Niko Aktas ist womöglich der vielsprachigste Mensch in der Schweiz. Der 36-Jährige kann auf Deutsch, Schweizerdeutsch, Englisch, Italienisch, Französisch, Spanisch, Niederländisch, Schwedisch, Türkisch und Russisch Gespräche führen. Auf weiteren drei Sprachen – Slowakisch, Arabisch und Albanisch – kann er sich verständigen. Eine Handvoll weiterer versteht er, zum Beispiel Rumantsch.
Aktas ist damit einer der wenigen Hyperpolyglotten im Land. Der Begriff stammt aus dem Griechischen: «Poly» bedeutet «mehrere» und «glōtta» ist «die Sprache». Während Polyglotten drei oder mehr Sprachen sprechen, sind es über sechs bei Hyperpolyglotten wie Niko Aktas.
Wie er das schafft? Voraussetzung ist wohl eine Affinität für Sprachen – und sehr viel Hingabe. Aktas hat mittlerweile ein System entwickelt, das ihm und anderen beim Sprachenlernen hilft. Und: Er legt seinen Beruf, seinen Wohnort, seine Hobbys und seine Beziehungen, ja, sein ganzes Leben nach dem Sprachenlernen aus.
Sie sind vor über vier Jahren in die Schweiz gezogen. Warum ausgerechnet nach Murten?
Niko Aktas: Als mehrsprachiges Land ist die Schweiz für mich schon lange interessant. Ich wollte an einen Ort, an dem ich jeden Tag mehrere Sprachen üben konnte – und was wäre passender als dort, wo der Röstigraben verläuft!
Und was haben Sie in Murten gemacht?
Ich habe das Nachtmanagement in einem Hotel übernommen. So kam ich, wie beabsichtigt, nebst den Einheimischen auch mit Touristen in Kontakt. Ich konnte Französisch, Italienisch und Englisch üben, teilweise auch Arabisch. Ich wollte es möglichst vermeiden, Hochdeutsch zu sprechen. Darum habe ich in meiner Freizeit zusätzlich Bärndütsch gelernt.
Warum? Die Leute hier können doch Hochdeutsch.
Ja, aber es macht einen grossen Unterschied, wie sie mit einem umgehen, wenn man sie in ihrer Sprache anspricht. Ich habe früh gemerkt, dass es mir privat und im Job Vorteile bringt, wenn ich mit Deutschschweizern Schweizerdeutsch rede.
Weil sie sonst unfreundlich sind?
Unfreundlich ist das falsche Wort. Schweizerinnen und Schweizer sind meiner Erfahrung nach sehr höflich und respektvoll. Aber wenn ich Hochdeutsch rede, fühlen sich manche gezwungen, auf Hochdeutsch zu antworten. Für sie ist das ungewohnt, und plötzlich ist da eine gewisse Formalität. Ich wurde nie schlecht behandelt, aber das Gespräch verliert an Leichtigkeit. Auf Schweizerdeutsch ist der Austausch wärmer. Und es ist viel einfacher, Freunde zu finden.
Von Murten sind Sie nach Bern gezogen, und nun wohnen Sie im Tessin. All das für die Sprachen?
Ja. Ich hatte Lust, die italienischsprachige Schweiz kennenzulernen. Es ist wegen der vielen Grenzgänger zwar schwierig, im Tessin einen Job zu kriegen. Aber dass ich drei der vier Landessprachen spreche, erhöht meine Chancen. Nebenher gebe ich Sprachkurse und spiele mit dem Gedanken, ein Onlineportal zum Sprachenlernen aufzubauen.
Sie sprechen dreizehn Sprachen, zehn davon auf Gesprächsniveau. Was ist Ihr Geheimnis?
Vor allem ist das natürlich harte Arbeit. Gerade Menschen, die nur ihre Muttersprache sprechen, denken, dass wir Polyglotten irgendein magisches Talent haben und die Sprachen uns nur so zufliegen.
Das tun sie nicht?
Nein. Zu sagen, es wäre einfach, in so vielen Sprachen das Niveau zu halten oder welche neu zu lernen, wäre eine Lüge. Das braucht Zeit und Ausdauer. Man kann sich dafür aber Strategien zurechtlegen.
Welche denn?
Grundsätzlich lege ich den Fokus am Anfang kaum auf Grammatik. Ich habe fünf Punkte entwickelt, die ich meinen Sprachschülern weitergebe. Erstens: eine Liste mit den wichtigsten zweihundert Wörtern, die ich mit einem anderen Polyglotten zusammengestellt habe. Diese Wörter sind noch relativ unspezifisch.
Machen Sie ein Beispiel.
Will ich eine neue Sprache lernen, muss ich wissen, was beispielsweise «Tier» oder «Pflanze» bedeutet. Ich muss nicht wissen, was «Rothirsch» oder «Tulpe» heisst. Klar, das hier mag ein See oder ein Fluss sein, aber eigentlich reicht es, wenn ich darauf zeige und «Wasser» sage. Man wird mich verstehen.
Besteht die Liste Ihrer zweihundert wichtigsten Wörtern nur aus Nomen?
Nein, es sind auch Adjektive und Präpositionen drin sowie die dreissig wichtigsten Verben. «Haben», «gehen», «sein» und so weiter.
Verben muss man aber konjugieren, da müssen Sie ja trotzdem Grammatik lehren.
Schon, aber nur die Grundstruktur. Die unregelmässige Konjugation ist noch nicht so wichtig. Wenn jemand sagt: «Ich bin dorthin gegehen» oder «Ich habe das verliert», dann ist das zwar falsch, aber man versteht ihn. So kommt man möglichst schnell an einen Punkt, an dem man sich verständigen kann. Die Lücken lassen sich später füllen. Verbeisst man sich in spezifische Wörter und eine korrekte Grammatik, ist man bald überfordert und verliert die Freude am Lernen.
Was ist der zweite Punkt Ihrer Strategie?
Nebst den zweihundert Wörtern gibt es fünfzehn Themenbereiche, für die es sich ebenfalls lohnt, sie früh zu lernen. Darunter sind etwa Wetter oder Richtungen, wenn ich zum Beispiel wissen muss, wie ich zum Bahnhof komme.
Und drittens?
Alles zu tun. Nicht nur zu lesen. Auch Reden, Schreiben und vor allem Hören bringen einen weiter. Wenn ich mal einen unmotivierten Tag habe, lege ich mich hin und höre einen Podcast in der entsprechenden Sprache. So kann ich passiv ein Gespür dafür entwickeln.
Welche Podcasts empfehlen Sie?
Egal. Irgendeinen, der mich interessiert. Sport, Lifestyle, Politik. Das ist der vierte Punkt: Es hilft, wenn ich meinen Interessen in der entsprechenden Fremdsprache nachgehe. Ich versuche, möglichst jede Woche jede meiner Sprachen zu üben. Heute Morgen war Niederländisch dran, und da habe ich mir einen italienischen Artikel über das Partyleben in Lugano, den ich sowieso habe lesen wollen, online auf Niederländisch übersetzen lassen und ihn so gelesen. So fühlt sich das Sprachenlernen weniger wie zusätzlicher Aufwand an – und lässt sich besser in den Alltag integrieren.
Und der letzte Punkt?
Sehr wichtig: einfach machen. Fehler akzeptieren. Ich hatte grosse Mühe beim Bärndütsch-Lernen, lange sprach ich einen seltsamen Mix zwischen Deutsch und Schweizerdeutsch. Die Leute in Murten haben mich komisch angeschaut und auf Hochdeutsch geantwortet. Da muss man durch. Eine Sprache zu lernen, braucht Ausdauer. Man sollte sich nicht stressen. Um erfolgreich zu sein, empfehle ich: Lieber wenig aufs Mal zu üben, dafür regelmässig.
Und immer schön dranbleiben, das ist auch wichtig.
Und bitte, erklärt mir den Weg so einfach wie möglich. Mir fehlt jegliches Talent für räumliches Denken und Orientierungssinn.