacht?
Für mich stellen sich zwei Fragen. Die erste: Habe ich Fehler begangen, deretwegen ich mein Amt niederlegen sollte?

Wie lautet Ihre Antwort?
Ich bin aufrichtig. Ich weiss, was ich gemacht und was ich nicht gemacht habe. Ich setze mich für das Wohl des Kantons Waadt ein. Und ich kenne inzwischen die politischen Spiele.

Die zweite Frage?
Es geht um Motivation. Sie hat teilweise gelitten, aber ich habe sie schnell wiedergefunden. Auch, weil ich in den letzten Wochen so viele gute Momente mit Mitarbeitenden und der Bevölkerung erlebt habe.

Der Studer-Bericht wirft Ihnen eine Amtsgeheimnisverletzung vor. Sie sollen über Ihre Mitarbeiter vertrauliche Informationen mit Unternehmerkreisen geteilt haben, die mit einer Initiative in der Waadt eine Steuersenkung um 12 Prozent fordern. Was sagen Sie dazu?
Ich begrüsse es, dass die Staatsanwaltschaft die Vorwürfe abklärt, die im Raum stehen. Ich begrüsse auch, dass die parlamentarische Aufsichtskommission das Funktionieren der Gesamtregierung unter die Lupe nimmt. Für meine Mitarbeiter ist dies aber erneut eine starke Belastung.

Valerie Dittli, conseillere d'Etat vaudoise, arrive lors d'une conference de presse au sujet des mesures prises suite a l'analyse au sein du DFA ce vendredi, 21 mars 2025 a Lausanne. le ...
Symbolhaltiges Bild an einer denkwürdigen Medienkonferenz: Am 21. März wurde Dittli auf Basis des Studer-Berichts entmachtet.Bild: keystone

Sie haben keine Fraktion im Rücken. Wie problematisch ist diese fehlende Hausmacht?
Es macht mich politisch relativ leicht verwundbar. Ich kann aber mit allen Parteien gut zusammenarbeiten. Es ist mir schon oft gelungen, für wichtige Projekte, zum Beispiel im Bereich der Landwirtschaft, Mehrheiten zu organisieren, obwohl ich die ganze FDP gegen mich hatte.

Sind Sie zu freisinnig für die FDP?
Ich würde es so sagen: Als ursprüngliche Zugerin stamme ich aus einem liberal geprägten Umfeld. Die FDP im Kanton Waadt ist sehr breit aufgestellt. In gewissen Fragen, zum Beispiel bei den Steuern, politisiere ich wohl liberaler als gewisse FDPler. Dabei lege ich grossen Wert auf Eigenverantwortung, insbesondere wenn es darum geht, steuerliche Anreize zu schaffen und individuelle Entscheidungen zu fördern. Wobei ich festhalten möchte: Die Allianz Mitte-FDP-SVP (mit welcher Dittli 2022 in die Regierung gewählt wurde, Anm. d. R.) hat sich Steuersenkungen auf die Fahne geschrieben. Das ist ein klarer Auftrag des Volkes.

Eine wichtige Rolle in der Affäre spielt die Vermögenssteuerbremse. Hat Ihnen FDP-Mann Pascal Broulis, unterdessen Ständerat, eine missglückte Reform hinterlassen?
Es liegt nicht an mir, die Arbeit meines Vorgängers zu bewerten.

Was für eine Situation haben Sie im Finanzdepartement angetroffen?
Ich musste feststellen, dass zahlreiche Beschwerden eingegangen waren, weil Betroffene stärker besteuert wurden als unter dem alten Regime. Es geht hier um hochmobile Steuerzahler: Wenn der CEO eines prestigeträchtigen Unternehmens mit 1000 Angestellten anklopft und sagt, ein Wegzug nach Zürich stehe im Raum, dann hat der Kanton Waadt ein Problem. Ich versuchte, das Steuersubstrat hier zu behalten. Ich möchte nicht, dass der Kanton Leistungen kürzen muss, und dazu brauchen wir Einnahmen. Darum wollte ich Lösungen für dieses konkrete Problem finden.

Würden Sie rückblickend in jeglicher Hinsicht gleich vorgehen?
Natürlich habe ich auch Fehler gemacht, wie dies jeder Mensch tut. Ich wollte Probleme lösen und nahm dabei nicht immer auf alle individuellen Sensibilitäten Rücksicht. Ohne es zu wollen, habe ich so manche Personen wohl überfordert. Ich habe auch unterschätzt, wie wichtig es ist, ein starkes, gegenseitiges Vertrauen zu den Amtsleitern aufzubauen. Als Person bringe ich anderen Menschen ein grosses Vorschussvertrauen entgegen und lege viel Wert auf Loyalität. Ich musste lernen, dass das nicht immer gegenseitig ist. Das ist ein normaler Prozess. Ich bin 32 und kann nicht auf dreissig Jahre Managementerfahrung zurückgreifen.

Apropos Alter: Befürchten Sie, dass Ihre Desavouierung andere junge Menschen davor abschreckt, in die Politik einzusteigen?
Von jungen Menschen habe ich tatsächlich auffällig viele Nachrichten bekommen. Aus meinem Umfeld sagten viele: Von Politik wollte ich noch nie etwas hören, und das gilt jetzt umso mehr. Das gibt mir sehr zu denken. Aber es motiviert mich auch.

Inwiefern?
Ich bin überzeugt, dass wir als junge Generation Dinge ändern müssen. Wir müssen in der Politik eine andere Art und Weise von Dialog führen als in den letzten Jahrzehnten. Angesichts der Herausforderungen unserer Zeit können wir es uns nicht leisten, destruktiv zu politisieren. Mehr denn je will ich junge Menschen deshalb dazu ermutigen, aktiv zu werden, Verantwortung zu übernehmen – und sich nicht abschrecken zu lassen.

Diese Woche gab es Zeitungsberichte, wonach Sie der FDP für die Wahlkampagne von 2022 noch 20'000 Franken schulden. Sie hätten den Betrag nach der geglückten Wahl mündlich zugesagt. Wieso wurde die Forderung von Ihnen oder Ihrer Partei so lange nicht beglichen?
Es war mir bis vor kurzem nicht bewusst, dass diese Forderung noch offen ist, und der Beitrag wurde nie mündlich zugesagt. Die Forderung ist nach den Wahlen aufgetaucht und zwar nachdem der vereinbarte Betrag von 15'000 Franken bezahlt worden war. Für mich war es eine Angelegenheit der Partei. Die Partei wollte nicht darauf eintreten, ohne dass es eine Vereinbarung gab. Um die Angelegenheit pragmatisch abzuschliessen, habe ich entschieden, den Betrag nun persönlich zu begleichen. Damit möchte ich sicherstellen, dass wir uns wieder auf die wichtigen politischen Herausforderungen konzentrieren können, die im Interesse des Kantons Waadt und seiner Bürgerinnen und Bürger liegen.

Künftig führen Sie ein kleineres Departement als bisher: Sie verloren die Finanzen und erhielten die Abteilung Digitales und den Konsumentenschutz. Dazu kommen wie bisher die Landwirtschafts- und Klimadossiers. Wie gehen Sie damit um?
Ob gross oder klein, ist nicht entscheidend. Ich habe nun ein Departement, das zukunftsorientiert ist. Mit der Lebensmittelsicherheit, der Cybersecurity, der Nachhaltigkeitspolitik und der landwirtschaftlichen Versorgung verantworte ich viele Dossiers, die an Bedeutung gewinnen werden. Das motiviert mich. Und ich freue mich auch, dass nun Ruhe einkehrt.

Wird die Zusammenarbeit im Regierungsgremium funktionieren?
Ich bin zuversichtlich. Die Zusammenarbeit auf Dossierebene hat immer funktioniert. Sie wird auch weiter funktionieren, wenn wir Sachpolitik machen können. Und auf der Sachebene kann man sich auch persönlich wieder näherkommen. (aargauerzeitung.ch)

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50 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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En Espresso bitte
11.04.2025 07:15registriert Januar 2019
Ich weiss echt nicht, was ich von diesem Interview halten soll. Die Vorwürfe waren schwerwiegend und werden in knappen zwei Fragen abgehandelt. Die Antworten zu diesen zwei Fragen sind wischiwaschi und es wird nicht nachgehakt. Dafür ganz viele fühlschmi-gschpürschmi-Fragen. Einerseits verständlich, andererseits schade.
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c_meier
11.04.2025 07:23registriert März 2015
Und zum Vorwurf Steuererklärungen annullieren zu lassen gemäss Studer-Bericht gabs keine Frage? Hört sich eher nach einem Gefällikeits-Interview an... Warten wie die Untersuchung mal ab.
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ox11
11.04.2025 06:59registriert Dezember 2019
Wenn ein Unternehmen droht weg zu ziehen, dann geht man natürlich auf diese Erpressung ein und sieht zu, dass es weniger Steuern zahlen muss. Hallo? Das ist doch kein Bazar! Steuern sollten nach klaren Regeln, die für alle gleich sind erhoben werden. Ich glaube auch nicht, dass dies nachhaltig ist. Geht der Staat auf solche Drohungen ein, wird es Schule machen und am Ende hat man viel weniger Einnahmen, wie wenn man nicht drauf eingeht. Vermutlich würde auch nur ein Bruchteil die Drohung auch wahr machen.
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